Krieg in der Ukraine

„Dann gibt‘s kein Bier mehr“ – Dortmunds Industrie sieht Bedrohung durch Gas-Krise

Um die Gasspeicher für den Winter zu füllen, soll jetzt Gas gespart werden. Das ist der Plan von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Gibt es in der Industrie überhaupt Sparpotenzial?

Dortmund

, 23.06.2022 / Lesedauer: 4 min

Die Sonne scheint, es ist warm, es ist Sommer. Mit Sorge blicken aber Dortmunder Industrieunternehmen auf den nächsten Herbst und Winter. Nachdem Russland seine Gaslieferungen massiv gedrosselt hat, stellen sie sich die Frage, ob es genug Gas gibt, wenn in einigen Monaten in den privaten Haushalten die Heizungen wieder hochgedreht werden.

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) appelliert, jetzt weniger Gas zu verbrauchen, damit das Gas, das derzeit noch aus Russland kommt, für das Auffüllen der Speicher für den Winter genutzt werden kann. Am Donnerstagvormittag hat er die zweite Eskalationsstufe im Notfallplan Gas ausgerufen

Beim Flachstahlproduzenten Thyssenkrupp auf der Westfalenhütte, Dortmunds wohl größtem Gasverbraucher, reagiert man darauf deutlich. „Grundsätzlich optimieren wir unsere Prozesse kontinuierlich auch hinsichtlich des Energieeinsatzes, so dass zusätzliche Einsparpotenziale bei Erdgas nur sehr geringfügig vorhanden sind. Eine Umstellung von Erdgas auf Erdöl oder Kohle ist in unseren Produktionsprozessen nicht möglich“, heißt es auf eine Anfrage unserer Redaktion.

Thyssenkrupp arbeitet mit verschiedenen Szenarien

Thyssenkrupp bereitet sich folglich in verschiedenen Szenarien derzeit auf eine Unterbrechung oder eine Einschränkung der Erdgasversorgung vor. Das Unternehmen erklärt: „Einschränkungen in der Versorgung sind zugleich mit Einschränkungen in der Produktion verbunden, können von uns aber bis zu einer bestimmten Schwelle begleitet werden. Ein Mindestbezug ist zur Aufrechterhaltung unserer Produktion aber unverzichtbar. Andernfalls sind Stilllegungen und technische Schäden an unseren Aggregaten nicht auszuschließen.“

Jetzt lesen

Sehr konkret beschäftigt man sich auch bei Anker Schroeder, einem Spezialisten für schwere Verankerungstechnik aus Stahl an der Hannöverschen Straße in Wambel, mit einer Gas-Krise. „Wir gehen fest davon aus“, sagt Betriebsleiter Jürgen Kämpchen, „dass bestimmte Anlagen im Winter nicht mehr betrieben werden können. Das wäre dann eine hohe Belastung für das Unternehmen und unsere 100 Beschäftigten. Die betroffenen Mitarbeiter würden wir aber auf jeden Fall halten, es gibt schließlich sowieso schon einen Fachkräftemangel und erfahrene Mitarbeiter sind ein Stück weit unser Kapital. Die Betroffenen müssten dann andere Arbeiten übernehmen.“

Anker Schroeder blickt Gaspreis-Explosion entgegen

Bisher kann man bei Anker Schroeder noch auf die bestehenden Gas-Lieferverträge zählen und auf mittlere Sicht noch Planungssicherheit. „Wenn die Verträge auslaufen, droht uns aber eine Vervielfachung des Gaspreises, da wir bisher besonders günstige Konditionen hatten“, so Jürgen Kämpchen.

Sofortige Einsparmöglichkeiten gebe es für Anker Schroeder nicht, man mache sich aber natürlich Gedanken, wie man sich mittelfristig von Erdgas aus Russland lösen könne. „Wir könnten auf Flüssiggas umstellen, müssten dann aber die Brennertechnik an den Öfen ändern und entsprechende Anlagen genehmigungspflichtig neu bauen. Das ist aber nicht von heute auf morgen zu schaffen, da reden wir über einen Zeithorizont von sechs bis zehn Jahren“, sagt der Betriebsleiter.

Jetzt lesen

Auch die Dortmunder Brauereien nutzen ausschließlich Gas als Energiequelle, haben bereits kontinuierlich in ressourcenschonende Anlagen investiert und blicken jetzt auf eine Gaspreissteigerung um 430 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat.

