Kinderporno-Ermittlungen bei Dortmunder Sportverein „Schweigen schützt die Falschen“ - Vorstand geht in die Offensive

Kinderporno-Ermittlungen in Sportverein: Vorstand geht in die Offensive
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Aussprache in der Sporthalle Wellinghofen: Der Vorstand des TuS Borussia Höchsten, dessen erste Handball-Mannschaft hier auch ihre Landesliga-Partien spielt, hatte für Freitag, 1. September, um 17.30 Uhr zu einer „Informationsveranstaltung zum Thema Sexualisierte Gewalt in Sportvereinen“ eingeladen. Der Anlass: „ein aktueller Fall in unserem Verein“.

Außer den Vorsitzenden sind an diesem Nachmittag noch Mitarbeiter der Kriminalpolizei, des polizeilichen Opferschutzes und des Stadtsportbundes dabei. Der Vorstand des Vereins macht öffentlich, dass ein Trainer mutmaßlich über acht Jahre hinweg Filmaufnahmen von insgesamt 23 Kindern in den Umkleidekabinen gemacht hat.

Gegen den Mann wird wegen „Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornographischer Inhalte“ ermittelt. Das bestätigt Staatsanwalt Henner Kruse auf Nachfrage unserer Redaktion. „Die Ermittlungen dauern an, es sind die Wohnadresse und die Arbeitsstätte durchsucht worden und es wurden Datenträger sichergestellt“, sagt der Sprecher der Dortmunder Staatsanwaltschaft.

Außer wegen Kinderpornografie wird gegen den Familienvater wegen „Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs und von Persönlichkeitsrechten durch Bildaufnahmen“ ermittelt. Für ersteres drohen bis zu zehn Jahre Haft, für letzteres zwei Jahre oder eine Geldstrafe.

17 Jugendteams in Höchsten

Was die Vorfälle beim TuS Borussia Höchsten angeht, sind die Ermittlungen nach Informationen unserer Redaktion eigentlich abgeschlossen - deshalb kann der Vereinsvorstand jetzt nach Rücksprache mit den Ermittlungsbehörden an die Öffentlichkeit gehen. Kurz vor der Versammlung haben wir uns mit dem ersten Vorsitzenden Wolfgang Raulf dem zweiten Vorsitzenden Detlef Austermann und dem Leiter der Handball-Abteilung Thomas Henkel getroffen, um über die Vorfälle, die den renommierten Verein mit 700 Mitgliedern im Dortmunder Süden erschüttern, zu sprechen.

Die größte Abteilung des Vereins ist die Handball-Abteilung mit etwa 300 Mitgliedern. 17 Jugendmannschaften spielen für die TuS Borussia Höchsten - diese Zahl von Jugend-Teams ist ein Alleinstellungsmerkmal im Dortmunder Handball. Die Vorfälle betreffen nur diese Abteilung, allerdings wurden auch die Mitglieder der Gymnastik-Abteilung zu dem Treffen am 1. September eingeladen.

„Kinder zu erkennen“

Wie hat der Verein von den Vorwürfen erfahren und wie hat er reagiert? Als erstes hat Handball-Abteilungsleiter Thomas Henkel davon Kenntnis erlangt - der Dortmunder Polizist wurde im September 2022 von seinen Kollegen informiert, dass gegen einen Trainer des TuS der Verdacht auf Besitz von Kinderpornografie besteht. „Ich habe ihn noch am selben Tag besucht und ihn aufgefordert, sein Traineramt ruhen zu lassen. Das hat er auch getan. Ende Februar 2023 haben sich die Verdachtsmomente konkretisiert – unter anderem war auf dem Bildmaterial unser Vereinslogo und Kinder unseres Vereins zu erkennen.“

Anhand des Bildmaterials lässt sich vermuten, dass der Trainer mit einem Smartphone aus einer Sporttasche gefilmt hat. Von den 23 Betroffenen sind 11 mittlerweile volljährig, die anderen haben den Verein verlassen. „Alle betroffenen Personen bzw. ihre Eltern wurden vorab über die Ermittlungen informiert. Die Polizei wird mit den Betroffenen Kontakt aufnehmen“, erläutert der erste Vorsitzende Wolfgang Raulf.

