Hier fehlte noch eine Lampe, da musste an der Bewässerungsanlage für die imposante Landschaftstreppe in der riesigen Empfangshalle noch etwas repariert werden. Zur Eröffnung ist aber alles fertig. Aber stopp! Der Fahrstuhl ... doch, der funktioniert. „Man muss nur - wie im Hotel - erst die Chipkarte vorhalten, bevor er sich in Bewegung setzt“, sagt Dr. Winfried Materna. Eilig sucht der Top-Unternehmer in der Innentasche seines Sakkos nach dem Kärtchen. Selbst für den Gründer des großen Dortmunder IT-Dienstleisters Materna ist vieles in der neuen Firmenzentrale auf Phoenix-West noch gewöhnungsbedürftig.
Es ist ein atemberaubendes Bürogebäude in einer eigentümlich dynamischen Form, das in insgesamt viereinhalb Jahren Bauzeit auf Phoenix-West entstanden ist. Am bisherigen Standort an der Voßkuhle, wo Materna seit 1990 zu Hause war, war alles sehr vertraut, aber längst auch viel zu eng und teilweise veraltet. Dort gab es für die inzwischen 1800 Beschäftigten zu wenige Büros und Besprechungsräume - und auch keine schallisolierten Boxen für Videogespräche und kein Wohlfühl-Restaurant mit Parkettboden, mit Pflanzenwänden, lindgrünen Polsterstühlen, Polsterbänken und Stehtischen.
An der Robert-Schuman-Straße 20, wo die Mitarbeitenden nun ihre Arbeitsplätze in einer super modernen Arbeitswelt bezogen haben, herrscht in der Nähe zum Rombergpark und mit Blick auf das BVB-Stadion eine durchweg entspannte Atmosphäre. Vor allem im Restaurant, dem sie den doppeldeutigen Namen „Byte“ (Informationseinheit eines Rechners und englisch für Beißen) gegeben haben. „Das Restaurant, das auch für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter benachbarter Firmen hier auf Phoenix-West geöffnet ist, soll nicht nur ein Essensort, sondern auch ein gemütlicher Treffpunkt für Austausch und Erholung sein“, sagt Helmut an de Meulen, der Materna vor über 40 Jahren zusammen mit Winfried Materna als Zwei-Mann-Betrieb gründete.
Erster Auftrag von Nixdorf
Die beiden Informatik-Experten hatten sich damals an der TU Dortmund kennengelernt und sich 1980 selbstständig gemacht. „Unser erster Auftraggeber war der Computerhersteller Nixdorf. Es war die Zeit, als der Commodore C64, der IBM PC und bald auch die ersten Personalcomputer von Apple Macintosh in die deutschen Haushalte und Büros kamen“, sagt Winfried Materna beim Schlendern über die breite Galerie im ersten Stock. „Den Einzug der Computer in die Wirtschaftswelt“, so ergänzt Helmut an de Meulen, „haben wir begleitet, haben die Netzwerke aufgebaut und diese professionell verwaltet. Der Markt war sofort riesig.“

Die Flut an Aufträgen war sehr schnell gar nicht mehr allein zu bewältigen. In den Anfangsjahren wurden vor allem Studenten von der TU als freie Mitarbeiter beschäftigt. „Bis heute bekommen wir unseren Nachwuchs aus der Hochschullandschaft im Ruhrgebiet. Unser typischer Mitarbeiter oder unsere typische Mitarbeiterin ist seit 25 Jahren bei uns und hat eine Dauerkarte beim BVB. Die Beschäftigten sind also hier in Dortmund und Umgebung verwurzelt. Deshalb kam für uns bei der Suche nach einem neuen Standort nur ein Grundstück in Dortmund infrage“, sagt Helmut an de Meulen.



