Dortmunder Stadtbahnfahrer (44) verteidigt Tarifeinigung „Sonst wäre der Urlaub flach gefallen“

S-Bahnfahrer zur Tarifeinigung: „Sonst wäre der Urlaub flach gefallen“
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Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst von Bund und Kommunen können im kommenden Jahr mit deutlich höheren Löhnen rechnen. Die Tarifparteien verständigten sich bei der vierten Tarifrunde am vergangenen Wochenende in Potsdam darauf, eine vorangegangene Schlichtungsempfehlung ohne wesentliche Änderungen anzunehmen.

Verdi-Chef Frank Werneke zufolge handelt es sich um die „größte Tarifsteigerung in der Nachkriegsgeschichte im öffentlichen Dienst“. Bereits ab Juni sieht der Tarifabschluss einen stufenweise ausgezahlten Inflationsausgleich von insgesamt 3000 Euro vor.

Für einen Stadtbahnfahrer wie Martin Tourbier, der seit 2001 bei DSW21 arbeitet, bedeutet der geplante Tarifabschluss, dass er für die Monate Januar bis Juni 1240 Euro ausgezahlt bekommt, dann ab 1. Juli bis Februar 2024 monatlich 220 Euro netto Inflationsausgleich erhält und ab 1. März 2024 ein um 356 Euro brutto höheres Gehalt bezieht.

„Gleicht Inflation nicht aus“

„Das gleicht die Inflation und die gestiegenen Lebenshaltungskosten nicht aus, ist aber natürlich eine große Erleichterung“, sagt Martin Tourbier. Beim Einkaufen musste der 44-Jährige in den vergangenen Monaten immer mehr auf die Preise achten, seine Rechnung für Strom und Gas hat sich um monatlich 100 Euro erhöht und die mit Beginn des Krieges in der Ukraine gestiegenen Benzinpreise machen sich auch bemerkbar.

Stadtbahnfahrer Martin Tourbier (l.) und DSW21-Betriebsrat Michael Schneider blicken in Dortmund zufrieden auf die Einigung im Tarifstreit. „Es hätte natürlich mehr sein können. Am Ende ist es ein Kompromiss, der bei uns über alle Entgeltgruppen eine Gehaltserhöhung um durchschnittlich 11,5 Prozent bedeutet“, sagt Michael Schneider.
Stadtbahnfahrer Martin Tourbier (l.) und DSW21-Betriebsrat Michael Schneider blicken zufrieden auf die Einigung im Tarifstreit. „Es hätte natürlich mehr sein können. Am Ende ist es ein Kompromiss, der bei uns über alle Entgeltgruppen eine Gehaltserhöhung um durchschnittlich 11,5 Prozent bedeutet“, sagt Michael Schneider. © Peter Wulle

„Man ist ja auf das Auto angewiesen, wenn man morgens die erste Bahn aus dem Betriebshof fährt oder nachts die letzte Fahrt macht“, sagt Martin Tourbier, der in Brünninghausen wohnt. Auf den Öffentlichen Nahverkehr umsteigen kann er nicht. „Man spart also einfach bei einigen Dingen, zum Beispiel beim Essengehen. Und ohne eine Gehaltserhöhung wäre der Urlaub in diesem Jahr flach gefallen.“

Mit Michael Schneider, Betriebsrat und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender bei DSW21, betont Martin Tourbier, dass die fünf Warnstreiktage in diesem Jahr nicht nur für das Mehr im eigenen Portemonnaie wichtig gewesen seien. „Bus- und Bahnfahrerinnen und -fahrer bekommen jetzt ein Einstiegsgehalt von 3000 Euro brutto statt 2650 Euro brutto. Das eröffnet uns einen anderen Markt, um Kollegen ansprechen zu können. Denn wir brauchen Personal. Wir haben Leute an Amazon und auch an die Flaschenpost verloren. Die hoffen wir, wieder für den Fahrdienst zurückholen zu können“, sagt Michael Schneider, der auch Mitglied der Bundestarifkommission ist und bei der Einigung in Potsdam dabei war.

Corona-Zeit war hart

„Ich bin manches Mal gefahren, obwohl ich eigentlich frei hatte. Es waren während der Corona-Pandemie oft einfach keine Leute da. Wir hatten einen hohen Krankenstand. Und da ich auch Busfahrer bin, hab ich auch auf den Buslinien ausgeholfen, um Engpässe abzufedern, wenn die dort noch heftiger waren als bei den Stadtbahnen. Die letzten zwei bis drei Jahre waren extrem hart“, sagt Martin Tourbier.

