Fünf Polizisten im Fall Mouhamed Dramé auf der Anklagebank „Getötet, ohne zum Mörder zu werden“

Fall Mouhamed Dramé: Fünf Polizisten auf der Anklagebank
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Einer der größten Dortmunder Gerichtsprozesse der vergangenen Jahre beginnt mit einer Stunde Verspätung. Die Sicherheitskontrolle der Menschen, die auf der Zuschauerbank des Gerichtssaals 130 Platz nehmen wollen, dauere noch, ist über den Funk der Justizvollzugsbeamten zu hören.

Das bedeutet an diesem Dienstag (19.12.) Warten für die vielen Journalisten, vor allem aber für die fünf Polizeibeamten, die im Fall Mouhamed Dramé angeklagt sind. Sie waren am Polizeieinsatz am 8. August 2022 in der Nordstadt beteiligt, an dessen Ende Fabian S. sechs Schüsse aus einer Maschinenpistole abgab. Fünf davon trafen den 16-jährigen Mouhamed Dramé.

Vorwurf: Totschlag

Der starb wenig später im Krankenhaus. Der 30-jährige Fabian S. muss sich deshalb wegen Totschlags verantworten. Oberstaatsanwaltschaft Carsten Dombert nennt das im Prozess: „Ihm wird vorgeworfen, einen Menschen getötet zu haben, ohne zum Mörder zu werden.“

Drei weitere Beamte, die Taser und Pfefferspray gegen den Geflüchteten aus dem Senegal eingesetzt hatten, sind wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt. Ihrem Einsatzleiter Thorsten H. wird die Anstiftung dazu vorgeworfen.

Viele Kameras auf Angeklagte

Die Tür in der Ecke des großen Saals öffnet sich. Mehr als 20 Kameras sind auf sie gerichtet. Das Gemurmel der Journalisten verstummt. Unter dem Klicken der Auslöser werden die fünf Angeklagten in den Raum geleitet.

Ihre Gesichter verdecken sie mit kartonfarbenen Aktenumschlägen. Die Hand von Markus B., der kurz vor den tödlichen Schüssen seinen Taser gegen Mouhamed Dramé eingesetzt hat, wackelt, so als würde seine Hand leicht zittern. Sie alle nehmen sie erst herunter, als die Kameraleute rund zehn Minuten später den Saal verlassen.

 

Detaillierter Ablauf

Sichtbar werden vier junge Polizeibeamte und ihr Einsatzleiter Thorsten H., dem man auch im Sitzen seine Körpergröße ansieht. Mit regungslosen Gesichtern hören sie zu, was ihnen vorgeworfen wird.

Mit ruhiger Stimme liest Oberstaatsanwalt Carsten Dombert die Anklage und das, was bislang über den Ablauf bekannt ist, vor: Dass zuerst zwei Beamte am Einsatzort eintrafen. H. und ein anderer Kollege. Danach vier Beamte in Zivil, dann weitere. Insgesamt sind es zwölf. Die Rollen beim Einsatz werden verteilt. Fabian S. habe sich bereit erklärt, die Rolle als Sicherungsschütze einzunehmen.

Zunächst sollten Zivilbeamte den Kontakt aufnehmen. Keiner gibt sich als Polizist zu erkennen. Einer von ihnen fragt auf Deutsch: „Hallo, geht es dir gut?“ Er pfeift. Keine Reaktion von Mouhamed Dramé. Dann habe ein anderer auf Spanisch gefragt: „Hola, estas bién? Hablas español?“

Mouhamed Dramé habe auch darauf nicht reagiert, liest Dombert weiter vor, und habe sich die Klingenspitze eines „handelsüblichen Küchenmessers“ weiter an den Bauch gehalten.

Oberstaatsanwalt Carsten Dombert und Staatsanwältin Gülkiz Yazir vor Beginn des ersten Prozesstages.
Oberstaatsanwalt Carsten Dombert und Staatsanwältin Gülkiz Yazir vor Beginn des ersten Prozesstages © Stephan Schütze

Dann setzt sich eine Spirale in Gang. Einsatzleiter Thorsten H. befiehlt den Einsatz von Pfefferspray.

Pfefferspray auf 16-Jährigen

Janine B. sprüht durch einen Zaun hindurch Pfefferspray in Richtung von Mouhamed Dramé. Sechs Sekunden lang drückt sie auf den Abzugshebel. Der 16-Jährige habe sich daraufhin in Richtung des einzigen Auswegs, auf die Polizeibeamten zubewegt, sagt Oberstaatsanwalt Dombert.

Pia B. und Markus M. schießen mit dem Taser. Fast gleichzeitig gibt Fabian S. die Schüsse ab. Eine Aufforderung, das Messer niederzulegen, habe es vorher nicht gegeben, sagt Carsten Dombert. Weder der Einsatz von Pfefferspray, noch der Taser seien angedroht worden.

