Der erfahrene Dortmunder Gastronom Detlef Lotte befürchtet, dass ein Drittel der Dortmunder Gastronomien die aktuelle Ballung der Krisen nicht überstehen werden.

Der erfahrene Dortmunder Gastronom Detlef Lotte befürchtet, dass ein Drittel der Dortmunder Gastronomien die aktuelle Ballung der Krisen nicht überstehen werden. © Oliver Schaper (Archiv)

Dortmunds Gastronomie in Not: „Ein Drittel aller Betriebe wird verschwinden“

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Egal ob Corona, Personal-Not, Inflation oder explodierende Energiepreise: Die Gastro-Branche treffen alle aktuellen Krisen mit voller Wucht. Wie lang geht das noch gut? Ein Stimmungsbild aus Dortmund.

Dortmund

, 17.10.2022, 05:41 Uhr / Lesedauer: 4 min

Im schmalen Eingangsbereich des Cafés „Oma Rosa“ im Schatten des Volkswohlbund-Hochhauses ist das Gewusel groß. Mehrere Mütter samt Kleinkindern haben die Schaufenster-Plätze neben der Kuchentheke in einen Spielplatz umfunktioniert, drei Kunden stehen vor der Glasvitrine und wollen Kuchen abholen. Zwei weitere fragen, ob noch ein Tisch frei ist.

Melanie Wentzel-Terrahe ordnet das Chaos mit einem Lächeln, hilft parallel noch einer älteren Kundin, die nicht mehr so gut zu Fuß ist, auf die ebenerdig liegende Personal-Toilette. Das Geschäft brummt, bekommt man den Eindruck, und die energiegeladene 43-Jährige, die alle nur „Melli“ nennen, scheint alles voll im Griff zu haben.

„Es frisst dich auf“

Ein paar Minuten später hört sich das ein wenig anders an. „Der Druck ist immens und er kommt von allen Seiten“, sagt die zierliche Gastronomin und blickt nachdenklich nach draußen auf die Chemnitzer Straße. „Das macht eigentlich so einen Spaß hier, aber wenn du siehst, was von deinem eigentlich guten Umsatz abgeht, da wird dir schlecht. Es frisst dich auf.“

So wie Wentzel-Terrahe geht es vielen Gastronominnen und Gastronomen. Mehrere Krisen gleichzeitig schütteln die Branche aktuell gehörig durch: Es gibt kaum Personal, und die Aushilfen, die da sind, kosten seit der Mindestlohn-Erhöhung zum 1. Oktober von 9.60 Euro auf 12 Euro bedeutend mehr Geld. Gleiches gilt für die Lebensmittel, deren Preise im Zuge der Inflation in die Höhe schießen, und Gas und Strom, von denen Lokale durch Küche, Kühlung und Kundenraum-Beheizung und -Beleuchtung einiges verbrauchen.

Melanie Wentzel-Terrahe führt eines der beliebtesten Cafés Dortmunds, das "Oma Rosa". Auch sie treffen die Krisen hart.

Melanie Wentzel-Terrahe führt eines der beliebtesten Cafés Dortmunds, das "Oma Rosa". Auch sie treffen die Krisen hart. © Thomas Thiel

„Personal, Ware und Energie sind die drei Hauptkostenpunkte in der Gastronomie“, sagt Detlef Lotte, „sie machen weit über 50 Prozent aller Kosten aus.“ Der 69-jährige Inhaber vom „Schönes Leben“ und „Dieckmann’s“ ist einer der erfahrensten Akteure der Dortmunder Gastro-Szene. Die sieht Lotte aufgrund der Mehrfachbelastung vor tiefen Umbrüchen: „Mindestens ein Drittel aller gastronomischen Betriebe wird vom Markt verschwinden, damit muss man sich abfinden.“

Renate Dölling kann sich gut vorstellen, dass Lotte mit dieser Schätzung recht behält. Die Gastro-Expertin berät beim Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) in Westfalen seit über 30 Jahren Restaurants, Cafés und Bars. Sie sagt: „Diese Ballung von Krisen habe ich noch nie erlebt.“

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Bedeutend erschwert werde die Situation noch dadurch, dass diese Krisen auf eine Branche treffen, „deren finanzielle Polster durch die Corona-Krise sehr schmal geworden sind“, so Dölling. Sie rät in Schwierigkeiten steckenden Gastronomen als erste Notmaßnahme, ihre Öffnungszeiten zu reduzieren und sich von nicht rentablen Zeiträumen zu trennen.

