Der Zuschauerbereich des großen Saals 130 des Dortmunder Landgerichts war voll besetzt, als Oberstaatsanwalt Carsten Dombert die Anklageschrift gegen fünf Polizeibeamte verlas. Sie alle sollen an dem Einsatz vom 8. August 2022 beteiligt gewesen sein. Dem Einsatz, bei dem der 16 Jahre alte Mouhamed Dramé erschossen wurde.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Todesschützen Totschlag vor. Drei seiner Kolleginnen und Kollegen sollen Mouhamed zuvor „ohne rechtfertigenden Anlass“ mit Reizgas und einem Taser beschossen haben. Bei dem fünften Angeklagten handelt es sich um den Einsatzleiter, der damals die Anweisungen gab. Kein Beamter zeigte im Gerichtssaal eine äußere Regung.
Saal war voll besetzt
Was genau an jenem Einsatztag passiert ist, muss die Verhandlung vor dem Schwurgericht herausfinden. Eine erste Stimme aus Sicht der Angeklagten lieferte Rechtsanwalt Christoph Krekeler, der den mutmaßlichen Todesschützen verteidigt.
„Mein Mandant und seine Familie sind durch das Verfahren sehr belastet“, verlas der Verteidiger.
Als Mouhamed sich erhoben habe und mit einem Messer in der Hand auf die Beamten zugelaufen sei, habe nicht nur sein Mandant diesen Moment als „bedrohlich“ empfunden. Auf eines legte Krekeler dann noch ganz besonderen Wert. In dem Moment der Schüsse „kam es auf die Hautfarbe des Mouhamed Dramé überhaupt nicht an“.
„Mandant ist sehr belastet“
Nach den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft lief das Drama in einem Innenhof einer Jugendhilfeeinrichtung in der Nordstadt so ab: Mouhamed, ein 16 Jahre alter Geflüchteter aus dem Senegal, saß mit einem Messer in der Hand auf dem Boden und lehnte an einer Wand.
Nach und nach kamen dann fast ein Dutzend Polizisten am Tatort an. Sie hatten Sorge, dass sich der Jugendliche selbst verletzen oder gar töten könnte.
Der angeklagte Einsatzleiter, so Dombert, soll dann den Plan festgelegt haben: Zuerst sollten Beamte versuchen, mit Mouhamed zu sprechen. Wenn das erfolglos bleiben sollte, sollte Reizgas eingesetzt werden. Erst danach war der mögliche Einsatz von Tasern vorgesehen. Und ein Beamter sollte „zur Sicherheit“ seine Maschinenpistole im Anschlag haben.
MP „zur Sicherheit“
Auf dem Audiomitschnitt des Einsatzes soll zu hören sein, wie Mouhamed zunächst auf Deutsch („Hey! Hallo! Geht‘s Dir gut?“) und dann auf Spanisch (Hola! Estas bien?“) angesprochen wurde. Dombert sagt: „Keiner forderte Mouhamed auf, das Messer niederzulegen.“ Und keiner habe sich als Polizist zu erkennen gegeben.
Der 16-Jährige sei einfach sitzen geblieben, die Lage sei statisch gewesen.
Dann habe eine der Angeklagten einen Stoß Reizgas abgeschossen und schon weniger als 0,4 Sekunden später habe der erste Taser ausgelöst. Und wiederum nach „sehr wahrscheinlich weniger als einer Sekunde“ habe der Beamte mit der Maschinenpistole fünf Mal gefeuert. Intern soll der Schütze als „Last Man Standing“ bezeichnet worden sein.
„Last Man Standing“
Mouhamed Dramé starb rund 90 Minuten nach Beginn des Einsatzes im Klinikum Nord. Lisa Grüter, die vor Gericht die Hinterbliebenen des Verstorbenen vertritt, sagte nach dem nur 25 Minuten dauernden Verhandlungstag: „Unser Ziel ist die vollständige Aufklärung. Wir wollen wissen, was wirklich passiert ist.“
Wenn der Prozess im neuen Jahr fortgesetzt wird, wollen die Angehörigen auch selbst im Gericht erscheinen. Aktuell sei das aufgrund von Problemen mit dem Visum noch nicht möglich gewesen.
Angehörige wollen kommen
Am nächsten Verhandlungstag (10. Januar 2024) sollen zunächst die Angeklagten Gelegenheit zur Aussage bekommen. Was sie bisher zu dem Vorfall zu Protokoll gegeben haben, ist nach Ansicht der Richter nicht verwertbar. Die Beamten seien damals „nur“ als Zeugen vernommen und nicht gleich als Beschuldigte belehrt worden.
Der Unterschied: Zeugen haben die Pflicht auszusagen, Beschuldigte können eine Aussage verweigern.
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