Drei obdachlose Menschen sind innerhalb von acht Tagen auf Dortmunds Straßen gestorben. Ein vierter Mann starb in Lünen. Bei den Menschen, die ohne festen Wohnsitz in Dortmund leben, löst das Betroffenheit aus.
„Den Mann, der am Hauptbahnhof gefunden worden ist, kenne ich bestimmt vom Sehen“, sagt Markus Loose. Der 50-Jährige sitzt am Dienstag auf einer Bank vor dem Imbiss Wurst Willi. An einem Rollator hängen Taschen und eine Isomatte. Er habe sich aktuell am Hauptbahnhof einquartiert. Genau zuordnen könne er den Toten nicht. „Aber wenn ich am Taxistand vorbeischaue, werde ich sehen, wer fehlt.“
In der Szene werde darüber gesprochen, viele hätten aber noch nicht davon gehört, dass es sich um drei Personen handle. „Ich kenne zum Glück niemanden näher, der gestorben ist“, sagt Markus Loose. Aber der Tod ist in der Szene immer präsent.
Alle zwei Wochen stirbt ein Obdachloser
Statistisch gesehen stirbt alle zwei Wochen eine obdachlose Person in Dortmund. Für das Jahr 2023 hat der Obdachlosenhilfeverein Bodo auf Grundlage von Zahlen der Stadt und der Polizei 28 Todesfälle gezählt. Im November 2023 kam es ebenfalls zu einer Häufung mehrerer Fälle. Innerhalb von sieben Tagen starben drei Männer an Unterkühlung.
Im Gast-Haus an der Rheinischen Straße hingen Bilder der Wohnungslosen, die dort regelmäßig zu Gast gewesen, aber gestorben seien, sagt Markus Loose. Er schätzt, es sind 30 bis 40 Fotos. „Die Menschen, die dort zu sehen sind, sind alle äußerlich nicht wirklich alt. Aber auf der Straße altert man innerlich“, sagt der 50-Jährige. Die Straße mache krank, sagt Markus Loose. Auch er sei gerade erst aus dem Krankenhaus entlassen worden. Ein hartnäckiger Keim im Bein habe ihm zugesetzt. Er habe mehrmals operiert werden müssen.

Markus Loose ist in Hörde geboren, der Vater habe gut verdient, erzählt er. Die Familie habe ein Haus in Kirchhörde gehabt, später sei man in eine Eigentumswohnung gezogen. Dann sei der Vater gestorben, als auch die Mutter stirbt, gerät das Leben von Markus Loose ins Wanken. Er lebt danach auf der Straße, sammelt Flaschen. Mit seinem Bein ginge das nun nicht mehr so gut.
Polizei nennt Obduktionsergebnisse
„Wenn man draußen lebt, braucht man viel Disziplin“, sagt er. „Im Winter darf man nicht zu lange liegen bleiben. Man muss die Hilfsangebote annehmen. Wenn man bei diesen Temperaturen tagelang nichts isst, der Körper ohnehin geschwächt ist und man dann Vodka trinkt, dann kann das ganz schnell nach hinten losgehen.“ Es gebe viele Hilfsangebote und engagierte Menschen in Dortmund, sagt der 50-Jährige. „Aber manche schaffen es nicht, die wahrzunehmen – aus verschiedenen Gründen.“
In zwei der drei Fälle aus Dortmund und dem Fall aus Lünen „waren medizinische Gründe in Kombination mit Alkoholmissbrauch“ ursächlich, heißt es von der Polizei. Es gebe keinen Hinweis auf ein Fremdverschulden. Auch ein „Kältetod“ sei auf Grundlage des Obduktionsergebnisses ausgeschlossen. Die Todesursache beim aktuellsten Fall vom 27. Januar ist noch unklar.