Diesen Schritt sind zahlreiche Gastronomen in Dortmund bereits gegangen. Nur drei Beispiele:

  • In Lütgendortmund verzichtet das Restaurant „Hopfen und Salz“ seit Kurzem auf seine drei umsatzschwächsten Öffnungstage Montag bis Mittwoch. Den Schritt begründet Inhaber Antonio Link mit den explodierenden Energiekosten.
  • Das „Kartoffelpott“ im Saarlandstraßenviertel bleibt neuerdings samstags geschlossen. Grund seien die „steigenden Ausgaben für Energie, Personal und Lebensmittel“, heißt es in einem Aushang dort.
  • Das „Café Lotte“ hat jüngst seine Öffnungszeiten in seiner Brasserie am Eingang des Kaiserviertels reduziert. Statt um 22 Uhr ist dort nun schon um 19 Uhr Schluss. Warum, ist nicht bekannt - eine Anfrage unserer Redaktion ließ das Café unbeantwortet.

Auch Melanie Wentzel-Terrahe hat die Öffnungszeiten ihres „Oma Rosa“ stark zusammengestrichen. Einst hatte sie dienstags bis sonntags von 10 bis 18 Uhr geöffnet, mittlerweile ist am Samstag und Sonntag bereits um 16 Uhr Feierabend. Dienstags bis freitags öffnet das Café gar nur von 9 bis 14 Uhr.

„Oma Rosa“ hat ein Drittel weniger auf

Insgesamt sind die Öffnungszeiten des „Oma Rosa“ also um ein Drittel geschrumpft - was bemerkenswert ist für ein Café, das bei einer Auswertung der beliebtesten Cafés Dortmunds vor einigen Monaten auf Platz 2 kam. Diese Beliebtheit zeigt sich in den Reservierungen: „Wir sind aktuell vier bis fünf Wochenenden im Voraus ausgebucht“, sagt Wentzel-Terrahe. „Wir könnten das Ding dreimal füllen.“

Doch selbst ein so gefragtes Café wie das „Oma Rosa“ kann sich die schwächeren Randzeiten nicht mehr leisten: „Der Nachmittag war zu kostenintensiv, um weiter aufzubleiben“, sagt Wentzel-Terrahe.

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Um „locker 30 Prozent“ seien ihre Einkaufskosten in den vergangenen Monaten gestiegen, schätzt die Gastronomin: „Da guckst du dir jeden Posten an.“ Vor zwei Monaten habe sie deshalb die Preise für ihre Törtchenstücke um 25 Prozent angehoben - zum ersten Mal seit der Eröffnung des „Oma Rosa“ vor fünf Jahren.

Die gestiegenen Kosten könne man aber nicht auf breiter Front an die Kunden weitergeben, sagt Wentzel-Terrahe: „Bei 14,90 Euro für ein Frühstück ist mein Preis ausgereizt. Mehr geht nicht.“

Eine andere Stellschraube sei das, was man verkaufe: „Wir setzen noch mehr auf regionale und saisonale Produkte – auch aus Spargründen.“ Darüber hinaus versucht die Café-Besitzerin, überschüssiges Essen zu vermeiden. So habe man die Zahl der Brötchen reduziert, die bei den Frühstücken auf den Tisch kommen. Den Kunden werde aber immer gesagt, dass man Brötchen ohne Aufpreis nachbestellen könne - „wir wollen nicht, dass die ‚Oma‘ geizig wirkt.“

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Ein radikaler Umbruch steht dem Café Anfang November bevor: Dann hören aus den unterschiedlichsten Gründen fast alle von Wentzel-Terrahes 13 Aushilfen auf. Auch wegen des Anstiegs des Mindestlohns will Gastronomin keinen Ersatz für sie suchen, sondern ausprobieren, ob der Betrieb erstmal mit den sieben fest angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu stemmen ist.

