Gabriele, die Oma von Lucas G., machte sich zusammen mit Journalist Thilo Mischke auf die Sache nach ihrem Enkel in Nordsyrien. © ProSieben

TV-Dokumentation

„Abenteuerlust“ machte den Dortmunder Lucas G. zum IS-Kämpfer

Wo ist Lucas G.? Der Dortmunder ist mit 19 Jahren nach Syrien ausgereist, um sich der Terrororganisation Islamischer Staat anzuschließen. Ein Fernsehteam und seine Oma machten ihn nun ausfindig.

Dortmund

, 08.11.2021 / Lesedauer: 4 min

Tausende Deutsche sind Mitte der 2010er-Jahre nach Syrien ausgewandert, um für die Terrormiliz „Islamischer Staat“ in den Krieg zu ziehen. Einer davon war der Dortmunder Lucas G.. Was brachte ihn dazu? Die Macher einer neuen TV-Dokumentation sprachen erstmals mit dem Salafisten.

Der Journalist Thilo Mischke drehte für den Privatsender Pro 7 den Film „Das Erbe des Dschihad - Was tun mit Deutschlands IS-Terroristen?“, der am Montagabend (8.11.) ausgestrahlt wurde. Dazu begab sich der Moderator zusammen mit Gabriele, der Oma von Lucas G., nach Syrien.

Wie kam der damals 19-jährige Lucas überhaupt dazu, sich 2014 dem Islamischen Staat anzuschließen? Die Spurensuche dafür beginnt in Dortmund.

Lucas G. wurde hier 1995 geboren, wuchs die ersten zehn Lebensjahre bei seiner Oma in Scharnhorst auf, danach bei seiner Mutter. „Es gibt bessere Ortsteile in Dortmund, aber es geht auch schlechter. Es ist hier multikulturell“, sagt ein Jugendfreund, der anonym bleiben möchte.

Er und Lucas G. hätten zusammen Handball gespielt und eine Dauerkarte für die Südtribüne gehabt. Der Kontakt sei eng gewesen - bis Lucas sich den Salafisten anschloss: „Er rutschte immer mehr rein und der Kontakt brach ab.“

Gabriele seien die Veränderungen erstmals aufgefallen, als Lucas auf die Berufsschule wechselte, erzählt die Großmutter. Er ließ sich plötzlich einen Bart wachsen. „Wenn er mich besucht hat, fragte er zu bestimmten Uhrzeiten, ob er in mein Schlafzimmer zum Beten könne.“

Lucas G. entschied sich für den Salafismus. Die Doku zeigt Video-Ausschnitte, auf denen er vor der Reinoldikirche steht und Korane für die seit 2016 verbotene salafistische Lies!-Kampagne verteilt.

„Aber ich kann‘s nicht ändern“

Im Internet lernte G. die bayrische Konvertitin Julia kennen. Die beiden heiraten im Juli 2014 und reisen in die Türkei, dann nach Syrien. 2016 wird Lucas G. Vater einer Tochter, dann folgt ein Sohn. G. gibt sich fortan den islamistischen Kampfnamen Abu Ibrahim al-Almani.

Um die Spuren vor Ort zu verfolgen, reisen Mischke und Gabriele zweimal in den kurdischen Teil Nordsyriens, nach Qamischli. Dort sitzt G.s Ehefrau mit den beiden Kindern in einem Internierungslager für IS-Angehörige. Im Interview erklärt Julia, dass sie ausgewandert seien, um einen Staat mit zu errichten, in dem islamistische Regeln gelten. Inzwischen betrachte sie die Ausreise als Fehler: „Aber ich kann‘s nicht ändern.“ Ja, sie hätten den IS unterstützt, auch wenn sie darauf nicht stolz sei.

Lucas G. und seine Frau hätten sich im Januar 2019 den kurdischen Kämpfern in Raqqa ergeben. Der Salafist kam daraufhin in ein Gefängnis, wo er weiterhin einsitzt. Bei der ersten Reise im Dezember 2020 konnten Mischke und G.s Oma Gabriele ihn nicht treffen.

Emotionales Aufeinandertreffen

Im April 2021 reisen sie erneut nach Syrien - dieses Mal klappt ein emotionales Treffen zwischen dem Inhaftierten und der Oma. Minutenlang hielten die beiden sich weinend im Arm, durften kurz Zeit alleine verbringen. Dann wollte Mischke mit Lucas G. sprechen.

G. gibt an, dass die IS-Propaganda ihn ausgetrickst habe: „Mit jungen 18, 19 Jahren reist man nicht nur wegen religiöser Überzeugung aus, sondern auch ein Stück weit wegen Abenteuerlust.“

Er sei nicht an Kämpfen oder Folter beteiligt gewesen, behauptet er. Eine jesidische Expertin kritisiert diese Aussage. Zu oft höre man das: „Das ist ein Schlag ins Gesicht für alle Opfer des IS. Scheinbar hat ein Genozid stattgefunden ohne Täter.“

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G. hingegen gibt an, zu spät „das wahre Gesicht“ des IS erkannt zu haben. Er habe sich nach kurzer Zeit abgewandt.

Journalist Mischke bezweifelt die Glaubwürdigkeit dieser Aussage. Im Interview verfängt sich Lucas G. dann auch in Widersprüchen: So gab er zum Beispiel an, er habe in Raqqa für die Polizei gearbeitet. Dass bei dieser Foltermethoden angewandt wurden, ist belegt. Absolute Unwissenheit, wie G. sie behauptet, erscheint wenig glaubwürdig.

Die Arbeit für die Polizei passt zudem nicht dazu, dass Lucas G. behauptet, er habe sich direkt nach seiner Ankunft in Raqqa Mitte 2015 vom IS losgesagt.

Auf die Frage des Journalisten Mischke, warum er als Abtrünniger dann nicht gehenkt worden sei, antwortet G. allenfalls unbefriedigend: Er sei einfach ein zu kleines Licht gewesen.

Letztlich fragt der Journalist, was denn G.s Wunsch sei: nach Deutschland zurückkommen, sein Vollabitur machen und Sport studieren.

Ob und wann G. zurückkommt, ist aber unklar. Dann würde ihm aber der Prozess gemacht wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Darauf stehen ein bis zu zehn Jahre Haft.

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