Jetzt stehen die Gründer, die heute noch Mitglieder im sechsköpfigen Aufsichtsrat sind, hoch über der B54 auf der kleinen Außenterrasse der mit einer komfortablen Küche ausgestatteten Skylounge in der fünften Etage des spitz zulaufenden Gebäudeteils, der wegen seiner V-Form an das berühmte Flatiron-Building (Bügeleisen-Gebäude) in New York erinnert. Nicht im Hafen oder auf der Stadtkrone-Ost, wie von der Stadt Dortmund zuerst vorgeschlagen, sondern auf dem ehemaligen Hoesch-Gelände ist ein beeindruckendes Bauwerk entstanden. Mit direktem Blick auf den Signal Iduna Park. „Hier in der Skylounge werden viele Mitarbeitende sicher immer wieder gern zusammenkommen“, sagen die beiden Firmengründer.
150-Millionen-Euro-Bauwerk
Wo einst Stahl gekocht wurde, steht nun ein modernes und nachhaltiges Gebäude (Niedrigenergiestandard KfW 40+), das Materna in eine neue Ära führen soll. Mit sieben Etagen (inklusive Erd- und Zwischengeschoss), 3.700 Fenstern - darunter gebogene Spezialanfertigungen in der Gebäudespitze - und 31 Teeküchen bietet es Platz für die 1.800 Mitarbeitenden in Dortmund. Insgesamt gibt es in dem 300 Meter langen Bau, der mit Abstand das größte Bürogebäude der Stadt ist, 45.000 Quadratmeter Bürofläche.
„Viel zu groß“, sagen manche. Winfried Materna und Helmut an de Meulen, in deren Familienbesitz die Immobilie ist, sagen das nicht. „An der Voßkuhle konnten wir nicht mehr wachsen. In unserer Branche sind wir aber zu Wachstum verdammt. Deshalb haben wir 2018 beschlossen, ein neues Headquarter für die Materna Gruppe zu bauen“, erklärt Winfried Materna. Er räumt ein, dass man nach der Corona-Pandemie wegen des Homeoffice-Trends etwas kleiner geplant hätte: „Jetzt können wir 10.000 Quadratmeter anderweitig vermieten. Einen Teil haben wir bereits an die Verwaltung der Parfümerie-Kette Douglas vermietet.“


Eine solch gigantische Konzernzentrale für eine Bausumme von 150 Millionen Euro, wie sie nun da steht, hat sich Winfried Materna nicht vorzustellen vermocht, als er 1980 die Dr. Materna GmbH gründete. Ist für ihn damit ein Traum wahr geworden? „Nein, ein Traum war das nie“, antwortet er, „es hat sich ja alles über viele Jahre generisch entwickelt. Wir hatten immer einen hohen Grad an Innovation im Unternehmen. Das Gebäude steht jetzt für die jahrzehntelange Entwicklung.“
Fitnessraum heißt „Hardware“
Jedes Detail, von den geräumigen Büros bis zu den gemütlichen Teeküchen, wurde sorgfältig geplant, um eine angenehme Arbeitsatmosphäre zu schaffen. „Wir möchten im Wettbewerb um Talente ein attraktiver Arbeitgeber sein und die Mitarbeitenden aus dem Homeoffice holen“, sagt Helmut an de Meulen. Dazu gehöre auch, ein klimafreundlicher Arbeitgeber zu sein, ergänzt Winfried Materna.
Jedes Mal, wenn er in der Eingangshalle an dem Flatscreen hinter dem Empfang vorbeikommt, der die Stromerzeugung der Solaranlage auf dem Dach anzeigt, guckt er neugierig auf die Diagramme. In diesem Winter allerdings oft auch etwas gefrustet. „An den derzeit oft grauen Tagen erzeugen wir nur fünf Prozent des Stroms, den wir an einem schönen Junitag erzeugen“, sagt er. So oder so, ergänzt er, können die Mitarbeitenden aber ihre E-Autos und E-Bikes während der Arbeitszeit aufladen.


