Auf dem Alten Markt hat sich am Sonntagnachmittag (6.11.) eine lange Schlange aus Menschen gebildet. Etwa 70 Meter lang zieht sie sich über den belebten Platz, auf dem an diesem Tag besonders viele Menschen unterwegs sind. Denn es ist Hansemarkt und verkaufsoffener Sonntag. Die Menschen, die stundenlang in der Schlange stehen, warten auf: Steine!
Natürlich nicht auf irgendwelche. Die Steine, die sich die Anstehenden an einem kleinen, roten Zelt abholen können, waren in der mittelalterlichen Dortmunder Stadtmauer verbaut.
2000 Steine für Dortmunder
Die war bei Bauarbeiten für das DEW-Fernwärmenetz vor dem Baukunstarchiv am Ostwall freigelegt und archäologisch dokumentiert worden. Um das Stück Stadtgeschichte zu erhalten, wurde die ursprüngliche Trasse der neuen Leitungen um wenige Meter versetzt und die Mauer wieder mit Erde überdeckt.
Doch das war im Bereich der Einmündung von der Viktoriastraße auf den Ostwall nicht möglich. Ein Mauerstück von etwa 4,5 Metern musste daher weichen. Die Stadt hat sich entschieden, rund 2000 der darin verbauten Steine an die Dortmunderinnen und Dortmunder abzugeben, die sich diese am Sonntag gegen eine Spende auf dem Hansemarkt abholen konnten.
„So wichtige Geschichtszeugnisse können wir nicht einfach in den Schredder schmeißen“, sagt Stadtarchäologe Ingmar Luther am Sonntag. „Wir wissen, viele Dortmunder interessieren sich für die Stadtgeschichte.“

„Steine haben Dienst getan“
Neun Meter hoch, war die Stadtmauer, die Dortmund im Mittelalter vor Angriffen schützte, erzählt Luther. „Also unüberwindbar. Dortmund ist nie eingenommen worden. Da können die Dortmunder richtig stolz drauf sein“, sagt Luther. „Die Steine haben ihren Dienst getan. Und wenn man sieht, was hier heute los ist, tun die Steine nochmal ihren Dienst, indem sie Gutes für die Kinder tun“, sagt der Archäologe mit strahlenden Augen.
Denn die Spenden, gegen die die Steine angegeben werden, kommen dem Kinderschutzbund zugute. Martina Furlan, Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes, nimmt am Sonntag immer wieder Geldscheine entgegen. 25 Euro für die kleinen Steine und 50 Euro für die größeren hatte die Stadt vorher als Empfehlung ausgegeben.
„Wir haben uns gedacht, wenn Steine versteigert werden, wäre es doch toll, wenn der Kinderschutzbund davon profitiert, weil wir auch gerade Steine brauchen“, sagt Furlan. „Und zwar für unser Dach, das undicht ist und für das wir ganz viel Geld in die Hand nehmen müssen.“ Sie sei total überwältigt, sagt sie. „Wir hätten nie damit gerechnet, dass es so einen Riesenandrang geben wird.“
Selbst am Abend, als noch immer Steine nachgefragt werden, kann Stadtarchäologe Ingmar Luther nur schätzen, wie viel Geld tatsächlich bei der Aktion zusammengekommen ist. 20.000 Euro werden es wohl sein sagt er. „Es sprengt bei weitem alles, was ich erwartet habe.“ Wegen des riesigen Andrangs könne er sich gut vorstellen, dass eine solche Aktion noch einmal geben wird.
„Stück Dortmunder Historie“
Auch Sonja und Martin Titt hätten nicht mit einem solchen Andrang gerechnet, als sie am Vormittag zum alten Markt gefahren sind. Auf eine Sackkarre haben sie einen großen Stein und weitere kleinere geladen. Seit zweieinhalb Stunden stehen sie zu diesem Zeitpunkt schon in der Schlange. Und stehen weiter an. Denn sie wollen auch noch ein Echtheitszertifikat für die Steine habe. Die werden nämlich noch fotografiert und dann bei der Denkmalbehörde katalogisiert.

„Es wäre einfach, in den Baumarkt zu fahren und sich so einen Stein zu besorgen. Wenn man eine Urkunde dazu hat, kann man zu Recht behaupten, dass man ein Stück Dortmunder Historie zu Hause hat“, sagt Martina Titt. „Die Idee und dann noch für den guten Zweck, finde ich ganz toll.“ Den großen Stein wollen sie in ihrem Hause in eine Wand einbauen lassen.

Ähnliches plant Gereon Kater. Er will seinen Stein in seine Terrasse in Brechten einlassen. Der 61-Jährige hat extra eine Schubkarre mitgebracht, in der auch die Steine, der um ihn herum Wartenden liegen. „Einer mehr oder weniger ist ja auch kein Problem, und dann müssen die anderen sie nicht tragen“, sagt er.
Ein Stein reist nach Japan
Seit 11.15 Uhr steht er bereits auf dem Alten Markt – zum Zeitpunkt des Gesprächs schon drei Stunden. „Als Dortmunder ist das schon etwas Besonderes, aber ich weiß nicht, ob ich so lange angestanden hätte, wenn es nicht für den Kinderschutzbund gewesen wäre“, sagt er.
Nicht alle Steine werden in Dortmund oder gar Deutschland bleiben. Neben Gereon Kater steht die Japanerin Yuki Endo. Die 39-Jährige besucht Freunde in Dortmund, die mit ihr auf den Hansemarkt wollten. In der Handtasche hat sie einen kleinen Stein, der in die geschlossene Hand passt.

Der soll in Japan ihren Tisch dekorieren, sagt die 39-Jährige. „Vielleicht mit ein paar kleinen Pflanzen drauf.“
Ein Video zum Stadtmauer-Verkauf finden Sie unter rn.de/dortmund
Live-Video - Riesenandrang beim Stadtmauer-Verkauf: Hunderte wollen die uralten Steine
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