Es hat Monate gedauert, bis die von DEW beauftragten Wirtschaftsprüfer ungezählte Rechnungen, Belege und sonstige Unterlagen geprüft und ausgewertet haben. Bis zu bundesweit 40.000 Kunden, so der aktuelle Stand, sollen von der DEW-Tochter stadtenergie mit zu hohen Forderungen über den Tisch gezogen worden sein. Inzwischen haben die von DEW ebenfalls eingeschalteten Anwälte ihren Abschlussbericht verfasst und der Dortmunder Staatsanwaltschaft übersandt.
Die Strafverfolger haben prompt reagiert: Die Staatsanwaltschaft hat jetzt ein förmliches Ermittlungsverfahren gegen den früheren Prokuristen von stadtenergie eingeleitet - und in einem ersten Schritt dessen Privatwohnung und Auto durchsuchen lassen, wie Staatsanwalt Henner Kruse auf Anfrage bestätigt. „Dabei haben wir Datenträger sichergestellt, die nun ausgewertet werden“, sagt Kruse.
In der Folge würden mehrere Zeugen vernommen, darunter frühere Geschäftsführer und Mitarbeiter von stadtenergie. Der Verdacht richtet sich zunächst allein gegen den Ex-Prokuristen der Skandalfirma, die bei ihren Kunden am Pranger steht. Von „krimineller Energie“ ist die Rede. Dabei werden dem ehemaligen Prokuristen „tiefe Kenntnisse“ der IT-Systeme nachgesagt, in denen er die Verbräuche zu Lasten der Kunden nach oben manipuliert haben soll.
Ex-Prokurist wehrt sich
Ermittelt wird nun wegen des Anfangsverdachts eines Betruges „zum Nachteil der Kunden und zum Vorteil Dritter“, wie Kruse sagt. Dabei geht es um einen Schaden von 35 Millionen Euro. Damit erhärtet sich die früh geäußerte Vermutung seitens DEW, nach dem der Ex-Prokurist offenbar nicht in die eigene Tasche gewirtschaftet habe, sondern tatsächlich die Unternehmensbilanz von stadtenergie aufpolieren wollte. Aus welchen Gründen auch immer.
Der Mann, der in seiner Rolle als Prokurist eine Leitungsfunktion hatte, ist längst von seinen Aufgaben entbunden und freigestellt. Tatenlos hinnehmen will er das aber offenbar nicht: Wie zu erfahren war, hat er eine Kündigungsschutzklage eingereicht, über die bislang nicht entschieden ist.
Bis dato konzentrieren sich die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft allein auf ihn. Dabei muss es aber nicht bleiben. Staatsanwalt Kurse schließt nicht aus, dass weitere Personen ins Fadenkreuz der Strafverfolger geraten könnten, sofern sich ein „Anfangsverdacht“ ergebe.
Im weiteren Verlauf der Ermittlungen würde nun Zeugen vernommen. Unter anderem frühere Mitarbeiter und Geschäftsführer von stadtenergie. „Wir werden alle vernehmen, die mit den Vorgängen zu tun hatten“, so Kruse. Ob Ex-DEW-Chefin Heike Heim dazu zählt, wollte Kruse nicht verraten. „Wir stehen erst am Anfang.“
Kunden erhalten Geld zurück
Es ist kein Geheimnis, dass der Markteintritt des digital arbeitenden Billiganbieters von Ökogas und -strom auf ihr Betreiben erfolgt ist. Stadtenergie war „ihr Kind“. Heim selbst sprach stolz von einem „digitalen Schnellboot“, das bundesweit Kunden aufnehmen sollte. Aus heutiger Sicht betrachtet, gilt stadtenergie als Flopp: Trotz zahlreicher Bedenken im Hause DEW 2020 an den Start gegangen, hat das Unternehmen nur Verluste produziert.
Die in Rede stehende Summe von 35 Mio. Euro, um die Kunden von stadtenergie insgesamt geprellt worden sein sollen, will DEW den Verbrauchern nun erstatten. Nach Informationen dieser Redaktion soll mit der Erstattung der zuviel gezahlten Beträge gegen Sommerende/Frühherbst begonnen werden. Sie soll in mehreren Tranchen abgewickelt werden. Wie hoch die Beträge im Einzelnen sind, war bislang nicht zu erfahren – dabei sollen etliche Kunden sogar mehrfach mit falschen Abrechnungen betrogen worden sein.
Wird stadtenergie abgewickelt?
Der Gesamtschaden, der bei DEW aufläuft, summiert sich aktuell auf 74 Mio. Euro. Darin enthalten sind beispielsweise rund 14 Mio. Euro Folgeverluste. Sie entstehen, weil etliche Kundenverträge noch bis 2025 laufen und zu den damals abgeschlossenen Konditionen erfüllt werden müssen. Auch das fällt DEW auf die Füße – dieser Schaden wird aber offenbar nicht dem Ex-Prokuristen zugerechnet. Ebensowenig wohl die „Luftbuchungen“ in Höhe von 12 Mio. Euro, die daraus resultieren, dass Einnahmen von stadtenergie Anfang 2023 in unzulässiger Weise doppelt gebucht worden waren.
Aktuell ist völlig offen, wann die Strafverfolger ihre Ermittlungen abschließen und möglicherweise Anklage erheben. Ein früherer Geschäftsführer von stadtenergie war bereits 2023 vor Bekanntwerden des Skandals ausgestiegen und zu einem Versorger nach Oldenburg gewechselt – den er inzwischen ebenfalls verlassen hat.
Ein weiterer Geschäftsführer von stadtenergie hat seinen Posten vor Wochen „im gegenseitigen Einvernehmen“ aufgegeben. Das Neukundengeschäft von stadtenergie ist längst gestoppt. Eine Entscheidung, ob DEW seine „Billig-Tochter“ nach Auslaufen der Kundenverträge abwickelt und vom Markt nimmt, ist noch nicht gefallen.
Aus für Heike Heim nach Skandalen: DSW21-Chefin muss gehen - Aufsichtsrat kündigt ihr fristlos