Die Park- und Abstellplätze gibt es auf einem gegenüber liegenden Carport-Areal und auf zwei Parkebenen unter dem 6.000 Quadratmeter großen, dreieckigen Innenhof des Neubaukomplexes. Der liegt auffällig hoch über dem Straßenniveau. „Wegen des schlechten Bodens, in den früher zum Teil Roheisen geschüttet wurde, durften wir nicht in die Tiefe gehen und eine Tiefgarage bauen“, sagt Helmut an de Meulen. „Ja“, ergänzt Winfried Materna, „das Grundstück hier ist das schwierigste auf Phoenix-West. Das Gebäude steht auf 450 Betonsäulen, die 10 bis 40 Meter tief in den Boden ragen. Aber es ist auch das bestgelegene. Die Verkehrsanbindung über die B54 ist sehr gut und man kann in der Mittagspause in den Rombergpark joggen - sofern man da nicht unseren Fitnessraum ‚Hardware‘ oder unseren Yogaraum ‚Software‘ für gezielte Rückenübungen nutzt. Beide Räume werden auf jeden Fall bereits super angenommen.“
Kein fester Arbeitsplatz
Egal, wo man mit den beiden Bauherren in dem riesigen Komplex unterwegs ist, sie schwärmen. Etwa von den offenen Raumstrukturen, dem Shared-Desk-Konzept, bei dem Angestellte keinen festen Arbeitsplatz mehr im Büro haben, sondern an dem Schreibtisch arbeiten, der gerade frei ist. Oder von dem rundherum gläsernen, lichtdurchfluteten, hohen Konferenzraum in der Spitze des Gebäudes. Am meisten allerdings schwärmen sie von der terrassenartigen Landschaftstreppe, auf der man verweilen kann und über die man von der Empfangshalle in den Innenhof, die „grüne Mitte“, kommt. „Die Treppe ist eine Idee unseres Dortmunder Architekten Prof. Eckhard Gerber und ist wirklich ein absolutes Highlight“, sagt Helmut an de Meulen.

Zurück im Restaurant „Byte“ guckt Winfried Materna als Erstes auf den Speisenplan für die Woche. „Morgen gibt es wieder Currywurst“, sagt er frohlockend. So sehr er das vegetarische Angebot schätzt, so sehr liebt er aber auch die Currywurst. Des Öfteren setzt er sich mittags zu den Mitarbeitenden an den Tisch. „Um 12 Uhr ist es hier am vollsten“, hat er festgestellt. Auch wenn er nicht mehr im operativen Geschäft tätig ist, über die Vorgänge im Unternehmen ist er nach wie vor im Bilde. „Man muss loslassen“, sagt er, „aber bei den großen Themen bin ich natürlich involviert.“


Und das größte Thema ist für ihn die rasante Entwicklung der Künstlichen Intelligenz (KI). „Wir machen bereits rund 13 Millionen Euro Umsatz im Jahr mit Künstlicher Intelligenz. KI ist ein riesiges Wachstumsfeld“, sagt Winfried Materna, nimmt einen Schluck seines Cappuccinos und kommt nochmal zurück auf das, was ihm wohl die ganze Zeit schon nicht aus dem Kopf geht: das vermeintlich „zu große“ Gebäude. „Wissen Sie“, sagt er, „die Spracherkennung ist in kurzer Zeit so erstaunlich gut geworden, dass ich keine Mails oder WhatsApp-Nachrichten mehr tippe. Und KI wird in wenigen Jahren überall in unserem Alltag sein. Wie das erste iPhone, das 2007 auf den Markt kam, verändert auch KI die Welt. Und wie damals sind wir als innovative Software- und Digitalisierungsspezialisten gefragt, um einfache Anwendungen zu ermöglichen. Es ist also gut, dass wir hier auf Phoenix-West noch Wachstumsmöglichkeiten haben.“
Dieser Artikel erschien ursprünglich am 11. Februar 2025.
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