
Der Grünen-Politiker Jacques Armel Dsicheu Djiné hat schon häufig negative Erfahrungen mit der Polizei gemacht. Das hat das Vertrauen erschüttert. © Kevin Kindel
„Ich würde niemals die Polizei rufen – das sage ich auch meiner Tochter“
Kritik an Dortmunder Polizei
Der Fall des getöteten 16-Jährigen in der Nordstadt fördert die Wut auf die Polizei vieler Menschen mit Migrationsgeschichte zu Tage. Sie schwelt schon lange. Das Misstrauen ist groß.
Der Fall des in der Nordstadt durch Polizeischüsse getöteten 16-Jährigen wühlt Menschen deutschlandweit auf. In sozialen Netzwerken mischt sich Unverständnis über das Vorgehen der Polizei mit Vorwürfen, die wiederum mit der Verteidigung der Beamten von anderer Seite kollidieren. Spricht man mit Menschen, die eine Migrationsgeschichte haben und im Viertel rund um die Holsteinerstraße leben, schlägt einem meist Wut entgegen – zumindest aber ein generelles Misstrauen gegenüber der Polizei.
Die tödlichen Polizeischüsse lassen die Wut aktuell hochkochen, das Misstrauen schwelt bei vielen aber schon deutlich länger. Woher dieses Misstrauen kommt, wird am Dienstagabend bei einer spontanen Demonstration anlässlich der tödlichen Schüsse auf dem Kurt-Piehl-Platz deutlich.
Antifaschistische Gruppen haben ein Mikrofon aufgestellt, an dem die Menschen ihrer Trauer und ihrer Wut Ausdruck verleihen können. Ein Verstärker verbreitet ihre Stimmen über den Platz. Viele Menschen aus dem Viertel treten ans Mikro.
„Wir sind noch nicht laut genug, nicht wütend genug“
Darunter auch ein Mann um die 30. Er zählt mit lauter Stimme auf: „Draußen wirst du kaputt geschlagen, im Auto wirst du kaputt geschlagen, in der Zelle wirst du kaputt geschlagen.“ Die, die schlagen, sind die Polizeibeamten, sagt er. Wütend tritt eine Frau ans Mikrofon: „Ich habe keinen Bock mehr, das alles aufzuzählen. Wir leben das jeden Tag. Wir sind noch nicht laut genug, nicht wütend genug.“ Eine unabhängige Kontrolle der Polizei wird gefordert, Aufklärung im Fall des 16-jährigem Mouhamed D.

Ich habe persönlich Angst vor der Polizei. Das zuzugeben tut mir weh, denn ich will eigentlich keine Angst bei mir tragen, sondern nur Liebe, aber das ist eine Tatsache, sagt der Dortmunder William Dountio. © Robin Albers
Auch William Dountio spricht auf dem Kurt-Piehl-Platz. Während der anschließenden Spontan-Demo zur Polizeiwache Nord teilt er seine Erfahrungen: „Ich habe Angst vor der Polizei. Das zuzugeben, tut mir weh, denn ich will eigentlich keine Angst bei mir tragen, sondern nur Liebe, aber das ist eine Tatsache.“ William Dountio kommt aus Kamerun – wie viele seiner Freunde ist er schwarz. Ständig werde er kontrolliert, sagt er.
Schon kleine Situationen würden reichen, um eine Kontrolle eskalieren zu lassen. Einmal in der Wohnung eines Freundes seien Beamte aggressiv und später gewalttätig gegen sie vorgegangen, obwohl sie nur die Musik zu laut gehabt hätten.
„Ich habe die Polizei angerufen, aber es ist niemand gekommen“
„Dass Menschen mit Migrationsgeschichte eher misstrauisch gegenüber der Polizei sind, kann ich nur bestätigen“, sagt der SPD-Landtagsabgeordnete Volkan Baran. Die Eltern des heute 43-Jährigen sind als sogenannte Gastarbeiter aus der Türkei gekommen. Zu seinem Wahlkreis gehört auch die Dortmunder Nordstadt. Hier gibt es eine Menge Arbeit, was das Image der Polizei angeht.
Das liege an den Erfahrungen, die die Menschen mit den Beamten machen würden. „Immer wieder erzählen Bewohner der Nordstadt mir: ‚Ich habe die Polizei angerufen, aber es ist niemand gekommen‘“, sagt Baran. Das schaffe natürlich kein Vertrauen. Es entstehe der Eindruck, die Polizei interessiere sich nicht für einen. „Im Mikrokosmos Nordstadt spricht sich das rum.“

Der Dortmunder SPD-Landtagsabgeordnete Volkan Baran stellt in seinem Wahlkreis, zu dem auch die Nordstadt gehört, ein Misstrauen gegenüber der Polizei fest. © Dieter Menne Dortmund
Das Problem gebe es schon länger, sagt Baran. Seiner Auffassung nach sei die Polizei sehr bemüht und präsent und grundsätzlich sei er auch zufrieden mit ihrer Arbeit. „Aber es ist der Job der Polizei zu kommen, wenn sie wegen einer Schlägerei gerufen werden – auch wenn das im Verhältnis nur eine Lappalie für die Beamten ist.“
Thorsten Seiler ist Vertreter der Gewerkschaft der Polizei in Dortmund. Er war selbst viele Jahre im Einsatz in der Nordstadt. Seine Erfahrung: Das Vertrauensverhältnis zwischen Bürgern und Polizei in der Nordstadt sei nicht belasteter als woanders. Er spricht von zahlreichen Einsätzen, bei denen es auch positive Rückmeldungen der Einwohnerinnen und Einwohner gebe.
Der aktuelle Fall des getöteten Mouhamed lasse vieles hochkochen, glaubt wiederum Baran. „Bei vielen macht sich der Gedanke breit: So wie die Polizei mich behandelt hat, könnte das auch ich sein.“ Da gibt es tausend Baustellen und noch extrem viel Arbeit, was das Image der Polizei angeht.
„Wenn man nervös wird, ist das sofort verdächtig“
Die Polizei und der Umgang mit ihr sei eines der Hauptthemen beim Verein Train of Hope in der Münsterstraße, sagt Jamil Alyou. Alyou ist 2015 als syrischer Geflüchteter nach Deutschland gekommen, sitzt im Integrationsrat der Stadt und leitet für den Verein den Bereich „Politische Bildung international.“ Das Angebot von Train of Hope richtet sich insbesondere an geflüchtete Jugendliche und Jugendliche mit Zuwanderungshintergrund, zwangsläufig ginge es dann auch um die Polizei, sagt Alyou.