„Ich möchte lieber ein festangestelltes Team, das langfristig bei mir bleibt“, sagt Wentzel-Terrahe. Sie suche auch schon lange nach passenden weiteren Angestellten, doch seien die schwer zu finden - eine Erfahrung, die sie mit vielen Gastronomen teilt.

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Ihr Kollege Detlef Lotte etwa verpachtete nach Corona sogar eines seiner drei Dortmunder Lokale (das „Buffalo Beef“), weil ihm das Personal fehlte - in den Räumen im Kreuzviertel ist nun das Restaurant „Sachte“ zuhause. „Wir machen uns schlank und warten ab“, sagt Lotte, der bundesweit insgesamt sieben Gastro-Betriebe hat.

Ein weiterer Weg durch die Krisen seien gute neue Konzepte, die sich nach den Kundenwünschen ausrichten, glaubt Dehoga-Expertin Dölling. In dem Aspekt hat sie in Wentzel-Terrahe eine Schwester im Geiste: „Bei diesen ganzen Krisen muss man sich neu erfinden“, sagt die Gastronomin.

Melanie Wentzel-Terrahe und der von ihr so getaufte "Oma-Rosa-Platz": neben dem Café (links) und der Tortenschmiede (Mitte) soll bald "Oma Rosas Stübchen" (rechts) das Ensemble komplettieren.

Melanie Wentzel-Terrahe und der von ihr so getaufte "Oma-Rosa-Platz": neben dem Café (links) und der Tortenschmiede (Mitte) soll bald "Oma Rosas Stübchen" (rechts) das Ensemble komplettieren. © Thomas Thiel

Schon lange ist Wentzel-Terrahe nicht mehr „nur“ eine Café-Betreiberin, sondern werkelt an der Y-Kreuzung der Chemnitzer Straße mit der Hakenstraße an ihrem eigenen Mini-Torten-Imperium: Schräg gegenüber hat sie die Oma-Rosa-„Tortenschmiede“ aufgebaut, in der nicht nur die 300 Törtchen entstehen, die pro Woche im Café verkauft werden, sondern auch rund 20 bis 30 großen Motto-Torten pro Wochenende für Familienfeiern.

An der dritten Seite der kleinen Kreuzung im nördlichen Saarlandviertel entsteht nun ein dritter Oma-Rosa-Laden. In dem ehemaligen Yoga-Studio soll „Oma Rosas Stübchen“ entstehen: eine Küche für Back- und Koch-Kurse, dazu soll dort der Außer-Haus-Verkauf der Törtchen gebündelt werden.

Melanie Wentzel-Terrahe in ihrem neuen Ladenlokal. Es soll die Krisen-Absicherung für ihr kleines "Oma Rosa"-Imperium werden.

Melanie Wentzel-Terrahe in ihrem neuen Ladenlokal. Es soll die Krisen-Absicherung für ihr kleines "Oma Rosa"-Imperium werden. © Thomas Thiel

„Wir bauen den Laden auf, um krisenresistent zu werden“, sagt Wentzel-Terrahe, die einen „mittleren fünfstelligen Betrag“ in den Umbau steckt. Auch den hauseigenen Torten-Lieferdienst will Wentzel-Terrahe erweitern.

Die Dortmunderin stellt ihre „Oma Rosa“ bewusst immer breiter auf, macht mittlerweile auch Caterings, ist auf Messen präsent. Denn sie ist überzeugt: „In der heutigen Zeit ist ein normaler Café-Betrieb wirtschaftlich nicht mehr rentabel.“

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