Ex-Junkie $ick beichtet im FZW seine Lebensgeschichte: Drogensucht und Kriminalität

Drogengeschichte

Ex-Junkie und Autor „$ick“ (44) las und erzählte am Mittwoch im FZW aus seinem Leben: Von seiner frühen Drogensucht und einer viel zu späten Erkenntnis. Witzig, ehrlich und todernst.

Dortmund

, 28.02.2019, 16:48 Uhr / Lesedauer: 3 min
$ick liest eine Passage aus seinem Buch zu seiner „Fixer-Zeit“ vor.

$ick liest eine Passage aus seinem Buch zu seiner „Fixer-Zeit“ vor. © Robin Albers

$icks erster Satz des Abends lautet: „Das ist keine Präventionsveranstaltung, und bitte beschwert euch später nicht per Mail bei mir!“ Der 44-Jährige Wahlberliner erzählt am Mittwoch vor rund 120 Zuschauern im FZW seine Lebensgeschichte, die von Drogensucht und Kriminalität geprägt ist.

Er hat Zettel als Gedankenstütze dabei, spricht aber frei und offenherzig. Zweimal liest er Passagen aus seinem Buch vor. Zu seinen Erzählungen projiziert er Videos und Bilder an Bühnenrückwand.

$ick (seinen bürgerlichen Namen veröffentlicht er nicht) ist mit der Youtube-Videoreihe „Shore, Stein, Papier“ (steht für Heroin, Kokain, Bargeld) bekannt geworden. In rund drei Jahren filmte er 380 etwa 5- bis 25-minütige Folgen, in denen er seine Geschichte erzählt. 2015 wurde die Serie mit dem Grimme-Online-Award ausgezeichnet. 2016 erschien seine Biografie unter dem gleichen Titel als Buch.

Als Kind ballert er in der Gegend rum

Seine Geschichte beginnt in Sindelfingen bei Stuttgart. Dort lebt er mit seiner Mutter im 13. Stock eines Plattenbaus, bis er 11 ist.

Er baut schon damals „viel Scheiße“. Klaut BMX-Räder. Ballert mit Luftgewehren in der Gegend rum. Jagt Vögel mit geklauten Feuerlöschern im Wald.

Als er acht ist, gibt es in der Kindertagesstätte (wo er nach der Schule betreut wurde) Brokkoli zu Mittag. $ick mag keinen Brokkoli und reißt aus. Mit drei Freunden läuft er zum Bahnhof, von dort wollen sie weiter nach Afrika. Weil es dort bestimmt keinen Brokkoli gibt.

Nach vier Stunden springen sie auf einen Güterzug und schlafen ein. Geweckt werden sie von einem Bahnmitarbeiter in Stuttgart. Der organisiert telefonisch $icks erste Begegnung mit der Polizei.

Die meiste Zeit spricht $ick frei zum Publikum.

Die meiste Zeit spricht $ick frei zum Publikum. © Robin Albers

Mit Jugo raucht er zum ersten Mal Marihuana

Mit 11 zieht $ick mit seiner Mutter nach Hannover. Dort hänseln ihn seine Mitschüler wegen seines schwäbischen Dialekts. Das lässt er sich nicht immer gefallen und wird deshalb oft aus dem Unterricht geschickt.

Dabei lernt er irgendwann Jugo kennen. Die beiden werden Freunde. Mit Jugo raucht $ick das erste Mal Marihuana.

Auf einer Party in einem Jugendzentrum raucht der 15-jährige $ick mit seinen Freunden zum ersten Mal „Shore“ (Straßenname für Heroin). Seit dem ist er süchtig. Zunächst ist das noch kein Problem, weil der Bruder eines Freundes dealt und immer Drogen zur Verfügung hat. Irgendwann will der aber nicht mehr teilen und $ick steht ohne Stoff da.

Soll er dealen, klauen oder anschaffen?

An diesem Punkt, erzählt $ick am Mittwoch im FZW, sah er drei Möglichkeiten: Die ersten zwei sind selbst dealen und klauen. Nach der dritten fragt er das Publikum: Was war das wohl? „Anschaffen!“, ruft jemand. Nee, sagt $ick.

„Einfach aufhören!“, ruft ein anderer. Genau, sagt $ick: Wäre er damals auf diese Idee gekommen, sein Leben wäre wohl komplett anders verlaufen. Stattdessen entschied $ick sich fürs Klauen.

$ick erzählt weiter. Von Hannover, er ist Anfang 20, und dem einschneidenen Erlebnis an der U-Bahnhaltestelle „Kröpke“. Dort raucht er Heroin. Ein Junkie, ziemlich runtergekommen, spricht ihn an: „Biste nicht ein bisschen jung für Heroin?“ $ick wird sauer: „Verpiss dich, ich rauch Shore.“ Der Junkie lacht und sagt, schau mal, mach ich auch. $ick wird bewusst: Er ist selbst heroinabhängig.

Er nimmt immer mehr harte Drogen

Bei Einbrüchen und Diebstählen wird er immer wieder mal erwischt. Mit 20 Anfang sitzt er zum ersten Mal in Haft, in der Jugendvollzugsanstalt in Hameln. Sein dritter Fluchtversuch ist erfolgreich, und er feiert in Hannover, mit Ecstasy. Ein befreundeter Dealer bietet ihm Kokain an. $ick schnupft es, später spritzt er es auch.

Das, sagt $ick im FZW, war der Tiefpunkt seiner Drogenkarriere: „Der ganze Körper zerstochen.“

Im Kreißsaal macht es endlich „klick“

Mit 28 wird $ick Vater einer Tochter. Er beginnt zum ersten Mal ernsthaft, gegen die Sucht zu kämpfen. Nach vielen Rückfällen, abgebrochenen Therapien und Entgiftungen lebt er mittlerweile sieben Jahre ohne harte Drogen. Er kifft noch, sagt er. Und Bier trinkt er auch, „aber ich saufe nicht“.

$ick sagt, mit den Drogen habe er seine Gefühle unterdrücken wollen. Schon seine Mutter habe nicht gut mit ihren Gefühlen umgehen können. Seine Tochter solle nicht das gleiche Schicksal erleiden.

Den Menschen im FZW sagt er: „Achtet auf eure Emotionen! Nehmt sie ernst, lasst sie zu, sprecht mit Freunden und Familie darüber!“

Nach der Lesung nimmt sich $ick bei einer Autogrammstunde Zeit für jeden, der möchte.

Nach der Lesung nimmt sich $ick bei einer Autogrammstunde Zeit für jeden, der möchte. © Robin Albers

Nach der Lesung nimmt $ick sich noch Zeit für jeden Zuschauer, der noch Fragen hat, gibt Autogramme und macht Selfies.

Ein Besucher geht zu $ick und sagt: „Hey, ich bin selber lange von Heroin abhängig gewesen. Deine Geschichte hat mir geholfen. Ich bin jetzt clean.“

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