Dortmunder Schüler gedenken ermordeter Juden "Ich bin manchmal den Tränen nahe"

Schüler gedenken ermordeter Juden: "Ich bin manchmal den Tränen nahe"
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Es ist eine kleine Geste, aber sie hat eine hohe Symbolik: Jedes Jahr am 9. November verlegen Schüler und Schülerinnen der Heinrich-Böll-Gesamtschule (HBG) in Lütgendortmund eine Unterrichtsstunde in die Einkaufsstraße des Stadtteils. Dort polieren sie am Jahrestag der Reichspogromnacht Stolpersteine. Die kleinen im Boden verlegten Messingsteine erinnern an im NS-Regime ermordete Juden, die in den Häusern gelebt haben, vor denen die Steine liegen.

Einer dieser Quader ist im Boden vor dem Optikerladen Enste eingelassen. Dort versammelten sich am Mittwochmorgen (9.11.) fast 40 Neunt- und Zehntklässler der HBG mit Geschichtslehrerin Zeynep Gündogdu und Schulleiter Tobias Schnitker zu der Putzaktion und einem kleinen Gedenken. Schnitker mahnte, wie wichtig es ist, die Erinnerung an die Gräueltaten und die Opfer der Nationalsozialisten wach zu halten. Ganz besonders, da es immer weniger Zeitzeugen gibt. Er habe noch das Glück, einen solchen zu haben: „Mein Vater lebt noch, er musste mit 15 Jahren in den Krieg ziehen, wenn er in einer stillen Stunde von der Zeit erzählt, wird sie für mich lebendig.“

Schüler und Schülerinnen der Heinrich-Böll-Gesamtschule versammelten sich mit ihrem Schulleiter Tobias Schnitker rund um einen Stolperstein, um der ermordeten Juden zu gedenken.
Schüler und Schülerinnen der Heinrich-Böll-Gesamtschule versammelten sich mit ihrem Schulleiter Tobias Schnitker (l.) rund um einen Stolperstein, um der ermordeten Juden zu gedenken. © Natascha Jaschinski

Schweigeminute am Stolperstein

Diese Unterhaltungen könnten aber nicht mehr viele führen. Umso wichtiger seien Aktionen wie das Putzen der Stolpersteine, die nicht vergessen lassen sollen, „was unser Volk einmal angerichtet hat“.

Nach einer Schweigeminute, einigen Gedichten, kleinen Vorträgen zu Reichspogromnacht und Judenverfolgung sowie vielen Statements gegen Rassismus, holten die Schüler Sprayflasche und Schwämme hervor. Doch so sehr die 16-jährige Fabienne auch schrubbte – recht glänzen wollte der Stein zunächst nicht. Das Problem, das Schulleiter Schnitker schnell ausmachte: Im Wasser war nur normales Spülmittel. „Das reicht nicht.“

Zwei Schüler der Heinrich-Böll-Gesamtschule putzten mit ihrer Geschichtslehrerin Zeynep Gündogdu Stolpersteine in der Limbecker Straße in Lütgendortmund.
Die Schüler schäumten die Steine mit verschiedenen Putzmitteln ein, damit sie richtig glänzten. Geschichtslehrerin Zeynep Gündogdu half. © Natascha Jaschinski

Schüler schrubbten lange

Doch die Schüler wussten sich zu helfen: Kurzerhand besorgten einige im Ort einen Edelstahlreiniger, andere holten aus der Schule noch Scheuermilch. Nachdem der Stein erneut mit beidem kräftig einschäumt worden und minutenlang geschrubbt worden war, kam der Messingglanz hervor und Fabienne und ihre Mitschüler zogen mit den Schwämmen weiter zum Stolperstein, der vor dem Schreibwarengeschäft Köhler verlegt ist.

„Ich finde diese Aktion sehr gut“, sagte die Neuntklässlerin. „Wenn man mir von der Zeit erzählt oder ich gar Filme darüber schaue, dann bin ich manchmal den Tränen nahe“, so die 16-Jährige. Eva (15) und Emilia (16) fanden es ebenfalls sehr wichtig, aber auch sehr „bedrückend“ an den Stolpersteinen zu stehen. „Es wirkt alles so normal, es ist ein ganz normales Haus“, sagte Eva. Und trotzdem wisse man: Hier hat ein „unschuldiger Mensch“ gewohnt, der nur aufgrund seiner Religion von den Nazis ermordet worden ist. Fabienne brachte es auf den Punkt: „Das hätte nie geschehen dürfen.“

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