Wenn Bianca Tix an ihre Anfänge als Wirtin zurückdenkt, werden ihre Augen verdächtig feucht. Denn zu ihrem Neustart gehörte auch ein schmerzhafter Abschied. 30 Jahre lang war sie glückliche Servicekraft im legendären Haus Kersten in Lütgendortmund und hatte den „besten Chef“: „Wir haben zusammen abgeschlossen“, sagt die Dortmunder Gastronomin. Man spürt, dass ihr diese Erinnerungen wehtun.
Damals wusste Bianca Tix nicht, dass ein noch viel schöneres Kapitel in ihrem Leben folgen sollte. Dass sich tatsächlich ihr Lebenstraum erfüllen sollte. „Gastronomie war immer mein Ding“, sagt die heute 65-Jährige. Deshalb sei der Umweg über eine Ausbildung als Verkäuferin auch überflüssig gewesen.
Bügelbrett war die Theke
„Ich habe schon als Kind Kneipe gespielt“, sagt sie und lacht. Das Bügelbrett sei die Theke gewesen, das Mineralwasser der Schnaps und ihre fünf Geschwister hätten die Gäste mimen müssen. Sie sei die Drittälteste, zwei ihrer Brüder lebten leider nicht mehr.
Aufgewachsen in einer Großfamilie habe sie sich auch immer mehrere Kinder gewünscht, sagt die Lütgendortmunder Wirtin, die in Bodelschwingh aufgewachsen ist. Sie hat einen Sohn, zwei Töchter hat sie adoptiert. Ihre Familie sei es gewesen, die ihr den nötigen Mut gegeben habe, mit 57 Jahren als selbstständige Wirtin durchzustarten. „Dabei haben weder meine Kinder noch mein Mann mit Gastronomie was am Hut.“

Im Mai 2015 kam die entscheidende Wende im Leben von Bianca Tix. Sie arbeitete damals als Bedienung in Lütgendortmunds ältester Kneipe, in der Gaststätte „Zur alten Post.“ Ihre damalige Chefin Andrea Geiser wollte sich aus dem Geschäft zurückziehen und völlig unerwartet stand Bianca Tix vor der „Schicksalsfrage“: Soll sie es in ihrem Alter wagen, die Kneipe zu übernehmen?
Mit dem Okay der Familie im Rücken habe sie nicht lange gefackelt, erinnert sich Bianca Tix. „Jetzt wird neu angefangen“, habe sie sich gesagt. Bessere Bedingungen hätten sie nicht vorfinden können. „Ich kannte den Laden ja in- und auswendig.“ Die Stammkundschaft gab es bereits, auch mit dem Vermieter sei sie sich schnell einig geworden.

Der Mietvertrag verlängere sich jedes Jahr automatisch um ein weiteres, mit Kündigungsfristen von einem halben Jahr. Das sei ihr Wunsch gewesen. „Ich wusste damals doch nicht, wie geht es dir mit 60, mit 62?“ Nun ist die kleine Frau mit der großen Power bereits 65 – und ans Aufhören verschwendet sie keinen Gedanken. „Die zehn Jahre will ich auf jeden Fall voll machen.“ Das ist im Mai 2025. „Zu Hause würde ich mich nur langweilen“, fügt sie hinzu.
Nachdem sie den Vertrag unterschrieben hatte, sei die Freude darüber zunächst riesig gewesen. Doch dann hätten sich die ersten Zweifel in ihre Gedanken geschlichen: „Hoffentlich schaffst du das auch“, habe sie gedacht. Fast neun Jahre später sagt sie: „Ohne meine gute Kollegin Sigrid Götz hätte ich wahrscheinlich hingeschmissen.“ Sie ist heute noch an ihrer Seite und sei ihr vor allem in den stürmischen Anfangsjahren eine wichtige Stütze gewesen.
Wirtin musste anfangs kämpfen
Die Herausforderung, eine Gaststätte zu führen, hätte sie einfach unterschätzt. Personal einstellen, mit Lieferanten verhandeln, Organisation, Kalkulation, Steuern – das alles sei Neuland für sie gewesen. „Zwei Jahre lang habe ich gekämpft.“ Oft sei ihr zum Heulen zumute gewesen. Eine Schulter zum Weinen habe sie bei ihrem Mann und ihren Kindern gefunden, erzählt die Wirtin mit der rauen Stimme.
Heute weiß sie, dass sich alle Mühen gelohnt haben. Natürlich müsse man immer wieder kämpfen, sagt sie. Corona, der Angriffskrieg auf die Ukraine, die Inflation – von ruhigem Fahrwasser könne nicht Rede sein. Doch sie habe eine treue Stammkundschaft. Kaum hat sie es ausgesprochen, schwingt wie auf Kommando die Eingangstür an der Theresenstraße 4 auf und gleich mehrere, vor allem ältere Gäste drängen ins Lokal. Es dauert nicht lange, da balanciert Bedienung Sigrid Götz die ersten Torten-Stücke zu den Tischen.

Alle Torten sind selbstgemacht. Mehrmals pro Woche steht die Chefin in der „Backstube“ ihrer Kneipe. „Backen war schon immer meine Leidenschaft“, sagt sie. Die Renner seien ihre Jensen-Torte mit Stachelbeeren, der Käse-Sahne-Kuchen und die Eierlikör-Torte. Kochen würden sie aber auch gerne, gemeinsam mit Sigrid Götz kreiere sie zwischendurch immer neue Gerichte, so die Gastronomin. „Zum Beispiel Bandnudeln mit Lachs.“ Sie überlegt einen Moment und fügt hinzu: „Im Grunde bin ich eine typische Hausfrau.“
Sind es vor allem ihre Torten und kleinen Gerichte, die die Stammkundschaft locken? Mitarbeiterin Sigrid Götz meint eher: „Weil wir so nett sind.“ Bianca Tix denkt in eine ähnliche Richtung. „Wir sind hier eine große Familie. Ich bin gerne mit Menschen zusammen, ich höre gerne zu.“
Party am 21. Oktober
Je mehr sich ihre Gaststätte füllt, desto unruhiger wird die Wirtin. Es fällt ihr offensichtlich schwer, Füße und Hände während unseres Gesprächs weiterhin still zu halten und ihre Gäste nicht persönlich zu begrüßen.
Doch bevor wir sie entlassen können, müssen wir wenigstens noch einen kurzen Blick auf den 21. Oktober 2023 werfen. Denn an diesem Samstag feiert Bianca Tix das 190-jährigen Bestehen ihrer Kneipe. Heimatforscher Wilhelm Mohrenstecher wird die Geschichte der „Alten Post“ erzählen, die Donnerstagabend-Band und DJ Rainer Wilms sorgen für tanzbare Musik.
Gefeiert wird an diesem Tag aber noch ein weiterer Geburtstag. Bianca Tix wird 66. „Ich befürchte, es wird sehr, sehr voll“, sagt sie, bevor sie endlich zur Vitrine eilen und die nächste Torte höchstpersönlich anschneiden kann ...
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