Und wer, so fragt er, wolle denn Bus- oder Bahnfahrer werden, wenn der Job nicht finanziell auch attraktiv sei. „Bisher ist es so“, sagt dazu Betriebsrat Michael Schneider, „dass uns junge Leute kurz nach der Ausbildung verlassen, weil sie in der freien Wirtschaft gleich viel oder mehr verdienen.“

„Zudem muss man wissen“, so Martin Tourbier, „dass ein neuer Kollege oder eine neue Kollegin im Fahrdienst erst mal nur 6 von 52 Wochenenden im Jahr frei hat. Nach zwei Jahren erhöht sich das bei unserem Schichtbetrieb auf 12 freie Wochenenden. Und das für 14 Euro die Stunde, die man woanders auch ohne Wochenenddienste bekommt. Das erklärt, warum wir gestreikt haben.“

Wie viele Branchen steht auch der Öffentliche Dienst unter Druck und braucht Fachpersonal. Und das in einer Zeit, in der sich der Arbeitgebermarkt in einen Arbeitnehmermarkt gewandelt hat. „Im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) in Deutschland“, sagt Harald Kraus, Arbeitsdirektor der Dortmunder Stadtwerke DSW21, „werden bis 2030 rund 74.000 Beschäftigte in den Ruhestand gehen. Zudem brauchen wir weitere 110.000 Arbeits- und Fachkräfte, um die quantitativen und qualitativen Anforderungen der Verkehrswende umsetzen zu können.“

Rund 14 Mio. Euro Kosten

Auf DSW21 runtergebrochen heiße das: „Wir werden in den kommenden zehn Jahren rund 1.000 Mitarbeitende altersbedingt ersetzen müssen. Das ist die Hälfte der aktuell 2.000 Menschen umfassenden Belegschaft. Zusätzlicher Bedarf im Rahmen der Verkehrswende ist hier noch nicht eingerechnet.“

Wer jetzt gutes Personal möchte, so die Quintessenz, der muss auch gutes Geld bezahlen. Für DSW21 verrät Arbeitsdirektor Harald Kraus, was das Tarifergebnis das Unternehmen wohl kosten wird: „Wir rechnen gerade genau nach, schätzen aber aktuell, dass der Abschluss DSW21 grob etwa 14 Millionen Euro über zwei Jahre kosten würde.“

Zahlen das am Ende die Kunden durch eine Erhöhung der Fahrpreise? „Nein“, sagt Betriebsrat Michael Schneider, „durch den Tarifabschluss werden die Fahrpreise nicht erhöht. Bund und Kommunen müssen den ÖPNV mit ausgestalten. Dazu gehören nicht nur der Ausbau der Infrastruktur, sondern auch Investitionen in Personal.“ Außerdem seien in der Finanzplanung ja steigende Personalkosten zum Teil schon berücksichtigt.

Drei Berechnungsbeispiele der Gewerkschaft Verdi zeigen, was die Tarifeinigung für andere Berufsgruppen im Öffentlichen Dienst bedeutet:

  • Eine Erzieherin (in Entgeltgruppe S8a/Stufe 6) mit derzeit 3.979,52 Euro brutto Monatseinkommen erhält beispielsweise ab 1. Januar 2023 bis 30. Juni 2023 1.240 Euro netto Inflationsausgleichsgeld; vom Juli 2023 bis Februar 2024 monatlich 220 Euro netto mehr. Ab 1. März 2024 erhält sie 4.409,39 Euro als monatliches Bruttogehalt; das heißt 429,87 Euro (10,8 Prozent) mehr.
  • Ein Müllwerker (in Entgeltgruppe EG3/Stufe3) mit derzeit 2.660,65 Euro monatlichem Bruttogehalt erhält ab 1. Januar 2023 bis 30. Juni 2023 1.240 Euro netto Inflationsausgleichsgeld; vom Juli 2023 bis Februar 2024 monatlich 220 Euro netto mehr. Ab 1.März 2024 erhält er 3.017,99 Euro als monatliches Bruttogehalt; das heißt 357,34 Euro (13,4 Prozent) mehr.
  • Eine Pflegefachkraft (in Entgeltgruppe P8/Stufe 4) mit derzeit 3.448,44 Euro monatlichem Bruttogehalt erhält ab 1. Januar 2023 bis 30. Juni 2023 1.240 Euro netto Inflationsausgleichsgeld; vom Juli 2023 bis Februar 2024 monatlich 220 Euro netto mehr. Ab 1. März 2024 erhält sie 3.849,10 Euro monatliches Bruttogehalt; das sind 400,66 Euro mehr (11,6 Prozent).

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