Besenrein soll die Kaufhof-Immoblie Ende Oktober übergeben werden.

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„Alles muss raus“: So laufen die letzten Tage im Kaufhof am Westenhellweg

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Es geht dem Ende entgegen: In wenigen Tagen wird der Kaufhof am Westenhellweg geschlossen, der Verkauf endgültig eingestellt. Aus dem einst stolzen Warenhaus ist eine Billig-Hochburg geworden.

Dortmund

, 15.10.2020, 04:00 Uhr / Lesedauer: 3 min

Das Restaurant „Petersilie“ begrüßt seine Besucher, indem es sich von ihnen verabschiedet. „Das Restaurant wird am Mittwoch (14. Oktober) um 16 Uhr schließen“, steht auf dem Schild am Eingang des Kaufhof am Westenhellweg in Dortmund. Seinen Besuchern dankt das Restaurant „für die Treue“ und wünscht „weiterhin alles Gute.“ Was für ein Empfang!

Das Restaurant liegt im dritten Obergeschoss, und ohnehin steht kaum jemand auf der Rolltreppe. Es sind nur wenige Kunden, die sich noch nach oben verirren. „Wie komm' ich hier wieder runter?“, fragt eine Frau, die ihren Irrtum schnell erkannt hat. Hier gibt es nichts mehr zu kaufen, das Geschoss steht leer. Eine große, leere Fläche.

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Die letzten Tage des Kaufhof am Westenhellweg

13.10.2020

Noch gar nicht lange her, da gab es hier Sportartikel, Kinderkleidung, Spielzeug. In diesen Tagen gibt es in den oberen Geschossen gar nichts mehr. Außer Flatterband und etliche leere Regale, die hier und da bereits abgebaut werden.

Selbst der 400 Kilogramm schwere Plastik-Dinosaurier hinten in der Ecke, knapp zwei Meter hoch und vier Meter lang, hat plötzlich einen Käufer gefunden. Es hat Jahre gedauert. Was der Kunde mit dem Teil machen will? Die Verkäuferin zuckt die Schultern. „Kann ich nicht sagen. Soll Freitag abgeholt werden.“

Der Dino steht seit Jahren in der Kinderabteilung im dritten OG. Jetzt ist er verkauft worden. Betriebsrätin Martina Regens findet die gesamte Entwicklung „bitter und schade“ für die Beschäftigten.

Der Dino steht seit Jahren in der Kinderabteilung im dritten OG. Jetzt ist er verkauft worden. Betriebsrätin Martina Regens findet die gesamte Entwicklung „bitter und schade“ für die Beschäftigten. © Oliver Schaper

„Hatte gehofft, ich könnte bis zur Rente bleiben“

Endzeitstimmung in einer sterbenden Kaufhof-Filiale. Am Samstag (17. Oktober) wird der Kaufhof noch einmal um 9.30 Uhr öffnen, wie gewohnt. Danach nie wieder.

Das Warenhaus am Westenhellweg gehört zu jenen bundesweit 42 Kaufhof- und Karstadt-Standorten, die nach dem abgeschlossenen Insolvenzverfahren nun dicht gemacht werden. „Es wird Tränen geben“, ahnt Betriebsrätin Martina Regens.

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Am 31. Oktober wird der Dienstleister Gordon Brothers, der die Versilberung der Restware übernommen hat, die Immobilie besenrein übergeben. Bis dahin gilt: „Alles muss raus.“ Auch Verkäufer Michael Gerndt.

42 Jahre, ein gutes halbes Menschenleben lang, hat er jetzt im Dortmunder Kaufhof gearbeitet. „Heim und Handwerk“ hieß die Abteilung, in der er die Ausbildung gemacht hat. Heim und Handwerk? Gibt's lange nicht mehr. „Ich hatte gehofft, ich könnte bis zur Rente hier im Haus bleiben“, sagt der 61-Jährige Verkäufer.

Jetzt sehe es so aus, als bekomme er seine 45 Beitragsjahre nicht zusammen. So stellt sich Gerndt also auf einen vorzeitigen Renteneintritt mit 63 Jahren ein, mit Abschlägen. „Was für Chancen auf dem Arbeitsmarkt hab' ich denn noch?“, fragt er.

