Opfer sexueller Gewalt in der Kirche dürfen beim Kirchentag doch sprechen

© Ulrich Breulmann

Opfer sexueller Gewalt in der Kirche dürfen beim Kirchentag doch sprechen

rnEvangelischer Kirchentag

Das Thema sexueller Missbrauch in der Evangelischen Kirche sollte nicht ausdrücklich beim Kirchentag in Dortmund vorkommen. Daran gab es Kritik. Und plötzlich durften doch Opfer sprechen.

Dortmund

, 22.06.2019, 13:36 Uhr / Lesedauer: 2 min

Das war so nicht vorgesehen. Ursprünglich sollte das Thema sexualisierte Gewalt innerhalb der Evangelischen Kirche nicht zum ausdrücklichen Thema eines Podiums beim Kirchentag werden. Es sollte lediglich innerhalb des Hauptpodiums „Vertrauen und Vertrauensmissbrauch“ mitbehandelt werden – nur als ein Teilaspekt unter vielen anderen. Opfer von kirchlichem Missbrauch waren gar nicht als Gäste auf dem Podium vorgesehen. Kirchentagspräsident Hans Leyendecker hatte dieses Vorgehen gegenüber unserer Redaktion verteidigt.

Nach Kritik an diesem Vorgehen gab es offenbar ein Umdenken beim Kirchentag. Am Samstagvormittag saßen im überfüllten Opernhaus mit Kerstin Claus und Detlev Zander zwei Opfer sexualisierter Gewalt mit auf dem Podium. Beide machten sachlich, aber unmissverständlich deutlich, dass nicht allein der Missbrauch schlimm gewesen sei. „Ich konnte mich niemandem anvertrauen, aus Angst, aus Scham“, erzählte Detlev Zander. „Ich hatte das Gefühl: Man glaubt mir sowieso nicht. So etwas kommt nicht vor, schon gar nicht im evangelischen Kontext. Das ewige Stummsein machte das Ganze noch schlimmer.“

Opfer appelliert an die EKD

Auch als er sich nach Jahren endlich getraut habe, an die Öffentlichkeit zu gehen, habe er sich gefragt: „Wem vertraue ich mich heute an?“ In einer solchen Situation drohe man, erneut traumatisiert zu werden. „Ich habe daher die dringende Bitte an die EKD“, sagte Zander unter dem Beifall der Zuhörer, „Betroffene, die sich der Kirche anvertrauen, brauchen professionelle Begleitung.“

Kerstin Claus sprach von ähnlichen Empfindungen: „Es gibt das Gefühl: Ich will doch heute nicht zerbrechen an etwas, das ich damals überlebt habe.“ Es sei unerträglich, wenn Opfer heute Kirche als eine die Täter schützende Struktur erfahren und an Juristen verwiesen würden.

Bürokratie statt Hilfe

Kirsten Fehrs, Bischöfin aus Hamburg, die sich in vorderster Front um das Thema in der evangelischen Kirche kümmert, brachte es auf den Punkt. Es sei für sie zutiefst erschütternd, wenn Opfer ihr erzählten, wie die Kirche reagiert habe, wenn sie sich an sie wandten: bürokratisierend und unempathisch.

Nikolaus Schneider, der ehemalige Rastvorsitzende der EKD, räumte zunächst nur allgemein ein: „Es ist für uns alle noch eine Riesenaufgabe, zu einer anderen Haltung zu dem Thema zu kommen. Das war auch für mich ein Lernprozess.“

Opfer widerspricht Ex-Ratspräsident der EKD

Darauf musste er sich von Opfer Detlev Zander vorhalten lassen: „Lernen? Wann haben Sie gelernt? Wenn wir Ihnen nicht immer wieder auf die Füße getreten wären, hätten Sie nichts gelernt.“

Nikolaus Schneider gesteht: Das war armselig

Daraufhin gab sich Schneider, der 2010, als in der Katholischen Kirche der Missbrauchsskandal hochkochte, Ratsvorsitzender war, einsichtig: „Ich gebe zu: Ich war da kein Held. Im Leitungsgremien wurde zwar darüber gesprochen und es gab auch die Mahnung: Leute, glaubt nicht, dass das nur ein Problem der Katholischen Kirche ist.“ Gleichzeitig habe aber ein anderer Eindruck vorgeherrscht: „Bei der Sexualmoral in der Katholische Kirche ist das doch kein Wunder: Das Hauptproblem liegt dort.“

Schneider gab sich schuldbewusst: „Wir haben uns schon bemüht, aber in mancher Hinsicht war es auch armselig.“

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