Auf dem Westenhellweg steht am Dienstagnachmittag Cedric und verkauft die Bodo. Angesprochen auf die Todesfälle sagt er: „Untereinander sprechen wir nicht darüber. Wir versuchen, das zur Seite zu schieben, weil wir die nächsten sein können.“
„Wir sind eine gesichtslose Masse“
Alle seien sich der Härte der Straße bewusst, sagt Cedric. „Ich bin von ein paar Kunden angesprochen, die sich Sorgen machen und meinten, ich solle auf mich aufpassen. Aber den Großteil der Menschen interessiert sich nicht für uns“, ist Cedric überzeugt. „Es wird für alles Mögliche demonstriert, aber uns sieht niemand. Wir sind eine gesichtslose Masse.“
Den Namen Cedric habe er sich selbst gegeben, sagt der 53-Jährige. So habe sein kleiner Bruder geheißen, der im Alter von 14 Jahren gestorben sei.
Dass es sich bei allen aktuellen Todesfällen um Alkoholmissbrauch gehandelt habe, bezweifelt er. „Trachtentruppe“ nennt Cedric die Uniformierten. Das Vertrauen in Polizei und Ordnungsbehörden ist in der Szene eher gering ausgeprägt, das konnte unsere Redaktion immer wieder in Gesprächen feststellen. Berichte von schlechten Erfahrungen hört man in der Szene immer wieder. Für Ärger sorgen Bußgelder und Vertreibung durch Ordnungsamt oder Polizei.
„Ohne Unterkunft keine Arbeit“
Cedric unterstellt den Behörden, dass sie die wahren Gründe für die Todesfälle nicht nennen würden. Diese Aussage ist aber eher ein Ausdruck des generellen Misstrauens, das man vielleicht gegenüber einer Gesellschaft entwickelt, die einen immer wieder mit Füßen getreten hat, als dass ihr ein wirklicher Wahrheitsgehalt zugemessen werden kann. Die Polizei Dortmund hat offizielle Obduktionsergebnisse mitgeteilt.
Cedric sei zwölf Jahre alt gewesen, als er das erste Mal volltrunken gewesen sei, erzählt er. Seine Eltern hätten ihn immer wieder zum Kiosk geschickt, um Schnaps zu kaufen. Dann der Tod des Bruders. Es ist ein erster tiefer Einschnitt im Leben, ein zweiter soll später folgen. Für Leihfirmen habe er jahrelang für zu wenig Geld geschuftet und sich dabei die Knochen kaputt gemacht. Als er dann nicht mehr arbeiten konnte, habe sich der Chef einen anderen gesucht. Die Wohnung habe er kurze Zeit später verloren.
Seit circa 14 Jahren schläft der 53-Jährige immer wieder draußen. Er habe mehrmals versucht, eine Wohnung zu bekommen. „Aber ohne Arbeit keine Unterkunft und ohne Unterkunft keine Arbeit“, sagt Cedric. Er ist froh über den Job bei Bodo. Über die Aussage der Stadt, dass niemand in Dortmund draußen schlafen müsse, kann er nur höhnisch lachen. In der Notfallschlafstelle an der Unionstraße habe er Gewalt erfahren. Seitdem schlafe er dort nicht mehr.
„Die Menschen sind einfach weg“
Wir treffen einen weiteren Mann vor der Thier-Galerie. Er fragt Passanten nach Geld, sein Hab und Gut hat er in einem Einkaufswagen dabei. Seit gut einem halben Jahr lebt er wieder auf der Straße. Mit der Freundin sei es aus, dann noch seine psychische Erkrankung, sagt er, es liefe alles nicht so glatt: also Straße. Wieder.
„Scheiße ist das“, sagt der junge Mann über die Todesfälle. Alle in der Szene würden über die Toten reden, aber irgendwie auch nicht so richtig. Es passiere ja immer wieder, sagt er. „Aber das in dieser Zahl zu hören, ist heftig.“ Er zählt zwei weitere Personen auf, von deren Tod er vor kurzem gehört habe. Dass sie gestorben sind, ist nicht öffentlich bekannt geworden. Die Tode beschäftigen ihn: „Man denkt darüber nach, dass die Menschen einfach weg sind. Es ist ein komisches Gefühl.“
Die Menschen, die nun aus dem Straßenbild Dortmunds und aus der Szene verschwunden sind, hießen Jörg und Yetkin. Der Name des Toten am Hauptbahnhof ist noch unbekannt. Sie wurden 56, 49 und 48 Jahre alt.
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