Jamil Alyou vom Verein Train of Hope komme selbst immer wieder in Situationen, in denen er anlasslos von der Polizei kontrolliert werde, sagt er. Viele geflüchtete Menschen hätten dieses Problem. © Mustafa Sirin
Jugendliche würden immer wieder berichten, dass sie grundlos von der Polizei auf der Straße gestoppt würden. Er sieht darin eine strukturelle Diskriminierung durch die Polizei. „Ein Mitarbeiter von uns ist letztens an einer Polizeiwache vorbeigerannt. Er war spät dran und wollte pünktlich zu unserem Treffen kommen. Deshalb hat er sich beeilt“, erzählt Alyou. Die Beamten hätten ihn mit der Begründung gestoppt, dass er auch eine rote Jacke anhabe wie ein Mann, den sie vor ein paar Tagen gesucht haben.
„Der Kollege sah ihm nicht mal ähnlich. Wenn man in einer solchen Situation nervös wird, ist das für die Beamten sofort verdächtig.“ Der Ton sei oft rau. „Wenn man immer wieder solche Erlebnisse hat, steigt das Misstrauen gegenüber der Polizei“, sagt Alyou. Hinzu käme, dass Geflüchtete in ihren Heimatländern häufig schlechte Erfahrungen mit der Polizei gemacht hätten. Er selbst würde in der Nordstadt ständig kontrolliert, sagt er.
„Ich würde niemals die Polizei rufen“
Auch Jacques Armel Dsicheu Djiné, Ratsmitglied der Grünen in Dortmund und Mitglied im Integrationsrat kennt das. „Ich könnte nicht mehr aufzählen, wie oft ich in den zwölf Jahren, die ich in Dortmund lebe, schon kontrolliert worden bin“, sagt der gebürtige Kameruner. „Ich würde niemals die Polizei rufen“, sagt Djiné. „Die Polizei ist nicht mein Freund. Das sage ich auch meiner Tochter.“
Mehrmals sei er schon nach Drogen durchsucht worden, habe spontane Drogentests machen müssen. Seine Dreadlocks habe er sich abgeschnitten, damit er nicht mehr so auffalle, sagt Djiné. Das käme praktisch überall in Dortmund vor. In der Nordstadt sei es aber besonders häufig. „Wenn wir als Gruppe mit mehreren schwarzen Menschen über die Straße laufen, werden wir kontrolliert“, sagt der Grünen-Politiker.
„Wie dann mit uns gesprochen wird, ist respektlos“, sagt Djiné. „Wenn Polizisten mich mit Respekt behandelt haben, war das komischerweise immer in irgendwelchen Workshops, auf der Straße nie.“ Er würde selbst nie die Polizei rufen, sagt er noch einmal. „Am Ende werde ich selbst verdächtigt.“
Wie könnte es aber eine Besserung im Umgang der Polizei mit Menschen mit Migrationsgeschichte geben?
„Ich kann verstehen, dass Beamte manchmal auch Angst haben“
„Wir sehen, wie wichtig der Austausch mit der Polizei ist“, sagt Jamil Alyou von Train of Hope. Sensibilisierungskurse für die Beamten würden fehlen. Man wolle deshalb so ein Angebot für Polizeischüler bei Train of Hope schaffen.
Volkan Baran schlägt ein stärkeres Rotationsverfahren in Stadtteilen wie der Nordstadt vor, damit Beamte dort nicht zu lange eingesetzt sind und eine gewisse Abgestumpftheit bei den Beamten aufgrund regelmäßig belastender Situationen gar nicht erst einsetze.
William Dountio fordert eine längere und bessere Ausbildung. „Die Polizei sollte darin geschult werden, mit den Bürgern und mit unberechenbaren Menschen ruhig kommunizieren zu können.“ Zurzeit habe er das Gefühl, dass sie nicht mal versuchen, die Menschen, die sie vor sich haben, zu verstehen.
„Ich würde mich freuen, wenn Polizisten in unserer Stadt und in Deutschland generell in ihrem Dienst auch Zivildienste haben, in denen es nur darum geht, mit der Bevölkerung zu interagieren – Fußball spielen zum Beispiel mit Kindern und Erwachsenen“, sagt Dountio. „Ich kann verstehen, dass Beamte manchmal auch Angst bei ihrer Arbeit haben, aber sie würden weniger Angst haben, wenn sie mehr Bezug zum Leben ihrer Mitmenschen in deren Viertel hätten. Davon bin ich überzeugt.“
Als gebürtiger Dortmunder bin ich großer Fan der ehrlich-direkten Ruhrpott-Mentalität. Nach journalistischen Ausflügen nach München und Berlin seit 2021 Redakteur in der Dortmunder Stadtredaktion.
