Professor Ahmet Toprak hat in Deutschland und der Türkei studiert und lehrt angewandte Sozialwissenschaften an der Fachhochschule Dortmund. Er hat mehrere Bücher über Migranten in Deutschland veröffentlicht.

Professor Ahmet Toprak hat in Deutschland und der Türkei studiert und lehrt angewandte Sozialwissenschaften an der Fachhochschule Dortmund. Er hat mehrere Bücher über Migranten in Deutschland veröffentlicht. © Marcus Heine

Dortmunder Professor: Bei Straßen-Blockade geht es um Provokation

rnHochzeitskorso

Eine Hochzeitsgesellschaft hat mit ihren Autos in Dortmund eine Fahrbahn des Walls blockiert. Der Dortmunder Soziologe Ahmet Toprak vermutet eine abgewandelte Tradition als Hintergrund der Aktion.

Dortmund

, 10.05.2022, 05:00 Uhr / Lesedauer: 2 min

Eine Hochzeitsgesellschaft hat am Sonntag den Wall auf Höhe des Hauptbahnhofs blockiert. Laut Augenzeugen parkten die Hochzeitsgäste und das Brautpaar ihre Autos auf der Straße, stiegen aus und tanzten auf der Fahrbahn. Die Polizei prüft aktuell Ordnungswidrigkeiten- und Strafverfahren.

Die Staatsangehörigkeit der Feiernden von Sonntag ist unbekannt. Im türkischen Kulturraum haben Hochzeitskorsos allerdings eine lange Tradition. In dieser Form, wie sie bereits vor der Pandemie und nun wieder in Dortmund auftreten, seien sie vergleichsweise neu, sagt Ahmet Toprak.

Jetzt lesen

Der Professor lehrt an der Fachhochschule Dortmund und hat zum Hochzeitsverhalten junger Migranten geforscht. Er vertritt die These, dass es beim Blockieren von Straßen auch um Ansehen und Provokation geht.

Verwurzelt in ländlicher Tradition

In der ländlichen Türkei der 30er- bis 60er-Jahre seien Hochzeitskorsos sehr gängig gewesen. Hochzeitsfeiern dauerten da oft drei Tage, beginnend bei der Braut und endend beim Bräutigam. Der Bräutigam habe die Braut dazu oft aus einem anderen Dorf abgeholt. „Wenn man es sich leisten konnte, mit einem Autokorso“, so Professor Ahmet Toprak. Der Korso symbolisiere die Freude der Seite des Bräutigams, die Braut aufzunehmen.

Mehrere Autos blockieren die Fahrbahn des Wall in Dortmund. Eine Frau in weißem Brautkleid und mehrere junge Männer in Anzügen sind zu sehen.

Eine Hochzeitsgesellschaft hat am Sonntagabend (8.5.) den Wall lahmgelegt. © Beat Linde

Auch in dieser Tradition seien gelegentlich Straßen gesperrt worden - oft von Unbeteiligten. Der Bräutigam musste diese dann bezahlen, um mit dem Korso weiterfahren zu dürfen. Die Überlegung laut Ahmet Toprak: „Wer sich eine Braut leisten kann, kann sich das auch leisten.“

Dass Hochzeitskorsos in Deutschland zum Problem werden, sei dagegen erst seit einigen Jahren so. „Migranten haben immer geheiratet. Aber dieses Korsos, bei denen Autobahnen und Straßen blockiert werden, sind ein neues Phänomen.“

Provokation um Ansehen zu erreichen

Forschung zu dieser Art der Hochzeitskorsos gebe es wenig, betont Ahmet Toprak. Aus seiner Sicht, lassen sie sich aber als eine Art Jugendkultur interpretieren. „Die Fahrer sind ja meist junge Männer, selten Frauen. Ich halte das für eine neue jugendkulturelle Variante von Hochzeitskorsos, die auf Provokation ausgelegt ist.“ Provokation sei allen Jugendkulturen gemein.

Durch den sichtbaren Regelbruch gewinne die Hochzeitsgesellschaft Aufmerksamkeit und Ansehen - zumindest unter Gleichgesinnten. Auch ein Männlichkeitsritual sieht Ahmet Toprak darin, betont allerdings: „Es gibt auch genügend Türkischstämmige, die hegemoniale Männlichkeit ablehnen, die das prollig finden.“

Dass vergleichbare Aktionen meist mit eher hochpreisigen Fahrzeugen auffallen, sei kein Zufall, sagt Professor Ahmet Toprak. Es gehe auch darum, sich selbst und sein Vermögen zu zeigen - in Deutschland sei das eher verpönt. Und er fügt hinzu: „Bei den allermeisten, die ich kenne, sind die Autos übrigens gemietet oder geleast.“

Die öffentlichkeitswirksame Provokation und das Zur-Schau-Stellen von Status sorgen laut Ahmet Toprak für Nachahmer: „Wenn die Nachbarn das machen, machen es vielleicht andere auch.“

Strafen für den Regelbruch

„Bei den jungen Leuten wird das häufig verharmlost“, sagt Ahmet Toprak. Er habe selbst mit Hochzeitsgesellschaften gesprochen. „Die haben gesagt, sie hätten einfach Spaß.“ Für den Professor ist aber klar: Wenn Regeln durch die Provokation gebrochen werden, müsse dies auch bestraft werden. Der Führerschein sei da ein gutes Mittel. Diese Abschreckung könnten auch helfen, ähnliche Vorfälle für die Zukunft zu verhindern.

Jetzt lesen

Für die Übertragung der traditionellen Hochzeitskorsos in angemessenem Rahmen habe er dennoch Verständnis. In einer kleinen Sackgasse kurz anzuhalten sieht Ahmet Toprak weniger kritisch. „Auf einer Autobahn oder dem Wall geht das selbstverständlich nicht. Aber in einer Sackgasse fehlt eben die Provokation - das macht dann keinen Spaß.“