Nur wenige Kunden verirren sich noch nach oben.

Nur wenige Kunden verirren sich noch nach oben. © Oliver Schaper

Die Hälfte der gut 80 Beschäftigten wechselt nach dem 31. Oktober in die Transfergesellschaft, andere gehen in die Arbeitslosigkeit. Einige wenige haben bereits eine neue Stelle gefunden.

Restware ist ins Erdgeschoss gewandert

Der Kaufhof ist in gewisser Hinsicht zu einem Potemkinschen Dorf geworden. Er tut nur noch, als sei er ein Warenhaus. Doch hinter seiner Fassade herrscht in weiten Teilen Leere: Seit September kommt keine Ware mehr ins Haus, der Abverkauf läuft seit Wochen. Das Wenige, das Schnäppchenjäger übriggelassen haben, ist ins Erdgeschoss verlegt worden.

Hier ein paar Ringe hinter Glas, dort drei Armbänder – die meisten Vitrinen stehen leer und nur noch im Weg. Kein Pullover, kein Hemd mehr in den Fächern der Wandregale, die ebenfalls leer sind. Es ist der Schlussspurt im Ausverkauf.

Betriebsrätin Martina Regens: Alles muss raus, auch die Kabinen für die Anproben.

Betriebsrätin Martina Regens: Alles muss raus, auch die Kabinen für die Anproben. © Oliver Schaper

„Sehr, sehr traurig ist das“, sagt Kunde Matthias Ritzrau (41). Er schlendert in seiner Mittagspause durchs Erdgeschoss und sagt: „Das war mal ein gutes, geordnetes Kaufhaus.“ Für die Mitarbeiter tue es ihm leid. Kaufen möchte er lieber nichts.

Dabei gibt es „kurze Hosen für drei Euro“. Und „Damenhosen für neun Euro.“

Neben der Rolltreppe stößt der Besucher im Oktober 2020 auf ein „Osterangebot“. Es gibt grüne Nester und schicke Osterservietten, aber nur noch wenige. „Reste-Rampe“, murrt eine offenbar unzufriedene Familie, „da war ja praktisch gar nichts mehr.“

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Es ist ein Kommen und Gehen im Erdgeschoss, und die Schlange vor der Kasse zeigt, dass es noch nicht ganz vorbei ist. Der Kaufhof atmet noch. Aber sein Gesundheitszustand verschlechtert sich täglich. Der Krankenstand im Personal sei „hoch“, sagt Betriebsrätin Regens. Die Stammkunden hätten sich schon lange verabschiedet.

"Hab' mich schon gewundert, wie das hier aussieht"

Eine Frau mittleren Alters nimmt eine Bluse, prüft und hängt sie zurück. Sie komme aus Lüdenscheid, erzählt sie, und habe erst jetzt bei ihrem Besuch im Kaufhof von der anstehenden Schließung erfahren. „Ich hab' mich schon gewundert, wie das hier aussieht.“ Das sei wirklich kein Angebot mehr, schiebt sie nach – und verlässt das Haus.

Von der Schließungsankündigung durch Galeria Karstadt Kaufhof im Juni bis heute: Betriebsrätin Regens weiß, was ihre Kolleginnen und Kollegen durchgemacht haben. Sie ahnt, dass die Immobilie irgendwann umgebaut wird. Dass die leeren Flächen neu belebt werden sollen.

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Sie hat's ja gehört, vor wenigen Wochen im Rathaus, als die Stadtspitzen erste, grobe Ideen für eine Zwischennutzung mit Kunst und Kultur ins Spiel brachten. Und danach? Ein Handelsstandort solle das 1967 eröffnete Haus bleiben, hatte es geheißen. Und dass neue Ideen entwickelt würden, vieles aber eben noch offen sei.

Den Beschäftigten hilft es aktuell nicht. Martina Regens findet die Entwicklung „einfach nur bitter und schade.“ Sie hat Urlaub genommen. Samstag (17. Oktober), das ahnt sie, wird kein guter Tag. Der Kaufhof legt sich ins Sterbebett.

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