Jüdisches Leben im Dortmunder Westen Else und Salomon Heimberg wurden nach Riga deportiert

Jüdisches Leben: Else und Salomon Heimberg wurden nach Riga deportiert
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Es sind nur zwei Stolpersteine, die geblieben sind. Zwei quadratische messingfarbene Mahnmale, die seit 2006 die gleichmäßige Pflasterung vor dem Haus an der Williburgstraße 6 unterbrechen. Ein Stolperstein für jedes Opfer des Nationalsozialismus, das hier einst gelebt hat.

In dem Haus lebte bis 1942 das Ehepaar Heimberg. Else, geborene Bachmann, war 48 Jahre alt, als sie auf eine Fahrt geschickt wurde, die der Historiker Rolf Fischer eine „Höllenfahrt“ nennt.

Else und ihr Ehemann Salomon sind zwei Dortmunder, die am 27. Januar 1942 nach Riga deportiert wurden. Zwei Schicksale, die die grausame Willkür und den Rassenwahn des Nationalsozialismus greifbar werden lassen.

Am 9. November wird an die Novemberpogrome von 1938 gedacht. Damals brannten im vielen deutschen Städten Synagogen. Jüdische Geschäfte, Betstuben und Friedhöfe wurden zerstört. Am 10. November starteten die ersten Deportationen in Konzentrationslager.

Das Ehepaar Heimberg lebte zu der Zeit noch in Mengede. Wann Salomon nach Mengede zog, lässt sich nicht eindeutig rekonstruieren. Der Kaufmann stammte ursprünglich aus Westerholt. Die Webseite „Jüdische Dortmund“ vermutet, dass das Ehepaar seit 1892 in Mengede ansässig war.

Von 1933 bis zum Januar 1942 dezimierte sich die Zahl der jüdischen Gemeinde in Dortmund drastisch. Rund 4600 Mitglieder zählte sie zu Beginn des Nationalsozialismus. Später waren es dann nur noch rund 1200 jüdische Bürgerinnen und Bürger.

„Höllenfahrt“ nach Riga

Die Deportation, zu der auch die Heimbergs gezwungen wurden, war die erste große, reguläre Deportation von Dortmund aus. Historiker Rolf Fischer erklärt, dass mit diesem Akt die „systematische Ermordung der Dortmunder Juden“ einsetzte.

Es gibt nur sehr wenige Zeitzeugenberichte zu den Ereignissen von Januar 1942. Jeanette Wolff überlebte den Holocaust, war später SPD-Bundestagsabgeordnete, sie legte Zeugnis ab, berichtete über das, was sie vor und während der Fahrt nach Riga erlebte.

Am 23. Januar, also vier Tage vor Antritt der „Höllenfahrt“ nach Riga, mussten 332 Jüdinnen und Juden in einer Sammelstelle ausharren. Die Nazis hatten einen Saal der Gaststätte „Zur Börse“ an der Steinstraße dazu auserkoren. Die Menschen waren dort „unter erbarmungswürdigen Verhältnisse“ untergebracht, wie Rolf Fischer im Gedenkbuch „Verfolgung und Vernichtung: die Opfer der Shoah“ schreibt. Die Heimbergs aus Mengede waren wohl zwei dieser 332 Menschen.

Wahrscheinlich ist, dass auch weitere Bewohner des Hauses an der Williburgstraße unter den Opfern waren. Denn die Nationalsozialisten hatten das Haus als sogenanntes „Judenhaus“ genutzt. Das bedeutet, Jüdinnen und Juden wurden dort zwangsweise eingewiesen, nachdem sie aus ihren eigenen Wohnungen vertrieben worden waren. „Judenhäuser dienten als Sammellager, bevor ihre Bewohnerinnen und Bewohner deportiert und ermordet wurden“, heißt es auf der Webseite „jüdisches Dortmund“.

