
© Uwe von Schirp
Betreiber eines Testzentrums erklärt: Apps öffnen Betrügern Tür und Tor
Corona-Testzentren
Corona-Testzentren im Fokus. Wer betreibt sie eigentlich? Wer kontrolliert die Abrechnung? Wie leicht ist Betrug? Der Betreiber eines Zentrums gibt Einblicke. Und erzählt Abenteuerliches.
Die Corona-Testpraxis ist ins Gerede gekommen. Investigativjournalisten deckten mögliche Betrugsfälle bei der Abrechnung auf. Im Fokus steht insbesondere ein Bochumer Unternehmen. Wie laufen eigentlich Dokumentation und Abrechnung? Wir haben ein privat betriebenes lokales Testzentrum besucht.
Dienstagnachmittag (1.6.), 14 Uhr: Mittagspause in der Sportklause in Dortmund-Nette. Niko Savvidis beißt in ein Brötchen. Luft holen. Das Corona-Testzentrum ist ohnehin gut frequentiert. Am Vormittag hat er zudem den Monat Mai bei der Kassenärztlichen Vereinigung abgerechnet.
Drei Wochen nachdem er das Testzentrum eröffnet hat, ist die Nachfrage anhaltend gut. Savvidis und die Apotheker-Familie Mönnighoff haben in ihrer Einschätzung richtig gelegen: Nette braucht ein Testzentrum.
Viele Geschäfte an der Wodanstraße gibt es zwar nicht mehr. Apotheke, Arztpraxis, Physiotherapie, Friseur, Eisdiele und die Postfiliale aber sind verblieben. Sie sorgen für Passanten-Frequenz. Und vor allem älteren Netter Bürgern bleibt ein weiter Weg nach Mengede, Oestrich oder Westfilde erspart.
Medizinisches Knowhow im Umfeld
Aber, ein Corona-Testzentrum in einer Kneipe? Kann das gehen? Es geht. „Es gab deswegen schon kritische Stimmen“, räumt Niko Savvidis ein. Seine Kneipe ist jedoch seit nunmehr sieben Monaten geschlossen. In dieser Zeit hat er die Gesellschaftszimmer renoviert. Sie sind Warteraum und Test-Zimmer. Vorne am Tresen erfolgt der Check-In.

Kneipe und Testzentrum: In der Gaststube empfängt Niko Savvidis die Testwilligen. Hier zeigen sie ihren Ausweis und füllen die Formulare aus. Erst dann geht es in die hinteren Räume zum Test. © Uwe von Schirp
Die Inhaber der Wodan-Apotheke und eine Ärztin aus der Nachbarschaft stehen als Berater zur Verfügung. Niko Savvidis Frau ist medizinische Fachangestellte. Die Schulung des Testzentrum-Teams übernahm das Deutsche Rote Kreuz. „Das unterscheidet uns von einem Kiosk oder einer Pommesbude, die auch testen“, sagt der Wirt. Misstrauen wegen der möglichen Betrugsfälle erfährt er nicht.
Aus einem Aktenschrank holt der Netter einen Stapel Schnellhefter. Für jeden Tag sind dort Einverständniserklärungen der Getesteten abgeheftet. Savvidis lässt sie beim Eintritt in das Testzentrum ausfüllen – zusammen mit dem amtlichen Vordruck, auf dem seine Mitarbeiterinnen später das Testergebnis bescheinigen.

Das Deutsche Rote Kreuz bildete die Mitarbeiterinnen von Niko Savvidis für ihren Dienst im Testzentrum aus. Vor dem Lockdown arbeiteten sie für den Wirt als Servicekräfte. © Uwe von Schirp
Auf den Formularen notieren die Besucher ihre persönlichen Daten inklusive einer Telefonnummer. Sie erklären sich einverstanden, dass im Falle eines positiven Testergebnisses Savvidis die Daten an das Gesundheitsamt weiterleiten darf. Die datenschutz-rechtliche Absicherung ist für den Wirt der Sportklause gleichzeitig ein Beleg, wer sich hat testen lassen – und Grundlage seiner Abrechnung.
Transparenz und Nachprüfbarkeit
Niko Savvidis hat dieses Formular auf Empfehlung des Deutschen Roten Kreuzes zusätzlich in die Administration seines Testzentrums aufgenommen. Vor dem Test gleicht er die Angaben auf Formular und Vordruck mit dem Personalausweis des Besuchers ab. Schon die Vorlage des Personalausweises ist beileibe nicht in allen Testzentren üblich, wie Stichproben dieser Redaktion ergaben.
Niko Savvidis sind der ganze Aufwand und das viele Papier es wert. „Von Apps oder anderen digitalen Lösungen halte ich nichts.“ Ihm sind Transparenz und Nachprüfbarkeit wichtig. Denn manche digitale Lösung erscheint nach seinen Schilderungen quasi wie eine Einladung, es nicht so genau zu nehmen.
Der 42-Jährige erzählt von einem Testzentrum, das in der ersten Etage eines Hauses liegt. Bereits am Eingang im Erdgeschoss gebe es dort eine Hinweistafel, einen QR-Code in sein Smartphone einzuscannen. Danach öffne sich auf dem Handy automatisch ein Formular. Hier müssen die persönlichen Daten eingegeben werden – analog zum amtlichen Vordruck des Landes NRW.