Dortmunder Brauereien nutzen bereits Abwärme

„Auch, wenn wir weiterhin an Einsparmaßnahmen arbeiten: Fundamentale Prozessoptimierungen zur Milderung des hohen Kostendrucks lassen sich weder über Nacht stemmen noch sind diese physisch unbegrenzt möglich. Daher bereitet uns eine weitere mögliche Verknappung von Gas in Deutschland bis hin zu einem Embargo durchaus Sorgen“, sagt Geschäftsführer Uwe Helmich.

Erst im vergangenen Jahr nahmen die Dortmunder Brauereien eine neue Dosenabfüllanlage in Betrieb. Laufend werde in ressourcenschonende Anlagen investiert, sagt Geschäftsführer Uwe Helmich. Und: „Inwieweit weitere Maßnahmen kurzfristig unsere Verbräuche nochmals senken können, prüfen wir.“ © Dortmunder Brauereien/Heinze

Man habe bereits hochmoderne Anlagen einschließlich der Wiederverwertung ihrer Abwärme. „Inwieweit weitere Maßnahmen kurzfristig unsere Verbräuche nochmals senken können, prüfen wir natürlich. Langfristig werden wir weiter in unsere Technik investieren und dabei auch die Nutzung alternativer Energieträger ins Auge fassen“, so Uwe Hellmich.

Thomas Raphael, Chef der Bergmann Brauerei, verweist auf die Hitzeprozesse beim Bierbrauen, für die Gas unabdingbar ist. „Bei einem Gasstopp gibt‘s kein Bier mehr“, sagt er. © Bergmann Brauerei/L. Goegel

Bei der kleinen, privaten Bergmann Brauerei auf Phoenix-West weiß Gründer und Geschäftsführer Dr. Thomas Raphael, was passiert, wenn es kein Gas gibt. „Wir brauchen Gas für die Erhitzung beim Maischen und für das Hopfenkochen. Bei einem Gasstopp gibt‘s dann kein Bier mehr“, sagt er. Bei einem Gasengpass, so glaubt er, werde seine Brauerei als Genussmittel-Produzent wohl nicht versorgt. „Das macht mir Kummer“, so Thomas Raphael.

IHK sieht Unternehmen in ihrer Existenz bedroht

Diesen Kummer teilt auch Stefan Schreiber, der Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer zu Dortmund. „Zwar ist die Versorgung mit Gas kurzfristig noch gesichert, dennoch sind die Unternehmen über die Branchen hinweg in allerhöchster Sorge.

Es seit gut, dass die Bundesregierung die Weitergabe der höheren Gaspreise an die Kunden trotz bestehender Verträge aktuell nicht ermögliche und selbst inzwischen die großen Nachteile eines solchen Verfahrens sehe. „Es muss jetzt bei den unvermeidbaren Kostenbelastungen ein fairer Ausgleich zwischen den Gasversorgern und den Gaskunden geschaffen werden. Sonst besteht die Gefahr, dass insbesondere Unternehmen in der energieintensiven Industrie ihre Produktion einstellen und in der Folge Insolvenzen drohen“, so Schreiber.

Der IHK-Hauptgeschäftsführer plädiert dafür, den Unternehmen den kurzfristigen Umstieg von Gas auf Heizöl oder Kohle zu erlauben: „Dem stehen bislang aber noch umweltrechtliche Vorschiften im Weg. Auch sollten die staatlichen Notfallzahlungen kurzfristig auf gasintensive Betriebe ausgeweitet werden.“

Vielen Dank für Ihr Interesse an einem Artikel unseres Premium-Angebots. Bitte registrieren Sie sich kurz kostenfrei, um ihn vollständig lesen zu können.

Jetzt kostenfrei registrieren

Einfach Zugang freischalten und weiterlesen

Werden auch Sie RN+ Mitglied!

Entdecken Sie jetzt das Abo, das zu Ihnen passt. Jederzeit kündbar. Inklusive Newsletter.

Bitte bestätigen Sie Ihre Registrierung

Bitte bestätigen Sie Ihre Registrierung durch Klick auf den Link in der E-Mail, um weiterlesen zu können.
Prüfen Sie ggf. auch Ihren Spam-Ordner.

E-Mail erneut senden

Einfach Zugang freischalten und weiterlesen

Werden auch Sie RN+ Mitglied!

Entdecken Sie jetzt das Abo, das zu Ihnen passt. Jederzeit kündbar. Inklusive Newsletter.

Sie sind bereits RN+ Abonnent?
Jetzt einloggen