Ausnahmezustand an Dortmunder Moschee Fußballclub bringt Tonnen Hilfsgüter in die Türkei

Erdbeben-Hilfe von Osmanlispor stößt auf riesen Resonanz in Mengede
Lesezeit

Dienstagabend (7.2.), 20.23 Uhr: Fünf Kleintransporter hupen kurz und fahren über die Hansemannstraße in Richtung Autobahn. Auf dem Hof der Mevlana Moschee in Dortmund-Oestrich stehen gewiss 100 Frauen, Männer und Kinder. Sie winken. Einige streamen per Smartphone die Abfahrt live auf den Social-Media-Plattformen TikTok und Instagram.

Vor den fünf Transportern und ihren zehn Fahrern und Beifahrern liegen zunächst 2580 Kilometer Strecke bis zur türkischen Grenze. Die Fahrzeuge sind vollgepackt mit Kartons: Decken, warme Jacken, Haushalts- und Hygieneartikel, Windeln und einiges mehr. Am Mittwochmorgen sollen zwei große Lastzüge folgen – ebenfalls gefüllt mit Hilfsgütern für das Erdbebengebiet im Südosten der Türkei. Die Lkw stehen an diesem Abend gepackt in Witten.

Nur gut 31 Stunden ist es her, als Burhan Erdem die Hilfsaktion initiiert hat. Er ist Vorsitzender des Mengeder Fußballvereins SC Osmalispor und Chef des Wuppertaler Transportunternehmens Baselogistic.

Schnell verbreiten Erdem, Spieler, Freunde und Sponsoren am Montagmittag (6.2.) über ihre Social-Media-Netzwerke einen Spendenaufruf. Stunden zuvor hat das erste Erdbeben den Südosten der Türkei und den Norden Syriens erschüttert. Schwere Nachbeben folgen.

Zwei Lastzüge

Der Spendenaufruf zeigt sofort Wirkung. Auto um Auto hält auf der Hansemannstraße, um Pakete auszuladen. „Unvorstellbar, was hier los ist“, erzählt Bezirksbürgermeister Axel Kunstmann. Er kommt zufällig an der Moscheegemeinde vorbei und wird auf die Hilfsaktion aufmerksam. Zeitweilig, berichten Gemeindemitglieder, muss die Polizei für Ordnung im vermeintlichen Parkchaos sorgen.

Bis in die späten Abendstunden kommen immer mehr Spenden zusammen. Burhan Erdem kann auf sein unternehmerisches Knowhow zurückgreifen. Binnen Stunden organisiert er die notwendigen Transportmöglichkeiten. Die Anzahl der Hilfspakete nimmt schon am Montagabend ein solches Ausmaß an, dass die Lagermöglichkeiten im Haus der Mevlana-Moschee nicht ausreichen.

„Wir sind alle betroffen“, sagt Ihsan Köz, der 2. Vorsitzende der Moscheegemeinde. Bis zu 100 Leute bilden lange Ketten und beladen über die Nebeneinfahrt an der Schragmüllerstraße den ersten Lastzug. Tags drauf steht ein zweiter Auflieger voll beladen zur Abfahrt in Witten bereit.

Die Fahrer der Kleintransporter mit Firmenchef Burhan Erdem.
Fünf Fahrer von Baselogistic bringen mit Firmen-Chef Burhan Erdem (2.v.r.) die Hilfsgüter in die Türkei. Fünf weitere Männer aus dem Umfeld von Osmanlispor lösen sie auf der 2580 Kilometer langen Strecke ab. © Uwe von Schirp

Dienstagabend, 19 Uhr. Im Hof der Moschee stapeln sich neue Pakete. Nicht nur die türkische Community aus dem Umfeld von Osmanlispor und der Gemeinde haben sie gespendet. „Die Hilfsbereitschaft ist ungemein“, sagt Erol, einer der zusätzlichen Fahrer.