Für jeden Tag ein Schnellhefter. Darin sammelt Niko Savvidis Einverständniserklärungen aller Getesteten. Ihre Anzahl ist Grundlage für die monatliche Abrechnung. © Uwe von Schirp
„Damit bist du schon im System erfasst“, erklärt er. „Egal, ob du dich tatsächlich testen lässt oder nicht. Du musst noch nicht einmal die Treppe hoch.“ Mehr noch: „Du kannst das auch mehrfach hintereinander machen.“ Die Digitalisierung: eine Vereinfachung in der Administration – gleichzeitig eine banale Möglichkeit, falsche Anzahlen an Tests abzurechnen. „Es kontrolliert ja niemand“, erzählt Savvidis.
Gesundheitsamt kontrollierte Räume
Kontrolliert habe sein Testzentrum das Gesundheitsamt, ob alles den Vorschriften für die Zulassung entspreche. Bei den Räumen, der Organisation und der Hygiene gab es keine Beanstandungen.
Die Abrechnung indes läuft nur digital. Mit der Zulassung habe er Zugangsdaten zum Abrechnungsportal der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) bekommen. Dort trage er in eine Tabelle ein, wie viele Abstriche seine Mitarbeiterinnen genommen haben und welche Beschaffungs- und Sachkosten er im abgelaufenen Monat hatte. In ein weiteres Feld tippt er die Gesamtkosten.
Zwölf Euro bekommt er pro Test an Aufwandsentschädigung. Sie deckt Personalkosten, Raummiete, Verbrauchsmaterial für Hygiene, PC und Drucker sowie auch Investitionen für Drucker, Klemmbretter et cetera ab. Bis zu 6 Euro erstattet das Bundesamt für soziale Sicherung über die KV für ein Test-Kit.

Niko Savvidis setzt Schnelltests ein, die beim RKI gelistet und deren Zuverlässigkeit evalusiert wurde. Die Kostenpauschale deckt Aufwendungen unter anderem für Einmalartikel und Hygieneprodukte ab. © Uwe von Schirp
Savvidis kauft die Testkits und Hygieneartikel wie Handschuhe bei einem Händler in Hamm. Dessen Geschäftszweck ist laut North-Data unter anderem der Vertrieb von medizinischen Produkten wie Schutzausrüstungen. „Für ein Test-Kit bezahle ich 2,80 Euro netto“, erklärt Savvidis. „Diese Tests sind beim Robert-Koch-Institut gelistet und evaluiert.“
Bestellungen nach Bedarf
Entsprechend der Anzahl der im Mai Getesteten hat Savvidis diese spitzen Kosten in die Tabelle im Portal der KV eingetragen. „Ich hätte auch 6 Euro, also den Maximalbetrag, eintragen können“, erklärt der Wirt. „Niemand kontrolliert es.“ In einem Ordner sammelt er alle Lieferscheine und Rechnungen.
Die Test-Kits bestellt er nach Bedarf, in überschaubaren Mengen zu 500 Stück. Auch in diesem Bereich gebe es Möglichkeiten des Betrugs: etwa wenn große Mengen auf Vorrat bestellt und dann gleich abgerechnet würden – egal ob sie verbraucht wurden. „Lücken im System gibt es viele“, erzählt der Netter. „Wenn beispielswiese ein Lieferant für die Test-Kits höhere Rechnungen ausstellt und Kunde und Lieferant sich dann den Gewinn teilen.“

Hier feiern Netter außerhalb der Corona-Zeit ihre Hochzeit oder tanzen in den Mai. Derzeit ist der Saal der Warteraum des Testzentrums. © Uwe von Schirp
Niko Savvidis sagt: „Zu Überprüfungen kann gerne jemand vorbeikommen. Wir haben alles dokumentiert.“ Auch die bisher wenigen Tests, die ein positives Ergebnis, also eine mögliche Corona-Infektion, ergaben. „Die habe ich eingescannt“, erklärt er. Unmittelbar melde er diese Ergebnisse über ein Portal an das Gesundheitsamt.
Von einem Fall weiß er: „Innerhalb von 30 Minuten hat sich das Gesundheitsamt dann bei der Person gemeldet.“ Er selbst fordere Positiv-Getestete bei Übergabe des Ergebnisses auf, unverzüglich den Hausarzt oder ein städtisches Testzentrum für einen PCR-Test aufzusuchen. Erst der dann zwingend vorgeschriebene PCR-Test bestätigt, ob der POC-Schnelltest „richtig positiv“ oder „falsch positiv“ ausfällt.
Betätigung auf Zeit
Die Sportklause in Nette ist ein kleines lokales Testzentrum. Mal kommen knapp 100 Bürger am Tag hierher. Am bisherigen Spitzentag waren es 242 – eine Ausnahme.
„Alle die kommen, tun auch etwas für die Gastronomie“, sagt der Wirt. „Das sind unsere letzten Tropfen.“ Freitags- und Samstagsabends öffnet er seit dem vergangenen Wochenende vor der Tür einen Bierwagen. Eine kleine Außengastronomie. Der Umsatz würde zum Überleben nicht reichen.
Die Sportklause aber ist einer der wenigen noch verbliebenen Treffpunkte im Quartier. Die Gastfreundschaft gilt auch für das Testzentrum: „Die Leute sollen sich wohlfühlen und gut medizinisch betreut werden“, erklärt Niko Savvidis. Nahezu jeder kennt ihn hier.
Das Testzentrum ist eine Betätigung auf Zeit. Der Wirt denkt langfristig. Betrügereien und Tricks? „Ich bin doch nicht verrückt.“
Geboren 1964. Dortmunder. Interessiert an Politik, Sport, Kultur, Lokalgeschichte. Nach Wanderjahren verwurzelt im Nordwesten. Schätzt die Menschen, ihre Geschichten und ihre klare Sprache. Erreichbar unter uwe.von-schirp@ruhrnachrichten.de.