Der Historiker Dr. Rolf Fischer auf dem früheren Bahnareal an der Treibstraße. Von hier startete die Deportation nach Riga.
Der Historiker Dr. Rolf Fischer auf dem früheren Bahnareal an der Treibstraße. Von hier startete die Deportation nach Riga. © Oliver Volmerich

Wie gewaltsam und menschenunwürdig es in der Sammelstelle an der Steinstraße zuging, veranschaulicht eine Schilderung der Zeitzeugin Jeanette Wolff: „Im Börsensaale lagen wir auf unseren Gepäckstücken auf der Erde, fünf Tage und vier Nächte schikaniert von der Gestapo und ihren Helfern. Das Erste, was wir von den Grausamkeiten der Gestapo zu Gesicht bekamen, war, dass man einen Menschen vor unseren Augen erschoss, weil er in der Nacht einen Schreikrampf bekam“, schildert sie in ihren Erinnerungen.

Am 27. Januar morgens machten sich die Jüdinnen und Juden von der Gestapo bewacht von der Sammelstelle aus auf zum Bahnhof, unter ihnen Else und Salomon. Laut den Schilderungen der Zeitzeugin Wolff wurden die Menschen dann in dreckige, ungeheizte Waggons gepfercht, „auf deren Toiletten der Kot halbmeterdick gefroren war“.

Neben den Dortmunder Juden wurden auch Jüdinnen und Juden aus Recklinghausen und Gelsenkirchen an diesem Tag nach Riga in Lettland deportiert, insgesamt rund 1000 Menschen aus den Regierungsbezirken Münster und Arnsberg. Fünf Tage dauerte die eisige Fahrt. Am Zielort ging es dann zu Fuß weiter ins Ghetto.

Keine gesicherten Erkenntnisse

Über das Schicksal des Ehepaars gibt es keine gesicherten Informationen. Die Quellen widersprechen sich. Laut der Webseite www.juedisches-dortmund.de lebte Else Heimberg nach ihrer Ankunft nur noch wenige Wochen und sei bei der sogenannten Aktion „Dünamünde“ im März 1942 umgebracht worden. Nach dieser Quelle verblieb Salomon im Ghetto, kehrte von dort aber nicht zurück. Der 8. Mai 1945 wird deshalb als Todeszeitpunkt für Salomon Heimberg angegeben.

Laut eines Wiedergutmachungsantrags, den die Schwägerin von Else Heimberg Ende der 1950er-Jahre gestellt haben muss, ist Salomon Heimberg am 8.5.45 in Riga gestorben, so Markus Günnewig, Leiter der Dortmunder Mahn- und Gedenkstätte Steinwache.

Gedenken am 9. November

Auf den Stolpersteinen jedoch gibt es andere Angaben: Dort heißt es, Salomon habe Dachau überlebt. Historiker Dr. Rolf Fischer hat diese Vermutung damals, als er für das Gedenkbuch recherchierte, angenommen, weil weder im Gedenkbuch des Bundesarchivs noch in Yad Vashem der Name Salomon Heimberg auftaucht. Ein Indiz dafür, dass er die Shoah überlebt hatte. Else ist ermordet worden. Für sie gibt es Einträge.

Der Historiker hat eine interessante Vermutung: „Salomon Fischer war wahrscheinlich verwandt mit Siegfried Heimberg.“ Der Mann, der nach dem Zweiten Weltkrieg die jüdische Gemeinde in Dortmund wieder mit aufbaute.

Wo und wann auch immer Else und Salomon Heimberg nun tatsächlich ermordet wurden oder – wie es die Informationen auf dem Stolperstein suggerieren, – überlebt haben, diese zwei Menschen sind Opfer eines totalitären Regimes geworden. Ihnen wird am 9. November gedacht. Die Teilnehmenden der ökumenischen Pogromandacht gehen um 18.30 Uhr vom Amtshaus Mengede zu den Stolpersteinen in der Williburgstraße.

Die 9. und 10. Jahrgangsstufe der Heinrich-Böll-Gesamtschule in Lütgendortmund wird an dem Tag Stolpersteine polieren, „um sie für alle Passantinnen und Passanten deutlich sichtbar zu machen“, wie es in der Pressemitteilung heißt.

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