„Ich liebe den Geruch des Publikums“ – Dortmunder Künstler senden Lebenszeichen

© Oliver Schaper (Archiv)

„Ich liebe den Geruch des Publikums“ – Dortmunder Künstler senden Lebenszeichen

rnKulturverein Melange

Eigentlich arbeiten die Künstler vom Kulturverein Melange auf Tuchfühlung mit dem Publikum. Wie bringen sie Kaffeehaus-Kultur in der Pandemie unter die Leute? Jetzt gibt es ein neues Projekt.

von Kai-Uwe Brinkmann

Dortmund

, 18.03.2021, 07:30 Uhr / Lesedauer: 2 min

An die 20 Künstler – Literaten, Rezitatoren, Musiker – haben sich 2004 zum Dortmunder Kulturverein Melange vereint. Sie wollen die Tradition der Kaffeehaus-Unterhaltung aufleben lassen, witzig geistreiche Kleinkunst-Revuen zwischen Plauderei, Kabarett und Schlager.

Am Freitag (19.3.) melden sich die selbsternannten „Botschafter des guten Geschmacks“ zurück aus der Corona-Zwangspause, wenn sie auf ihrem YouTube-Kanal mit der „Frühlings-Kollektion“ auf Sendung gehen (der Link steht auf www.melange-im-netz.de).

Lebenszeichen auf YouTube

Geboten wird ein bunter Strauß aus Lyrik, Prosa, Musik und Drolligem, das Programm ist ein Lebenszeichen und ein Versprechen an alle Melange-Freunde: „Wir sind produktiv und hoffentlich bald wieder live für Euch da!“

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Hach, ein Auftritt vor Publikum. Tirzah Haase kommt ins Schwärmen: „Ich liebe den Geruch des Publikums, ich mag die Nähe von Zuschauern. Ich spreche sie an, ich will Reaktionen und Zwischenrufe. Bei Melange machen wir Volkstheater im besten Sinne. Das ist die Magie von Kaffeehaus-Auftritten, der spontane Austausch mit 60, 80 Zuhörern“, erzählt die Sängerin, Vortragskünstlerin und mehr, seit 15 Jahren Mitglied der Melange-Truppe.

Der Schock des Lockdowns

Haase (die von sich als „Bühnentier“ und „Zirkuspferd“ spricht) erinnert sich genau, wie der Schock des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 sie traf: „Am 14. März hatte ich einen Auftritt, am nächsten Tag stand meine Hommage an Udo Jürgens als Premiere im Hansa Theater an. Dann der Anruf: ‚Wir müssen unser Haus schließen, alles auf Null‘.“

Sie habe an der Kleppingstraße im Wagen gesessen und „Rotz und Wasser geheult“, sagt Tirzah Haase. Kalt erwischt und aufs Abstellgleis geschoben.

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Wie ihre Melange-Kollegen Kriszti Kiss, Dieter Treeck oder Stefan Keim. „Das schweißt zusammen, du bist nicht allein. Unter uns gibt es Solidarität, es herrscht kein Futterneid. Wir ziehen an einem Strang und helfen uns“, erklärt Tirzah Haase.

Hier kommt Melange-Geschäftsführer Thomas Eicher als Impulsgeber ins Spiel. Als später Lockerungen möglich waren, gab Eicher die Parole aus: Wir verlegen unser Kaffeehaus ins Freie!

Auftritte im Freien

Bald musste Tirzah Haase nicht mehr vom heimischen Balkon singen, sie gab ihr Udo Jürgens-Programm (Armine Ghuloyan am Piano) auf der Außenterrasse des Café Orchidee im Rombergpark. „Herrlich, zu sehen, dass die Leute nach Kultur dürsten“, so Haase, „wir waren ausverkauft.“

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Bis zum Herbst gab es Kaffeehaus-Kunst vor reduziertem Platzangebot, live und direkt. Bis der zweite Lockdown Ende Oktober kam. Erneut fand Thomas Eicher einen Weg aus der Misere: Melange etablierte einen YouTube-Kanal.

Likes für den Internet-Doofie

„Für Internet-Doofies wie mich tut Thomas alles. Er war Regisseur, Ton- und Kameramann, auch Cutter, als wir im Melange-Büro Videos mit mir drehten“, ist Tirzah Haase voll des Lobes. Und schon erntet ein „Internet-Doofie“ Aufrufe, Kommentare und Likes.

Melange stellte eine Weihnachtsrevue auf die Beine, seit Februar ist das Kleinkunst-Kollektiv mit der Serien-Lesung von Stefan Zweigs „Die Welt von Gestern“ im Netz präsent, die am 23. 4. (Tag des Buches) ausläuft: Reihum liest die Truppe den Roman, täglich ab 11 Uhr im Internet zu verfolgen.

Lied aus der Ferne einstudiert

Corona zwingt zum Improvisieren, hat Tirzah Haase gelernt. Für die „Frühlings-Kollektion“ hat sie das Lied „Tante Paula liegt im Bett und isst Tomaten“ einstudiert. Mit Pianistin Armine Ghuloyan, die in Armenien war.

Haase schickte Fotos der Noten nach Moskau und Armenien. Welche Tonart, fragte Ghuloyan. Musik und Gesang waren zu synchronisieren per globaler Telefonitis. „Man lernt, dank Corona“, sagt Tirzah Haase, „aber bei Melange lechzen wir alle nach Auftritten vor Publikum.“

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