Die Dynamik, die so in Gang gesetzt wurde, sei erst durch den Einsatz von Pfefferspray entstanden, wird Lisa Grüter, Anwältin der Familie, nach dem ersten Prozesstag sagen und den Einsatz als „völlig verfehlt“ bezeichnen. „In einer statischen Lage gegen einen Menschen, der sich völlig passiv verhält, Pfefferspray einzusetzen, ohne Androhung. Das war von Anfang an rechtswidrig“, ist die Anwältin der Nebenklage überzeugt.

„Interessante Beweisaufnahme“

„Es wird sicherlich eine interessante Beweisaufnahme werden, die hoffentlich zu dem Ergebnis kommt, dass unser Mandant durch den Einsatz vielleicht den Tod verursacht hat, aber es sicherlich kein strafbares Verhalten war“, sagt Michael Emde, der den Einsatzleiter vertritt, einige Meter weiter in die Mikrofone der Journalisten. Nach dem Prozesstag ist es trubelig vor Saal 130.

Als Dombert hinter der Tür einige Minuten zuvor die Anklageschrift verliest, ist es still. Emotionsregungen sind in den Gesichtern der Angeklagten nicht zu sehen.

Christoph Krekeler, Anwalt des Schützen, und Michael Emde sagen nach dem Prozess, dass ihre Mandanten die verlesene Anklageschrift natürlich kennen. Beide ließen offen, ob sich ihre Mandanten beim nächsten Prozesstermin am 10. Januar zu den Vorwürfen äußern werden.

Die fünf Angeklagten beim Betreten des Gerichtssaals.
Die fünf Angeklagten beim Betreten des Gerichtssaals. © Stephan Schütze

Ein Statement von Fabian S. verlas Krekeler aber kurz vor Ende des ersten Sitzungstages, der nur 25 Minuten dauerte: „Mein Mandant und seine Familie sind durch dieses Strafverfahren sehr belastet.“ Aus dem Zuschauerbereich ist nach diesem Satz ein Raunen zu hören.

Krekeler liest weiter: „Mouhamed Dramé hat durch ihn sein Leben verloren. Als sich Mouhamed Dramé erhob und sich mit einem Messer in der Hand in Richtung der Polizeibeamten begab, empfand das nicht nur mein Mandant als bedrohlich.“

„Kam nicht auf die Hautfarbe an“

Die Ermittlungen hätten ergeben, dass auf Mouhamed daraufhin ohne Absprache und nahezu zeitgleich geschossen worden sei „und zwar zuletzt sowohl aus einem DEIG (Elektro-Taser, Anm. d. Red.) als auch aus der MP meines Mandanten“, verliest Krekeler weiter. „In dieser Situation kam es meinem Mandanten auf die Hautfarbe von Mouhamed überhaupt nicht an.“

Ihm sei wichtig gewesen, das zu betonen, sagt Krekeler nach dem ersten Prozesstag vor dem Saal, weil es den Vorwurf der rassistischen Polizeigewalt im Vorfeld immer wieder gegeben habe.

Konkurrierende Demos

Auch im Regen vor dem Landgericht wird er am Dienstag vor dem Beginn des Prozesses von Demonstrierenden wiederholt. Der Solidaritätskreis Mouhamed und der Freundeskreis Mouhamed hatten unabhängig voneinander eine Kundgebung angemeldet. Beide sind sich nicht grün.

William Dountio ist Teil des Solidaritätskreis Mouhamed und eines der Gesichter des Protests.
William Dountio ist Teil des Solidaritätskreis Mouhamed und eines der Gesichter des Protests. © Oliver Schaper

Die Größere des Solidaritätskreises steht links vom Eingang, die andere baut sich etwas später rechts davon auf. Rund um das Demo-Geschehen sind auf der Kaiserstraße viele Polizeiwagen und rot-weißes Flatterband zu sehen. William Dountio, der für den Solidaritätskreis Mouhamed einige Demonstrationen mit organisiert hat und so zum Gesicht des Protestes und der Forderung nach Aufklärung geworden ist, gibt den Journalisten verschiedener Medien Interviews.

„Gerechtigkeit für Mouhamed“

Immer wieder zeigt er auch das Shirt, das er unter dem dunklen Mantel trägt. Es zeigt das Gesicht des getöteten 16-Jährigen und fordert: „Gerechtigkeit für Mouhamed“. Im Gerichtssaal sitzt William Dountio bei den Zuschauern in vorderster Reihe.

Einige der Prozesszuschauer verlassen den Saal erst nach Aufforderung durch die Justizbeamten. Sie recken ihre Hälse nach den angeklagten Beamten und zeigen mit den Fingern auf sie. Eine Frau macht sich Notizen in einen Block.

Wie hat sich der erste Tag angefühlt, wollen wir von zwei Frauen nach dem Prozess wissen. So genau wissen sie das auch noch nicht, sagen sie. Sie müssten das Erlebte erst einmal sacken lassen. Der zweite Prozesstag ist für den 10. Januar angesetzt.

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