Im Dortmunder Gefängnis soll Kultur die Insassen auf schöne Gedanken bringen. Da wird auch mal Queens Hit „I want to break free“ gesungen. Ein Konzertbesuch in der Knast-Kapelle.
Der Kabarettist Fritz Eckenga war schon da. Zuletzt ein Musical-Ensemble. Nun folgt ein Klavier-Konzert. Der Dortmunder Knast will seine harte Männergesellschaft zu bewegenden Gedanken inspirieren. Helfen soll dabei die Kultur. „Die Anstalt ist toll“, sagt Gefängnisdirektor Ralf Bothge, der in dem über 120 Jahre alten Bau „eine ganz andere Atmosphäre“ spürt und schätzt als an seinem letzten Standort, in Gelsenkirchen: „Nach Dortmund zu gehen, das war die beste Entscheidung in meinem Berufsleben.“
Vom ersten Arbeitstag an beeindrucken ihn Offenheit, Transparenz und Freundlichkeit im Gefängnis. Nach über zwölf Monaten als Chef im Knast an der Lübecker Straße in der Innenstadt gefällt ihm auch ein Angebot, das unter Gefangenen besondere Nachfrage erfährt.
Musical statt Heavy Metal
Es ist die Kultur. „Zuerst dachte ich, dass die Nachfrage bei Heavy Metal besonders groß ist“, sagt Ralf Bothge. Doch die harte Männergesellschaft fährt voll auf Musicals ab. Das zeigte sich bei einem Konzert in der Knast-Kapelle, wo vier Profi-Musiker mit den Hits aus international erfolgreichen Musicals wie „Grease“, „We Will Rock You“, „Elisabeth“, „Phantom der Oper“ oder „Mamma Mia“ die Fetzen fliegen ließen.
„Auch für uns war das eine Premiere“, sagte Ensemble-Chefin Trudi Mittrup von M&M-Events in Hattingen nach einem umjubelten Konzert, „aber die Sorgen, die wir uns vorher gemacht haben, waren total unbegründet. Der Funke ist zu uns rübergesprungen.“ Rübergesprungen von unten nach oben, also vom Publikum in den Stuhlreihen rauf auf die Bühne. „Die haben uns mitgerissen“, sagte die Sängerin, die den Gefangenen „etwas Buntes in den grauen Alltag“ bringen wollte.
Hier Eindrücke vom Konzert in der Knast-Kapelle:
Dafür ließen es Trudi Mittrup, Jessica Maletzky, Tillmann Schnieders und der vom „Starlight Express“ in Bochum bekannte Mark Daye ordentlich krachen. So sehr, dass schon nach wenigen Minuten die Füße der Gefangenen mitwippten oder breite Schultern schunkelten und bei Whitney Houstons Pop-Hit „I Will Always You“ die Augenlider den Romantik-Modus anzeigten. Aus Daumen und Zeigefingern formten die Männer Herzen, die im Takt der Musik über den Köpfen schwebten.
Schnelle Wechsel zwischen Garderobe und Liedern verwandelten die Knast-Kapelle für 70 Minuten in eine kleine Konzert-Arena. Oben auf der Bühne opulente Kostüme mit Fracks und Pettycoats. Unten in den Stuhlreihen Füße in Badelatschen, Undercuts und Tätowierungen auf dicken Oberarmen. Mehrere Hundert Jahre Haft applaudierten, jubelten und rockten. Bei Balladen: absolute Konzentration.
Gelächter und verlegene Blicke
Die faszinierenden Sängerinnen Trudi Mittrup und Jessica Maletzky gingen in den Reihen nah ran ans Publikum, kokettierten ein wenig und ernteten Gelächter oder verlegene Blicke – und jedesmal frenetischen Applaus. Als Tillmann Schnieders den Queen-Hit „I Want to Break Free“ raushaute, war selbst die härteste Schale aufgeweicht.
„We Will Rock You“ und andere Titel ließen auch die Gäste in der letzten Reihe staunen: Sie trugen blaue Uniformen mit dem NRW-Justiz-Emblem auf dem linken Ärmel und konnten kaum fassen, was sich da vor ihnen abspielte. Freizeitkoordinator Daniel Beckmann: „Bei solchen Angeboten sind die Häftlinge ausgelassener als sonst. Das entspannt die Haftsituation. Und die Gefangenen sollen wissen, dass es auch draußen die Kultur gibt.“
Das sagen zwei Gefangene
„Das war mal was anderes, hochprofessionell“, sagt der 49-jährige Gefangene Zeljko, der in der Knast-Kapelle schon mehrere Bands und einen Magier gesehen hat. „Als Jugendlicher habe ich Theater gespielt und weiß, was es heißt, auf der Bühne zu stehen.“ Die Alternativen zum Konzertbesuch wären gewesen: „Auf der Zelle sitzen, Fernseh gucken, Karten spielen oder Umschluss.“ Umschluss heißt: Bei Zellennachbarn abhocken. „Aber da gehen einem irgendwann die Themen aus“, sagt Zeljko, der wegen Einbruchsdiebstählen sitzt.
In acht von seinen 39 Lebensjahren hat Markus im Knast gesessen. Er sei Mitglied der Borussenfront gewesen. „Beim Starlight-Express hat‘s bei mir Bums gemacht“, sagt er über das Musical. Demnächst werde er in der Knastküche arbeiten und Startkapital für ein neues Leben ansparen. Mit dem Geld werde er zwei Karten für den Starlight-Express in Bochum kaufen und seine Freundin einladen.
Ein besonderes Publikum
Sängerin Trudi Mittrup weiß, dass da „schwere Jungs“ vor ihr saßen, die nicht nur für Diebstähle oder fürs Schwarzfahren im Knast, sondern auch für Gewaltkriminalität verantwortlich sind. Dennoch: „Das war ein sehr wertschätzendes Publikum. Das erleben wir nicht immer.“ Das Publikum forderte Zugabe.
Jahrgang 1967, geboren in Barop. Aufgewachsen auf einem Sportplatz beim DJK TuS Körne als Torwart. Lebt jetzt im Loh. Fährt gerne Motorrad. Seit 1988 bei den Ruhr Nachrichten. Themen: Polizei, Feuerwehr und alles, was die Großstadt sonst noch so hergibt. Mag multimediales Arbeiten. 2015 ausgezeichnet mit der "Goldenen Viktoria" für Pressefreiheit.