Er sei einfach ein riesengroßer Fan und Berater von Osmanlispor, sagt der 48-Jährige. „Und mir macht es viel Spaß, mich für ein friedliches und starkes Zusammenleben und Miteinander unter den Kulturen und Religionen einzusetzen.“ Dieses Engagement hat er in der Vergangenheit schon in mehreren Schulpflegschaften unter Beweis gestellt.

Die Resonanz der letzten Stunden ist wohl ganz in seinem Sinn. „Christliche Kirchengemeinden waren da, Kindergärten, sogar Polizisten haben uns mit dem Streifenwagen Hilfsgüter gebracht“, berichtet Erol. Und er erzählt von einer 80-Jährigen, die einen Rollator gespendet habe. „Dieser Zusammenhalt in der Bevölkerung von Mengede fasziniert und rührt uns.“

Ernste Gesichter

In einem Nebenraum der Moschee läuft der Fernseher. Der Kanal eines türkischen Fernsehsenders zeigt Live-Bilder der Katastrophe. Eingestürzte Häuser. Rettungskräfte, die Opfer bergen. Ältere Männer schauen auf den Bildschirm, trinken Tee. Ihre Gesichter sind ernst. In einer Ecke liegt noch ein Stapel großer Faltkartons für weitere Einzelspenden.

Auf dem Hof treffen Burhan Erdem und vier weitere Fahrer von Baselogistic ein. Sie rangieren die Kleintransporter auf den engen Platz. Mitglieder von Osmanlispor bekleben die Motorhauben. Die Folien zeigen das Vereinslogo, die türkische und die deutsche Flagge. „Earthquake Aid Verhicle“, steht darunter – Erdbeben-Hilfstransport.

Zig Hände greifen nun zu und beladen die Lieferwagen. „Wir sind stolz auf jeden, der hier mithilft“, sagt Osmalispor-Vorsitzender Erdem. Spieler der Kreisliga-A-Mannschaft sind dabei und an ihren Vereinsanoraks zu erkennen. Frauen und Kinder sind gekommen, um die Fahrer des Hilfstransports zu verabschieden.

Klebefolie auf der Motorhaube eines Transporters: mit der türkischen und der deutschen Flagge.
Klebefolien kennzeichnen den Hilfstransport des SC Osmanlispor. © Uwe von Schirp

Um 19.47 Uhr wird es still. Der Imam der Moscheegemeinde spricht ein Gebet, dass alle gut an- und wieder heimkommen. Bezirksbürgermeister Axel Kunstmann ist ebenfalls da, um die Helfer zu verabschieden. „Wir sind in unserem Gedanken aber nicht nur bei den türkischen Opfern, sondern auch bei den vielen Opfern in Syrien“, sagt er.

Die Crew der Fahrer zieht sich zu einer Besprechung in die Vereinsräume im Keller der Moschee zurück. „Wir fahren über Tschechien, Ungarn, Rumänien und Bulgarien“, erklärt Erol vor der Abfahrt. Ein Rat des türkischen Konsulats: Auf der Route über Serbien könnte es zu aufwändige Zollkontrollen geben, die den Transport verzögern.

Mittwochmittag: Die Hilfstransporter stehen im Süden von Budapest, der ungarischen Hauptstadt. „Eine klitzekleine Panne nach einem Softwarefehler“, berichtet Erol. Bis zur türkischen Grenze sind es noch gut 1100 Kilometer. „In Erdine werden wir von einer staatlichen Organisation empfangen“, so der Oestricher.

„Wir werden dann eingewiesen, wohin es gehen soll.“ Ziel des Osmalispor-Konvois sei es, die Hilfsgüter direkt zu übergeben. Von der Grenze bis ins Erdbebengebiet sind es dann noch einmal rund 1000 Kilometer.

Fotostrecke: „Nacht der Lichter“ im Dortmunder Westen: Ein ganzer Stadtbezirk leuchtet

Wenn Zuhause der Platz fehlt: Im Dortmunder Westen gibt es jetzt noch mehr Lagerräume

Keine Millionen-Sanierung für Dortmunder Stadion: Fußballer bleiben vorerst auf matschigem „Acker“