Der leere Alte Markt an einem Abend gegen 22 Uhr unter der Woche: Dortmunds Nachtleben ist derzeit arg eingeschränkt. © Oliver Schaper
Gastro-Branche in der Krise
Sparbetrieb in Dortmunds Nachtleben: „Einer Großstadt nicht würdig“
Wer in Dortmunds Innenstadt aktuell spätabends ausgehen will, hat schlechte Karten: Viele Lokale machen früher zu als vor der Pandemie. Die Probleme im Nachtleben haben vor allem zwei Ursachen.
Seit Jahrzehnten ist Margret Neumann abends in der City unterwegs. Die Dortmunderin besucht für ihr Leben gerne Sinfoniekonzerte. Das traditionelle Bier samt knusprig-warmem Salzkuchen danach am Alten Markt gehört für sie genauso zum Konzertabend wie Streicher, Bläser und Dirigent.
Doch was Neumann bei ihrem letzten Besuch erlebte, machte sie sprachlos. Als sie mit ihrer Begleitung nach einem Konzert unter der Woche gegen 22.15 Uhr ein Wirtshaus am Alten Markt betrat, „waren die Kellner gerade dabei, die Stühle hochzustellen“, erzählt sie. „Man wollte uns nicht mehr bedienen.“
Erst als sie protestierte, dass sie im Vorfeld extra angerufen und vorbestellt habe, habe sich der Kellner umgedreht und quer durch das Lokal gerufen: „Ey, haben wir noch Salzkuchen?“ Schließlich gab es doch noch den Traditions-Snack - wenn auch kalt - und jeweils ein Bier hingestellt, dazu gab’s direkt die Rechnung.
„Die Innenstadt ist wirklich tot“
Ein gemütlicher Ausklang des Abends war das jedoch nicht, sagt Neumann: „Wir haben in unwahrscheinlicher Hektik den Salzkuchen heruntergeschlungen, das eine Bier hinuntergespült und eiligst das Lokal verlassen.“ Dort sahen sie, dass es woanders nicht besser war: „Die anderen Gaststätten am Alten Markt waren entweder bereits geschlossen oder machten nach den letzten drei Gästen ebenfalls gerade zu.“
Überall herrschte gähnende Leere, so Neumann: „Die Innenstadt ist wirklich tot. Dieser Zustand ist einer Großstadt nicht würdig.“
Ein einsamer Kellner inmitten von verlassenen Stuhlreihen auf dem Alten Markt: „Ab 22 Uhr verbrennen wir jede Menge Geld“, sagt ein Wirt. © Oliver Schaper
So wie Neumann geht es derzeit vielen, die abends in Dortmunds Innenstadt noch ausgehen wollen. Unter der Woche werden in manchen Restaurants schon um kurz vor 20 Uhr keine Essensbestellungen mehr angenommen, ab 22 Uhr hilft in der City oft nur noch der Gang zum Kiosk, wenn man noch ein Bier möchte.
Ein Leser berichtete uns, dass selbst am Wochenende in einem großen Lokal am Alten Markt um 23.45 Uhr zur letzten Runde gerufen wurde - obwohl der Laden zu diesem Zeitpunkt zu drei Vierteln voll war. „Man schämt sich, wenn man mit Besuch von außerhalb in Dortmund ausgeht“, sagt ein dritter.
Dortmunder Wirt: „Ab 22 Uhr verbrennen wir jede Menge Geld“
Was ist los mit Dortmunds Nachtleben? Hört man sich in der Gastro-Szene der Stadt um, bekommt man immer wieder zwei Erklärungen für die Misere zu hören.
„Ab 22 Uhr verbrennen wir jede Menge Geld“, sagt etwa Jörg Kemper, Geschäftsführer des „Wenkers am Markt“. Um seinen Laden vernünftig am Laufen zu halten, brauche er mindestens jeweils drei Mitarbeiter in der Küche und im Service. Damit sich dieser Aufwand für das Wenkers rentiere, müsse er mehrere Hundert Euro Umsatz in der Stunde machen.
Doch das sei vor allem unter der Woche spätabends nicht drin. Es sei schlicht zu wenig los in der City. „Wenn du die ganze Zeit durchs Fenster siehst, dass da keiner ist, lässt du auch nicht auf Verdacht offen.“
Den Menschen fehle noch die Lockerheit beim Ausgehen, glaubt Kemper: „Die Leute sind immer noch eingeschüchtert wegen Corona, dazu kommen die ganzen Regularien. Früher hast du mit dem Kellner gescherzt, jetzt versteht man ihn kaum noch, weil er einen Ballen Stoff am Mund hat.“
Deshalb schließe das Wenkers unter der Woche momentan um 22 Uhr und am Sonntag sogar schon um 21 Uhr. Selbst freitags und samstags sei aktuell gegen Mitternacht Schluss. „Vor Corona hatten wir Minimum eine Stunde länger geöffnet“, sagt Kemper.
Lokale haben nicht genug Personal für lange Öffnungszeiten
Der etwas triste Zustand der Ausgehszene in Dortmund liegt jedoch nicht nur an der aktuell mangelnden Frequenz in der Innenstadt. „Das Personal ist das große Problem“, sagt Hubertus Brand, Mitinhaber des Roadstops in Syburg und Vorsitzender des Nachtleben-Vereins „Ausgehen in Dortmund“.
Arbeitnehmer in Deutschland dürfen laut Arbeitszeitgesetz maximal zehn Stunden pro Tag arbeiten - zu wenig für ein Lokal im Ganztagsbetrieb. Normalerweise gibt es dort deshalb Früh- und Spätschicht.
„Doch viele Gastronomen können aktuell nicht mehr in zwei Schichten arbeiten, weil das Personal fehlt“, sagt Brand - während der monatelangen Lockdowns und wegen der lange Zeit fehlenden Planungssicherheit haben viele Mitarbeiter der Gastronomie den Rücken gekehrt. „Wir müssen deshalb schauen, wie wir das knappe Personal am besten einsetzen, und da fallen die späten Stunden leider hinten rüber.“
Ein weiteres verbreitetes Mittel der Personal-Mängelverwaltung ist die Ausdehnung der Ruhetage. Auch das verknappt das Ausgeh-Angebot. „Das Zusammenstellen eines Abends ist viel komplizierter geworden“, gibt auch Brand zu.
Hoffnung auf verändertes Verhalten
Kollege Jörg Kemper vom Wenkers hofft derweil auf die Vorweihnachtszeit: „Die Reservierungslage rund um den Weihnachtsmarkt ist topp!“ Vielleicht ändere sich durch diese Zeit ja das Ausgehverhalten wieder.
Wer davor noch spätabends bei ihm einkehren wolle, dem rät Kemper folgendes: „Wenn mich jemand anruft und mir garantiert, dass er um 22 Uhr noch mit 20 Gästen kommt, dann lasse ich den Laden auch länger auf!“
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