
© Kevin Kindel
Dortmunderin bekommt Dankes-Brief von den Taliban
Mit Video
Seit mehr als 30 Jahren kümmert sich Karla Schefter um Menschen in Afghanistan, lange hat sie selbst dort gelebt. Die Taliban sind für sie nicht pauschal böse.
Das Schreiben, das Karla Schefter vor wenigen Wochen aus Afghanistan zugeschickt bekommen hat, ist eine aufwendig verzierte handschriftliche Urkunde. Beigefügt ist eine englische Übersetzung: In der Überschrift ist die Rede vom „Islamischen Emirat von Afghanistan“. Karla Schefter bekam Post von den Taliban.
Die Dortmunderin ist seit mehr als 30 Jahren in dem krisengeschüttelten Land engagiert und betreibt ein Krankenhaus 65 Kilometer von Kabul entfernt. „Vor etwa zwei Monaten haben sie die Provinz schon übernommen“, erzählt sie in ihrer Dortmunder Wohnung.
Vor eineinhalb Jahren sei sie zum bislang letzten Mal vor Ort gewesen, erzählt Schefter. Schon damals konnte sie nur tagsüber heimlich von Kabul zum Krankenhaus in der Provinz fahren, weil die Gefahr von Entführungen oder anderen Angriffen bestand.
„Einige meiner engeren Freunde sind auch umgebracht worden“, sagt die Dortmunderin, spricht dann aber ohne Pause weiter, offenbar weil dieser Satz für sie viel normaler ist als für die meisten anderen Menschen.
Täglicher Kontakt nach Afghanistan
Jeden Tag hat sie auch in dieser aktuellen Zeit Kontakt zu Vertrauten in Kabul. Viele Menschen dort kennt sie seit mehr als zehn Jahren. „Manchmal wird einem richtig schlecht“, sagt sie auf ihre aktuellen Gefühle angesprochen: „Es geht sogar so weit, dass man mal anfängt zu heulen, wenn es einen überkommt.“
Und dafür muss bei einer erfahrenen Krankenhaus-Managerin in einem Krisengebiet schon einiges zusammenkommen. Für ihr Engagement ist sie unter anderem mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet worden.
Jahrelang hat Karla Schefter in Afghanistan so gelebt wie die Einheimischen. Komplett ohne Strom sei das Krankenhaus in Handarbeit errichtet worden, erzählt sie. Ohne Generatoren könnte der Stromverbrauch auch heute nicht gedeckt werden.
„Man muss die westliche Denke beiseitelegen“, sagt Schefter mehr als einmal. In der Diskussion aus der Entfernung über Afghanistan und die Taliban herrscht ihr zu viel Schwarz-Weiß-Denken. Im Krankenhaus habe sie schon mal eine junge Frau aufgenommen, die von ihrem Vater schwer verwundet worden sei, weil er sie mit einem fremden Mann erwischt hat. Der Liebhaber habe den Tag nicht überlebt. Taliban hätten die Frau ins Hospital gebracht.
„Gesellschaften sind einfach unterschiedlich.“
Karla Schefter sagt auch, dass Mehrfachehen beispielsweise nur mit der Zustimmung der ersten Frau geschlossen würden. Und sie weist darauf hin, wie häufig Ehen in Deutschland geschieden werden. „Dieses Verurteilen ist falsch“, sagt Karla Schefter: „Gesellschaften sind einfach unterschiedlich.“
Genauso schwierig sei es, die Taliban in eine Schublade zu stecken. Eine pauschale Bewertung nennt sie einen „Trugschluss des Westens“. Alle Menschen seien unterschiedlich: „Pauschalurteile stören mich einfach.“
„Die Taliban sind teilweise aus den Familien vor Ort, die kennen mich und das Krankenhaus seit ihrer Kindheit“, sagt die Dortmunderin: „Es gibt nicht nur Gute und Schlechte.“ Dabei betont sie: „Ich will auch nicht sagen, dass sie alle gut wären.“ Es gebe vor allem nicht pauschal die Taliban als geschlossene Gruppe: „Die Taliban haben sich auch gegenseitig bekämpft.“
„Es haben uns einmal Regierungs-Soldaten eine Eskorte gegeben. Das war das Schlimmste, was man machen konnte“, sagt sie: „Wenn die Taliban Regierungsleute sehen, fangen die an zu schießen.“ Ein anderes Mal hätten jedoch auch Taliban ihren Schutz angeboten. Aber: „Wir bestehen darauf, dass wir unparteiisch sind. Patient ist Patient und fertig.“

In diesem Schreiben bedanken sich die Taliban für die Arbeit der Dortmunder Krankenhaus-Chefin Karla Schefter. © Kevin Kindel
Diese Haltung hat immerhin zu dem Ansehen geführt, das in dem handschriftlich verzierten Brief vom 4. Juli 2021 ausgedrückt wird. Drei Personen mit Positionen im Gesundheitswesen des angeblichen Islamischen Emirats drücken Karla Schefter und einem deutschen Journalisten darin ihren Dank für ihre Arbeit aus.
Trotzdem blickt die Dortmunderin voller Sorge in die Zukunft. Eigentlich sei der halbjährliche Großeinkauf fürs Krankenhaus geplant gewesen. Doch die Banken seien geschlossen und Straßen gesperrt. „Die große Sorge ist jetzt: Wie kommt man an Geld? Im Moment geht gar nichts“, sagt Schefter: „Da hängen wahnsinnig viele Patienten dran.“ Und sie kenne durchaus auch Menschen, die aus Afghanistan fliehen wollen. Dem Krankenhaus-Personal werde aber nichts passieren, ist sie sich sicher.
Die Spendengelder sollen sicher sein
Wichtig ist Schefter mit Blick auf Spender aus Deutschland: Vom Spendenkonto werde erst wieder nach Afghanistan überwiesen, wenn die Lage stabiler ist. Das Geld sei somit sicher. Etwa bis Oktober oder November könne der Betrieb des Krankenhauses mit den bisherigen Vorräten laufen.
Ganz anders als zur ersten Herrschaftszeit der Taliban in den 90er-Jahren und damit deutlich problematischer sei jetzt, dass die Gruppe nicht mehr einheitlich auftrete und es jetzt auch noch Sympathisanten des Islamischen Staates (IS) in Kabul gebe. „Früher wusste man wo die Front ist“, sagt Schefter: „Jetzt kann es von allen Seiten irgendwie losgehen.“
Kevin Kindel, geboren 1991 in Dortmund, seit 2009 als Journalist tätig, hat in Bremen und in Schweden Journalistik und Kommunikation studiert.
