
Dr. Rafael Behr, Kriminologe (links) und Professor für Polizeiwissenschaften sowie der Waffensachverständige Lars Winkelsdorf haben ihre Einschätzung zu den tödlichen Schüssen aus einer Maschinenpistole abgegeben. © privat
16-Jähriger mit Maschinenpistole erschossen: Gezielte Schüsse oder Unfall?
Experten äußern sich
Könnte der Polizist versehentlich so oft mit der Maschinenpistole auf den 16-Jährigen geschossen haben? Waffenexperte Lars Winkelsdorf und Kriminologe Dr. Rafael Behr geben eine Einschätzung ab.
Nach den tödlichen Schüssen eines Polizisten auf einen 16-Jährigen am Montag (8.8.) in der Dortmunder Nordstadt geht der Waffensachverständige und Journalist Lars Winkelsdorf davon aus, dass der Beamte gezielt auf den jungen Mann gefeuert haben muss. Dass der Polizist sechsmal hintereinander versehentlich mit seiner Maschinenpistole schoss, sei „weitestgehend ausgeschlossen“, sagt der 45-Jährige Hamburger.
Der 16-Jährige soll Polizisten bei einem Einsatz an einer Einrichtung der Jugendhilfe mit einem Messer angegriffen haben. Daraufhin fielen die Schüsse, die den Jugendlichen in Bauch, Kiefer, Schulter und Unterarm trafen. Fünf Schüsse trafen, einer nicht. Trotz Notoperation im Krankenhaus erlag der 16-Jährige seinen Verletzungen.
Was das Trefferbild aussagt
Lars Winkelsdorf, der 2012 auch schon vom Innenausschuss des Deutschen Bundestags zum Waffengesetz gehört wurde, mutmaßt, dass die Maschinenpistole auf Einzelfeuer eingestellt war. Das hieße, dass der Polizist sechsmal den Abzug betätigt haben muss.
Dass die Waffe auf Dauerfeuer eingestellt war, hält Winkelsdorf für unwahrscheinlich. „Dann hätte sich ein anderes Trefferbild ergeben“, so der Waffen-Experte. Vermutlich hätten dann nur die ersten zwei oder drei Schüsse getroffen und die weiteren aufgrund einer durch den Rückstoß bedingten Streuung nicht. Bei Dauerfeuer schieße die Waffe, solange man den Abzug betätigt. Gewöhnliche Polizeikräfte seien für eine solche Einstellung auch gar nicht trainiert, betont Winkelsdorf.
MP5 als Standard-Ausrüstung
Der Waffensachverständige ergänzt, dass eine Maschinenpistole zur Standardausrüstung eines Einsatzwagens der Polizei gehöre. Die Verwendung dieser Waffe sei bei einer Gefahrenlage nicht ungewöhnlich.
Der Kriminologe Dr. Rafael Behr sieht hingegen „große Fragezeichen“ beim Einsatz der Maschinenpistole vom Typ MP5. „Wäre diese Waffe nicht im Wagen gewesen, wäre sie nicht zum Einsatz gekommen“, stellt der Professor für Polizeiwissenschaften, der an der Akademie der Polizei Hamburg lehrt, fest. Dabei könne man den Beamten vor Ort jedoch keinen Vorwurf machen. Denn so sei die Vorschrift.
„Führungslose“ Polizisten?
Er ist der Meinung, dass bei der Polizei teils an den falschen Stellen aufgerüstet werde. Stelle man fest, dass sich Messerangriffe häufen, müsse man auf genau diese Situation reagieren. Behr nennt beispielsweise Stangen, mit denen man Angreifer auf Distanz halten könne, sowie Kettenhemden, mit denen sich etwa SEK-Kräfte vor Messerstichen schützen.
Anders als Winkelsdorf geht Behr davon aus, dass die Waffe des Polizisten versehentlich auf Dauerfeuer eingestellt war. „Die Trefferverteilung deutet auf einen Unfall hin“, sagt der Kriminologe. „Ich bin weit entfernt davon, Absicht zu unterstellen.“ Als Hintergrund vermutet Behr einen „fehlgeleiteten Einsatz“. Die elf Polizisten vor Ort seien womöglich „führungslos“ gewesen. Und: „Irgendjemand muss einen Anlass gesehen haben, die Maschinenpistole aus dem Wagen zu nehmen.“
Der Tod des 16-Jährigen hätte „unter glücklicheren Umständen“ wohl verhindert werden können, ergänzt Behr. Zu den „unglücklichen Umständen“ des Einsatzes zählt der Kriminologe insbesondere den Einsatz der Maschinenpistole.
Die Dortmunder Staatsanwaltschaft prüft, ob der Einsatz einer solchen Waffe gerechtfertigt war sowie alle Hintergründe des Falls.
1985 in Bochum geboren, Ruhrgebiets-Liebhaber und BVB-Fan. Nach journalistischen Stationen in Braunschweig und Borken jetzt zurück im Pott. Auf der Suche nach tollen Geschichten über interessante Menschen aus Dortmund.
