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Brücken-Neubau: Trickst die Deutsche Bahn ein Anwohner-Interesse aus?
Güterverkehr
Die Deutsche Bahn erneuert eine Eisenbahnbrücke – zunächst mit einer Hilfsbrücke. Ein Dortmunder lebt neben der Baustestelle. Nun prüft das Eisenbahn-Bundesamt. Ein kuriose Geschichte.
Günter Grammel lebt im Gleisdreieck der Köln-Mindener-Haupstrecke und dem Abzweig auf die Güterbahn Nord in Niedernette. Dort hat die Deutsche Bahn am zweiten Januar-Wochenende eine marode Bahnbrücke ausgebaut. Im März will sie für die Bahnquerung eine „Hilfsbrücke“ einsetzen, später dann einen endgültigen Ersatz. Bis März wird gebaut – häufig nachts wegen des Linienverkehrs zwischen Mengede und Hauptbahnhof.
Günter Grammel ist verärgert. Und das gar nicht mal wegen der nächtlichen Störung. Er fürchtet auch künftig um seinen Schlaf. Die neuen Brückenköpfe für die Widerlager rücken dauerhaft rund zwölf Meter an sein Haus bis an den Gartenzaun.
Schwere Güterzüge rauschen dann quasi an seinem Kopfkissen vorbei. Ein von der Bahn in Auftrag gegebenes Gutachten, das die Redaktion einsah, bewertet einen aktiven Schallschutz durch Lärmschutzwände als zu teuer. Stattdessen soll der 68-Jährige passiven Schallschutz durch schallisolierende Fenster bekommen. Die DB Netz AG billigt aber nur je drei Fenster für die beiden Gebäude auf dem Grundstück zu. Das Gutachten empfiehlt einen Vollschutz.
Kein Planfeststellungsverfahren
Die Häuser gehören zu einem ehemaligen Bauernhof, erbaut 1904. Günter Grammel kaufte den gesamten Resthof in den 90er-Jahren. Heute lebt sein Sohn mit Familie im zweiten Gebäude. Die Eigentümer fürchten neben dem Lärm vor allem Erschütterungen, die Schäden an der Gebäudesubstanz hervorrufen könnten.

Das Brückenbauweg entsteht komplett neu. Schwer vorstellbar, dass die Gründungen für die Brückenköpfe nur für einen vorübergehenden "Behelf" erfolgen. © Uwe von Schirp
Pikant: Für die aktuellen Bauarbeiten gibt es kein Planfeststellungsverfahren. Das ist zumindest beim Bau einer neuen dauerhaften Brücke notwendig. Wie eine Sprecherin des Eisenbahn-Bundesamtes (EBA) auf Anfrage dieser Redaktion mitteilt, habe die DB Netz AG für eine dauerhafte Brücke das Planfeststellungsverfahren am 13. Dezember 2021 beantragt.
Die Sprecherin bestätigt am Freitag (28.1.), dass der Behörde eine Beschwerde Günter Grammels vorliege. Das EBA prüfe, ob die DB Netz AG beim Bau der provisorischen Brücke das Planfeststellungsrecht als auch Grammels Rechte gegenüber Beeinträchtigungen aus dem Baubetrieb hinreichend beachtet habe.
Anforderungen an die Sicherheit
Wochenlang hatte der Eigentümer mit dem EBA korrespondiert. Am 14. Januar hieß es in einer E-Mail, dass derzeit „in Abgrenzung zum Neubau ‚Unterhaltungsarbeiten‘, also Arbeiten zur Herstellung der sogenannten ‚Hilfsbrücke‘ stattfinden“.
Der Einbau von Hilfsbrücken werde unter anderem „immer dann notwendig, wenn sanierungsbedürftige Bauwerke während der Bauzeit ohne größere Betriebserschwernisse ersetzt oder ertüchtigt werden sollen“, erklärt die EBA-Sprecherin. Mit den selben sicherheitstechnischen Anforderungen wie für dauerhafte Brücken.
„Der wesentliche Unterschied zwischen Hilfs- und Permanentbrücke liegt in der leichten und schnellen Montier-, Demontier- und Transportierbarkeit der Hilfsbrücken“, schreibt die Sprecherin. „Die im vorliegenden Fall errichteten Gründungen sind für die Lagerung und Dauer der Hilfsbrücke und werden zu einem späteren Zeitpunkt wieder zurückgebaut.“
Gleicher Standort überrascht nicht
Kurios: Die temporären Lager befinden sich an der Stelle der dauerhaften. Das erklärt das EBA in einer E-Mail an Günter Grammel. Für die Standsicherheit seien grundlegende Änderungen an der Widerlagergeometrie notwendig. „Dass sich dabei die Standorte der Fundamentprovisorien mit denen der später herzustellenden dauerhaften Fundamente örtlich überlagern, ist den statischen Erfordernissen geschuldet und überrascht daher nicht.“

In Niedernette liegt der Abzweig zu Güterbahnstrecke. Von Westen kommend, fahren Züge über die Brücke in Richtung Scharnhorst. © Uwe von Schirp
Vor fast genau einem Jahr informierte die DB Netz AG Günter Grammel das erste Mal über einen Neubau und eine „deutlich größere Länge“ der Brücke. In dem Schreiben war von einem „Ersatzneubau“ die Rede – geplant im Jahr 2023.
Diese Redaktion hat am 24. Januar eine differenzierte Anfrage an die Deutsche Bahn gerichtet. Eine Antwort steht bis Dienstag (1.2.) aus.
Geboren 1964. Dortmunder. Interessiert an Politik, Sport, Kultur, Lokalgeschichte. Nach Wanderjahren verwurzelt im Nordwesten. Schätzt die Menschen, ihre Geschichten und ihre klare Sprache. Erreichbar unter uwe.von-schirp@ruhrnachrichten.de.
