Soziales
„Ich bin arm!“ Dortmunder redet offen über Existenzängste
Seine eigene Armut hat einen Dortmunder dazu gebracht, sich für Menschen am Existenzminimum einzusetzen. Er spricht offen über seine Existenzängste und die Probleme, die es zu lösen gilt.
David Hinder ist von Armut betroffen. Daraus macht der 39-Jährige Dortmunder keinen Hehl - zumindest nicht mehr. „Leider ist für viele Menschen die eigene Armut immer noch mit Scham verbunden. Dabei kann es jeden treffen, da reicht schon ein Unfall, eine Krankheit. Die Leute geraten aus dem Tritt und es entwickelt sich eine Abwärtsspirale, die häufig in einer Depression endet.“ Obwohl viele der gesellschaftlichen Missstände, die die Schere zwischen Arm und Reich auseinander treiben, bekannt seien, würde die Politik an den entscheidenden Stellen nicht tätig, so der Dortmunder. Darauf möchte er aufmerksam machen. Auch Hinder hat sich seine Situation nicht ausgesucht, wie er erzählt. „Eigentlich hatte ich eine gute Ausgangslage. Mein Vater war freischaffender Journalist und hat gutes Geld verdient. Als ich 17 Jahre alt war, hat er meine Mutter, meine jüngere Schwester und mich verlassen und ist mit einer anderen Frau nach Rumänien gegangen. Meine Mutter war bis dato Hausfrau und von der Situation überfordert. Für mich bedeutete das damals, dass ich anfangen musste, Geld zu verdienen. Mein erster von vielen Jobs im Niedriglohnsektor war eine Anstellung bei McDonalds, wo ich 6,13 Euro die Stunde bekommen habe.“
13,8 Millionen Menschen von relativer Armut betroffen
Heute ist David Hinder eine von immer mehr Personen, die mit ihrer schwierigen Finanzlage an die Öffentlichkeit gehen. Von relativer Armut betroffen ist laut dem Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband jeder, der lediglich 60 Prozent des durchschnittlichen deutschen Monatseinkommens zur Verfügung hat - das entsprach laut dem statistischen Bundesamt im Jahr 2021 einem Bruttoverdienst von bis zu 2460 Euro. Deutschlandweit betrifft das 13,8 Millionen Menschen.Unter dem Hashtag „ichbinarmutsbetroffen“ organisieren sich Menschen deutschlandweit, um auf soziale Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen. © picture alliance/dpa
Leben an der Grenze zum Existenzminimum
Er kann seine 30-Quadratmeter-Wohnung bezahlen und sich mit Lebensmitteln versorgen. Große Sprünge seien für ihn jedoch nicht drin. „Es reicht, dass mal etwas im Haushalt kaputtgeht, und ich muss bei den Lebensmitteleinkäufen sparen.“ Die Anhebung des Mindestlohns unter der aktuellen Regierung sei angesichts der Inflation verpufft, davon würde er nicht viel merken. Vielmehr kenne er viele, die aufgrund der steigenden Gas-, Strom- und Lebenshaltungskosten noch weiter in die Existenzangst gedrängt würden.„Manche Dinge verstehe ich nicht und verstehe auch nicht, warum der Staat da untätig bleibt. Ein Thema ist Kinderarmut. Die können nun wirklich nichts für ihre Situation. Trotzdem leben in Deutschland 12,9 Prozent der Kinder von Hartz IV. Nicht nur, dass die teilweise im Mangel leben, das macht ja auch etwas mit dir, wenn dir in der Entwicklung immer wieder suggeriert wird, du bist weniger wert.“
„Dann gibt es Tätigkeiten, die einfach unterbezahlt sind. Ein Beispiel sind die Pflegehilfen an den Krankenhäusern. Wir sind eine immer älter werdende Gesellschaft, die händeringend Pflegepersonal sucht. Diese Leute machen häufig die gleiche Arbeit wie die staatlich geprüften Pflegekräfte und verdienen brutto durchschnittlich 2175 Euro. Das ist zu wenig und kein finanzieller Ausgleich für die körperlich anstrengende Tätigkeit, die diese Menschen ausüben.“
Mehr Anerkennung und Augenhöhe im Miteinander
„Ein dritter Punkt ist der Bereich Erwerbsunfähigkeit. Es gibt einfach Menschen, die wegen körperlicher oder seelischer Verletzungen nicht mehr arbeiten können. Die durchschnittliche Erwerbsminderungsrente beträgt aber nur 882 Euro. Das ist zu wenig.“
Für diese Bereiche möchte David Hinder mit seinem Engagement mehr Bewusstsein schaffen. „Da geht es auch darum, dass diese Menschen mehr Anerkennung bekommen, finanziell aber auch für ihre Mühe. In Deutschland dreht sich viel um den eigenen gesellschaftlichen Status. Der hängt stark mit dem Renommee des eigenen Jobs zusammen. Wir müssen uns wieder mehr auf Augenhöhe begegnen und auch die schlechter bezahlten Berufsgruppen anerkennen und fair entlohnen.“In seine eigene Zukunft blickt David Hinder mittlerweile optimistisch. Sein Engagement hat ihm zu einem großen sozialen Netzwerk verholfen und ihm damit eines der wichtigsten Güter verschafft: gesellschaftliche Teilhabe. Leute die sich engagieren möchten, lädt er ein, sich unter dem Hashtag „ichbinarmutsbetroffen“ zu vernetzen.
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