Weiße Tische mit hübschem Weihnachtsschmuck stehen zusammengestellt zu langen Speisetafeln im großen Saal des Reinoldinums. Nur ist das hier kein Seminar im Tagungshaus des evangelischen Kirchenkreises Dortmund. An den Tischen sitzen Menschen, die sich für die Weihnachtsfeier für Wohnungslose an Heiligabend angemeldet haben. Das Diakonische Werk organisiert die Veranstaltung seit vielen Jahren.
Es ist Punkt 19 Uhr. Und jetzt kommt, worauf sich die Gäste wohl am meisten freuen: das Essen. Entsprechend groß ist der Andrang an der Ausgabestelle, wo Helfer dafür sorgen, dass Hirschbraten, Kartoffelklöße und Rotkohl auf den Tellern der Gäste landen. Eine Frau, die ihren Namen nicht veröffentlicht wissen möchte, ist ohne Anmeldung vorbeigekommen. Die 40-Jährige wartet am Eingang zum Saal, dass ein Platz frei wird.
„Ich lebe von Hartz IV“, sagt sie unserem Reporter. Mit wenig Geld könne man sich kaum so ein schönes Weihnachtsessen leisten. Und selbst wenn, ergänzt sie, „man will ja nicht alleine sitzen“. Kurz darauf gibt eine Helferin Bescheid, dass etwas freigeworden ist. Die 40-Jährige freut sich aufs Essen.
Großer Andrang
Der Andrang sei diesmal größer als noch im vergangenen Jahr, sagt Streetworkerin Vanessa Beckmann, die die Weihnachtsfeier für Wohnungslose organisiert hat. Vielleicht spiele die in den Hintergrund gerückte Corona-Pandemie eine Rolle, sodass es jetzt mehr Gäste kommen, ergänzt sie.
Das Diakonische Werk hatte 150 Karten für die Veranstaltung ausgegeben. Beckmann schätzt, dass etwa 170 Gäste da sind. „Wir haben einfach einige Stühle zusätzlich hingestellt. Wir möchten, dass alle, die draußen stehen, einen Platz bekommen“, erklärt sie.
Im Hintergrund läuft jetzt leise Weihnachtsmusik. Vorne auf der Bühne steht ein hübsch geschmückter Tannenbaum. Vor dem Essen war dort die Sängerin Stefanie Tedjasukmana aufgetreten mit einem Mix aus modernen und christlichen Liedern. Manche Gäste hielt es da nicht mehr auf den Sitzen. Ein bisschen Disco-Fox vor dem Hirschbraten. Zu Beginn der Veranstaltung gab es Kaffee und Kuchen, danach eine weihnachtliche Andacht mit Diakonie-Geschäftsführer Pfarrer Niels Back.
Besondere Atmosphäre
Christian Jetzerowski hat schon aufgegessen. Dem 63-Jährigen, der wegen einer Infektionskrankheit an den Beinen einen Rollator benötigt, hat es geschmeckt. Er kommt seit 2018 jedes Jahr zu der Weihnachtsfeier für Wohnungslose an Heiligabend. „Ich kenne viele Leute. Mir gefällt die Gemeinschaft hier“, sagt der Dortmunder.
Jetzerowski ist nicht obdachlos, lebt aber in einer prekären Wohnungssituation. Er sei früher LKW-Fahrer gewesen, erzählt er. Heute schlägt er sich mit seiner Krankheit, Drogenproblemen und Schulden herum.

Die Veranstaltung im Reinoldinum sei jedes Jahr besser geworden, findet er und stellt die Atmosphäre heraus. Die Gäste könnten sich beim Essen unterhalten und eine gute Zeit haben. Ihm gefällt besonders die Bodenständigkeit. „Das ist hier nicht so hochgestochen.“
Dampfender Hirschbraten
Der Hirschbraten dampft noch, als er auf einem Teller zu Stefan S. an den Platz gebracht wird. Der Dortmunder, der seinen Nachnamen lieber nicht veröffentlicht wissen möchte, hat es geschickt gemacht. Wegen des Interviews mit unserem Reporter könne er sich gerade nicht anstellen, um das Essen selbst zu holen, erklärt er einer Helferin. Sie lächelt und macht eine Ausnahme. Er scherzt zu der Runde am Tisch: „Jetzt bin ich ja so etwas wie ein VIP.“

Der 43-Jährige lebt seit zwölf Jahren auf der Straße und schläft in einem Zelt. Stefan S. nimmt zum zweiten Mal an der Weihnachtsfeier für Wohnungslose teil. Das Essen sei lecker und die Stimmung super, findet er. „Das ist hier schon anders als im Gast-Haus.“
Dank an die Helfer
Stefan S., der seit den 90ern das Straßenmagazin Bodo verkauft, ist bester Laune. Er wippt im Takt zur Weihnachtsmusik. Heiligabend in Gemeinschaft zu verbringen - das kenne er von zu Hause gar nicht, erzählt er. „Das Essen und das Zusammensein hier sind die Highlights.“
Dass er weder frieren noch auf seine Sachen aufpassen muss, empfindet er als echte Erholung vom Alltag. „Ich bin einfach nur dankbar“, sagt Stefan S. Seinen Dank spricht er nicht nur den 33 ehrenamtlichen und vier hauptamtlichen Helfern der Diakonie aus, sondern auch den Spendern, die die Weihnachtsfeier für Wohnungslose möglich machen.
Gegen 20 Uhr klingt die Veranstaltung im Reinoldinum langsam aus. Stefan S. sitzt noch mit zwei Bekannten an dem Tisch, während andere Gäste schon gegangen sind. Am Ausgang stehen Helfer und verteilen rote Weihnachtstüten. Diese habe man unter anderem mit Süßigkeiten und weiteren Leckereien sowie Hygiene-Produkten gefüllt, erläutert Streetworkerin Vanessa Beckmann. Sie freut sich über viele glückliche Gäste. „Der Abend ist gut gelaufen. Ich bin sehr froh, dass so viele Ehrenamtliche hier sind, um zu helfen", betont die Organisatorin.
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