Karstadt-Beschäftigte kündigen nach 30 und 26 Jahren Wieder Insolvenz? „Man stumpft nur noch ab“

Karstadt-Beschäftigte kündigen nach 30 und 26 Jahren: "Man stumpft ab"
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Es wird ein paar Tränen geben. Freitag (30.12.), irgendwann um die Mittagszeit, werden sich Tanja H. (46) und ihre Kollegin Diana F. (45) von ihren Kolleginnen und Kollegen bei Galeria Karstadt verabschieden und das Haus am Westenhellweg verlassen. „Wenn nicht jetzt, wann dann?“, sagen beide unisono. Karstadt, das sei für sie „wie eine Familie gewesen“.

Tanja H. war mehr als 30 Jahre Mitglied der großen Karstadt-Familie, die im Laufe der Jahre immer kleiner geworden ist. Damals hast sie im früheren Karstadt-Sporthaus am Ostenhellweg ihre Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau absolviert.

Da war die Karstadt-Welt noch einigermaßen in Ordnung und der stationäre Handel gefragt. Inzwischen arbeitet Tanja H. im Warenservice-Team im Haus am Westenhellweg, kümmert sich dort um den Online-Versand und um Retouren. Dieser Tage, kurz vor dem dritten Insolvenzverfahren, ist sie nur noch ernüchtert.

Sie und ihre Kollegin Diana F., ebenfalls im Warenservice-Team eingesetzt, wollen die Nachrichten, die im Januar kommen, gar nicht erst abwarten: Sie haben die Achterbahnfahrt der Gefühle satt und ihre Jobs gekündigt.

Sie verlassen Karstadt, um in einem komplett neuen Berufsleben durchzustarten: Tanja H. wird als Medizinische Fachangestellte in einer Arztpraxis arbeiten. Diana F. wechselt als kaufmännische Angestellte in die Getränkelogistik. „Wir sehen im stationären Handel keine große Zukunft mehr“, sagen sie. Die gehöre dem Online-Handel.

Das gleiche Drama wie 2020

Zu gut erinnern sich die beiden Frauen an das Theater im Sommer 2020. Auch damals hing das Damoklesschwert einer Schließung über Galeria Karstadt Kaufhof. Es gab Unterschriftenlisten, Demonstrationen und Appelle an die Verantwortlichen. Und Sorgen um die City. Am Ende sauste das Fallbeil auf Kaufhof herab, während Karstadt blieb. Und nun?

Gut zwei Jahre später das gleiche Drama: Warten, Zittern und Hoffen, dass es im Januar, wenn die Nachrichten aus der Essener Zentrale einlaufen, fürs Dortmunder Haus wieder glimpflich abgehen möge. Tanja H. und Diana F. fühlen sich wie bei einem Deja-vu. „Bei der ersten Insolvenz 2009 waren wir wirklich traurig“, fasst Tanja H. die Stimmungslage zusammen. Bei der zweiten Insolvenz 2020 sei man „abgeklärt und fast schon routiniert“ mit der Situation umgegangen. „Inzwischen ist man nur noch abgestumpft“.

Dabei gäbe es vieles, was Tanja H. und Diana F. für verbesserungswürdig halten. Kommentare zum Management? Kein Ton. Man merkt förmlich, wie sich beide fast auf die Zunge beißen, um nichts Unkontrolliertes herausrutschen zu lassen. Stattdessen sagen sie’s durch die Blume: dass sich bei Galeria Karstadt Kaufhof „Grudlegendes ändern“ müsse. Und man beispielsweise das Online-Geschäft völlig verschlafen habe.

"Haben die Beratung genommen"

Dürften sie, wie sie wollten, würden Tanja H. und Dina F. das Warensortiment auf neue Füße stellen und den Einkauf bitten, schneller auf Marktneuheiten zu reagieren. Dürften die beiden Frauen Vorschläge machen, würde das Personal, aktuell rund 170 Teilzeit- und Vollzeitkräfte, aufgestockt. Um Kunden das zu geben, was sie gern möchten: Beratung. „Stattdessen haben wir den Kunden die Beratung weggenommen“, sagt Tanja H.

Sie haben keine Lust mehr. Keine Lust mehr auf die kleinen und größeren Hiobsbotschaften, die beinahe täglich auf das Personal herabprasseln. Keine Lust mehr auf die „mangelnde Wertschätzung“, die den Mitarbeitern entgegengebracht werde. Und sie haben keine Lust mehr auf die zahllosen Durchhalteappelle, die all die Jahre dann doch nur zu weiterem Verzicht führten: kein Urlaubsgeld, kein Weihnachtsgeld und ständig abgesenkte Tarifverträge.

"Die Chancen stehen 50 zu 50"

Eine Verkäuferin in Vollzeit geht ab dem sechsten Berufsjahr mit 2579 Euro brutto nach Hause – damit hat sie die Spitze der Skala bereits erreicht. Die Gewinnmargen im Einzelhandel seien dünn, sagen Experten.

Die Verdienstmöglichkeiten auch. Diana F. weiß das zu gut. Sie ist alleinerziehend und hat deshalb in Teilzeit gearbeitet. „Ich habe mich mit einem Nebenjob über Wasser gehalten“, erzählt sie. Als Servicekraft im Catering-Bereich des Signal Iduna Parks.

Tanja H. und Diana F. haben den Absprung geschafft. Beide wissen, dass sich 30 und 26 Jahre nicht einfach aus dem Gedächtnis streichen lassen. „Ich werde das wohl erst realisieren, wenn ich Anfang Januar in meinem neuen Job sitze“, vermutet Tanja H. Eine Prognose, wie es mit Karstadt und den dort verbleibenden Kollegen weitergehen wird? Tanja H. überlegt kurz.

Das sei schwer zu sagen, findet sie: „Ich schätze die Chancen auf 50 zu 50.“ Tanja H. und Diana F. bleibt nicht viel mehr, als den Kollegen die Daumen zu drücken. Sie wollen den Kontakt in jedem Fall halten. Freitag Mittag ist Schluss. Es wird ein paar Tränen geben. Doch ihre Entscheidung, da sind sie sicher, ist für sie die richtige. Unabhängig davon, wie es mit Karstadt in Dortmund weitergeht.

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