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„Es hat einfach nicht mehr aufgehört zu regnen“
Hochwasser 2008
In Dorstfeld ahnten sie es schon: Die schwarzen Wolken, die sich im Süden auftürmen, lassen nichts Gutes ahnen. In Marten feiern sie noch ausgelassen Kirmes. Dann kommt der Jahrhundertregen.
"Es hat angefangen zu regnen und ich dachte noch: Endlich ein wenig Abkühlung“, erinnert sich Reinhard Gallen. 2008 steht der damalige Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Martener Vereine mitten im Ortskern, als das Unheil seinen Lauf nimmt. Es ist Kirmessamstag. „Wir standen unter der Plane unseres Bierstands und warteten darauf, dass der Regen wieder aufhört. Aber er hörte nicht wieder auf“, sagt Gallen am Tag danach.
Später halten die Meteorologen fest: In den Stadtteilen Marten und Dorstfeld fiel in fünf Stunden soviel Wasser wie sonst nur in drei Monaten: 200 Liter pro Quadratmeter.

Fahrzeuge versanken in den Fluten und besaßen anschließend nur noch Schrottwert. © Stephan Schütze
Ortswechsel: In der alten Tremonia-Bergarbeiter-Siedlung in Dorstfeld, die alle nur das Negerdorf nennen, weil die Männer Anfang des letzten Jahrhunderts immer mit pechschwarzen Gesichtern vom Pütt nach Hause kamen, stehen an diesem Samstag alle Zeichen auf Entspannung. In den Gärten dampft der Grill. Radios dudeln.
Riesengroße Tropfen prasseln auf die Gärten nieder
Uwe Kisker, Hansdampf in allen Mediengassen und Bewohner des Negerdorfs, schneidet gerade einen Film, als es draußen immer dunkler wird. Dann kommt der Regen. „Es war ja lange trocken gewesen. Riesige Tropfen klatschten auf den Rasen. Es haben sich eigentlich sofort riesige Pfützen gebildet“, erinnert er sich am Tag nach dem Unwetter.
Als das ausbricht, sitzt Marita link in ihrem Garten in Marten. Sie ahnt da noch nicht, dass sie wenige Stunden später sagen wird: „Ich bin einfach nur froh, noch zu leben." Denn um ein Haar wäre sie mit ihrem Mann ertrunken. In ihrer eigenen Gartenlaube.
Bis zum Gürtel reichte die Flutwelle, die sie dort überraschte. „Zwei Minuten vorher wollte ich die Tür schließen, um uns vor dem Hagel zu schützen. Meine Frau aber wollte lieber frische Luft. Hätte ich das getan, wir wären ersoffen“, sagt Ullrich Link damals.
Die Emscher tritt über die Ufer
Auch im Negerdorf bricht langsam Panik aus. „Uwe komm schnell unsere Keller laufen voll“, ruft ein Nachbar. Aber da ist es schon zu spät. Angeschwollen durch den stundenlangen Regen ist die Emscher über die Ufer getreten. Jetzt ist das Wasser nicht mehr klar, sondern eine schmutzig-braune Brühe, und es beginnt zu stinken.
„Unsere Leute haben versucht zu retten, was zu retten ist“, sagt Kisker. Was das alles ist, liegt einen Tag später auf zahllosen Schrottbergen, die sich in Gärten und an Straßenrändern türmen. Denn viele Bewohner der Bergarbeitersiedlung haben ja längst ihre Keller zu Hobbyräumen, Waschküchen oder Partykellern umfunktioniert.
„Dort stand das Wasser bis unter die Decke“, berichtet Uwe Kisker. Auch dicke Türen helfen an diesem Samstag nicht. Das Wasser drückte sie einfach ein. Die Angst geht um, denn in den Kellern hängen die Stromzähler. Wer sich ins Wasser traut, schwebt in Lebensgefahr.
Keller werden zu lebensgefährlichen Fallen
Wie Remzi Mala. Als der noch schnell Elektrogeräte aus dem Untergeschoss retten will, drückt die Flut die Kellertür aus den Angeln. Drei Sekunden später steht das Wasser unter der Decke und Remzi wirbelt orientierungslos im Wasser. Sein Sohn, der ihn von der Kellertreppe aus zu fassen bekommt, rettet ihm vermutlich das Leben.

Das Martener Volksfest fiel buchstäblich ins Wasser. © Jens Ostrowski
In Marten steht zu dieser Zeit die Kirmes still. Manche Karussells stehen einen Meter tief im Schlammwasser. „So etwas habe ich in 60 Jahren hier im Ort noch nicht erlebt“, schnauft Organisator Reinhard Gallen am Tag danach am Mobiltelefon.
Wie viele Anwohner konnte er seine Wohnung erst am Morgen nach dem Unglück verlassen, nachdem Technisches Hilfswerk und Feuerwehr ihre Pumpen in Gang gebracht hatten. „Das Wasser hatte sich seinen Weg durch den gesamten Ort gebahnt."
Aus Richtung Oespel zum Marktplatz, wo der gesamte evangelische Kindergarten unter Wasser steht, bis zum tiefsten Punkt Martens. Dort liegt der Bärenbruch. Und dort liegt damals noch das inzwischen abgerissene Haus von Karl-Heinz Dobring.
"Diesmal können wir es abreißen"
Der ist am Tag nach der Katastrophe mit den Nerven am Ende. Das Erdgeschoss seines Fachwerkhauses steht unter Wasser. „Diesmal können wir es abreißen. Das Gebäude steht auf einem Lehmboden und ist völlig unterspült worden“, berichtetet er damals noch unter Schock. 100.000 Euro hatte er zuvor in die Innenausstattung investiert.

Einsatzkräfte hatten in Marten alle Mühe, den Menschen zu helfen. © Jens Ostrowski
Wie Dobring geht es vielen Martenern. Auch Elektrohändler Peter Schiefelbein stehen am Tag nach der Katastrophe die Tränen in den Augen. 60 moderne Flachbildschirme, unzählige Backöfen und Waschmaschinen in seinem Geschäft sind regelrecht überflutet.
Rechnungen, Kataloge und Unterlagen schwimmen durch den Laden. „Mindestens 300.000 Euro“, schätzt er damals den Schaden. „Und wer weiß, ob der Benzingeruch jemals wieder weggeht.“ Denn mit den Fluten schwammen auch die Treibstoffe von überfluteten Fahrzeugen in sein Geschäft.
Tiere haben keine Chance
Traurig auch der Anblick in einem Garten gleich in der Nähe von Schiefelbeins damaligen Geschäft: Dort hatten Tiere in einem Stall gar keine Überlebenschance. Sie wurden von der tödlichen Flut überrascht. Kaninchen, Tauben, Meerschweinchen treiben tot im Wasser.
An den Tagen danach sinkt das Wasser, aber die Angst bleibt. „Es wird mir schon ganz mulmig, wenn es wieder regnet“, berichtet damals Corinna Kubach. Ein Gefühl, dass bei vielen Menschen aus dem Dortmunder Westen bis heute nicht ganz verschwunden ist.
Für Sie unterwegs im Dortmunder Westen, in den Stadtbezirken Lütgendortmund, Huckarde und Mengede.

Ich bin Journalist geworden, weil mich die tägliche Herausforderung reizt. Während die Waschmittel-Branche von einem guten Produkt über Jahre profitieren kann, müssen Journalisten ihre Medien jeden Tag neu erfinden.