Nach der Konkretisierung der Vorwürfe Ende Februar 2023 hat der Verein schnell reagiert und die Mitgliedschaft des Beschuldigten gekündigt. „Zudem haben wir ihn offiziell von allen Aufgaben entbunden und ihm Hausverbot erteilt“, erklärt Wolfgang Raulf. „Eigentlich war geplant, die Eltern schon zum damaligen Zeitpunkt zu informieren. Auf Bitten der Polizei haben wir aus ermittlungstaktischen Gründen darauf verzichtet.“

„Offenheit und Transparenz“

Nun seien die Ermittlungen – zumindest was diesen Verein betrifft - in einem so späten Stadium, dass TuS Borussia zur Informationsveranstaltung laden konnte. Unklar ist derzeit noch, ob der mutmaßliche Täter auch noch in weiteren Vereinen aktiv ist oder war.

„Uns ist wichtig ist zu betonen, dass die Filmaufnahmen nicht ins Netz gestellt worden sind oder sonst irgendwie verbreitet worden. Es gibt nach aktuellem Ermittlungsstand auch keinen Hinweis auf sexuellen Missbrauch“, sagt Wolfgang Raulf.

Der Gang an die Öffentlichkeit zu so einem frühen Zeitpunkt ist beim Thema Sexualisierte Gewalt eher ungewöhnlich. Was hat den Vereinsvorstand zu diesem Schritt bewogen? „Offenheit und Transparenz ist für uns die oberste Maxime. Wir sind der Ansicht: Schweigen schützt die Falschen- deswegen gehen wir in die Offensive und haben jetzt die Öffentlichkeit gesucht.“, sagt der Vereinsvorsitzende. Er ist der Ansicht: „Der Verein hat unverzüglich und konsequent gehandelt.“

Um Kinder gegen Übergriffe und Film-Aufnahmen dieser Art zu schützen, wurde vor elf Jahren das Kinderschutzgesetz verschärft. Unter anderem sieht es vor, dass Vereins-Mitarbeiter wiederholt polizeiliche Führungszeugnisse vorzulegen, um auszuschließen, dass Personen in Kontakt mit Kindern kommen, die wegen einer sexuell motivierten Straftat vorbestraft sind.

Ein cleanes Führungszeugnis

Das Jugendamt schließt dafür mit den Vereinen eine entsprechende Vereinbarung. „Natürlich haben alle unsere Übungsleiter ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis – übrigens auch der Trainer, gegen den ermittelt wird. Das war clean“, erklärt der Zweite Vorsitzende von TuS Borussia Höchsten, Detlef Austermann im Gespräch mit unserer Redaktion.

Die Vorlage des Führungszeugnisses sei „eine von vielen Maßnahmen“, erläutert Polizeisprecher Peter Bandermann. Sie diene auch dazu, „verurteilte Täter von weiteren Taten z. B. in einem Sportverein abzuhalten.“ Für Betroffene, mit denen die Polizei in diesem Fall schon Kontakt aufgenommen hat, gibt es „Ansprüche auf Opfer-Entschädigung und Therapie Möglichkeiten.

Daher war auch eine Kriminalbeamtin und ein Vertreter des Kommissariats für Kriminalprävention in Wellinghofen vor Ort. Zudem haben, so Peter Bandermann, „das Polizeipräsidium Dortmund und der Stadtsportbund Dortmund vor mehr als zwei Jahren eine Kooperationsvereinbarung unterschrieben. Diese Vereinbarung organisiert Information und Prävention zur sexualisierten Gewalt, z.B. Fortbildungen für Trainer. Diese Fortbildungen sind erforderlich, da die Täter sehr manipulativ arbeiten, um Taten auszuführen und das Opfer dazu zu bringen, nicht darüber zu sprechen.“

Das Thema Prävention ist auch Detlef Austermann von TuS Borussia Höchsten wichtig: „Wir wollen mit unser offenen Herangehensweise auch andere Vereine sensibilisieren und ermutigen, mit dem Thema offen und transparent umzugehen“, sagt Detlef Austermann. Denn natürlich ist das ein Thema für alle Sportvereine. Im vergangenen Jahr hat eine groß angelegte Studie mit mehr als 4000 Teilnehmern aus Sportvereinen ergeben, dass etwa ein Viertel der Befragten angaben, schon einmal Opfer sexualisierter Grenzverletzungen geworden zu sein.

Der nächste Schritt in Sachen Prävention ist der Vorstand bereits gegangen: „Wir haben uns gerade in einer Vorstandssitzung, ein sogenanntes Schutzkonzept vorstellen lassen und werden ein solches für unseren Verein erstellen“, erklärt Vize-Vorsitzender Detlef Austermann.

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