Ist Dortmund von Karstadt abhängig? Expertin sieht neue Chancen für die City - warnt aber auch

„Dortmund ist nicht abhängig von Karstadt“: Forscherin sieht Chancen
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Das geplante Aus für Karstadt in Dortmund wirft viele Fragen auf. Im Interview äußert sich dazu die Dortmunder Expertin Nina Hangebruch. Sie ist Stadtplanerin und als Wissenschaftlerin am Fachgebiet Stadt- und Regionalplanung der TU und im Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung in Dortmund beschäftigt. Sie befasst sich seit fast 20 Jahren mit Veränderungsprozessen in den Innenstadtzentren. Seit mehr als zehn Jahren beobachtet sie die Umnutzung ehemaliger Warenhausstandorte.

Viele in Dortmund hat es überrascht, dass das Karstadt-Haus am Westenhellweg auch auf der Streichliste des Konzerns steht. Hat es Sie auch überrascht?

Ja durchaus, obwohl der Standort ja auch schon 2020 auf der Streichliste stand und erst im Laufe zäher Verhandlungen gesichert wurde. Wenn ich mir die Streichliste ansehe, ist für mich kein Muster erkennbar. Ich kann nur spekulieren - und das mache ich eigentlich ungern.

Neben Dortmund sind einige weitere starke Handelsstandorte mit großem Einzugsgebiet dabei, an denen das letzte verbliebene Warenhaus nun schließen soll. Ich kann weder die lokale Kaufkraft, noch die Zentralität, den Zustand der Gebäude oder die Verkaufsflächengröße als Muster sehen. Und fünf der 52 beabsichtigten Schließungen wurden ja schon wieder zurückgenommen.

In Dortmund sind erst vor wenigen Jahren viele Millionen Euro in das Karstadt-Haus investiert worden und es müssten nochmal viel mehr Millionen investiert werden, um es neu zu nutzen. Wäre es also nicht sinnvoll, die Miete doch noch weiter zu senken und einen schrittweisen Umbau einzuleiten?

Soweit ich weiß, hat die RFR Management GmbH als Eigentümer der Immobilie in Dortmund schon in der Vergangenheit Zugeständnisse bei der Miete gemacht. Ich kann daher nicht einschätzen, inwiefern seitens des Vermieters weitere Mietminderungen möglich sind, um an einem Handelskonzept festzuhalten, das seit Jahrzehnten Marktanteile verliert. Und nicht zuletzt verliert ja auch die Immobilie zumindest buchhalterisch immer mehr an Wert, je weiter die Miete reduziert wird.

Meine Erfahrung zeigt aber generell, dass die Eigentümer bis zu einer gewissen Schmerzgrenze kompromissbereit sind, gerade weil die Umnutzung der großen Warenhausgebäude oft kein Selbstläufer ist. Übliche Nachnutzungsroutinen aus der Vergangenheit greifen längst nicht mehr.

Früher hieß es „Handel ersetzt Handel“ - jetzt stehen wir vor der Frage „Was kommt nach dem Handel?“ Das gilt zumindest für große Teile der Obergeschossflächen, die vom Handel nicht mehr nachgefragt werden. Aber meine Untersuchungen zeigen auch, dass eine Nachnutzung von Warenhausimmobilien keine Frage des „ob“, sondern des „wann“ ist. Bis eine Nachnutzung realisiert ist, hat es in der Vergangenheit im Schnitt fünf Jahre gedauert. Gerade komplexe Umstrukturierungen brauchen ihre Zeit. Das erklärt auch, weshalb viele der Ende 2020 aufgegebenen Warenhäuser noch nicht nachgenutzt sind.

Was würde ein Karstadt-Aus für die Dortmunder City bedeutet? Würde das den Handelsstandort insgesamt nach unten ziehen?

Noch ist es ja nicht wirklich endgültig, dass Karstadt in Dortmund schließt. Möglicherweise ist die Ankündigung der Schließung ja ein Verhandlungsinstrument und es gibt noch Spielraum für einen weiteren Mietnachlass oder die Verkaufsfläche wird lediglich verkleinert. Und nicht zuletzt muss ja auch die Gläubigerversammlung noch Ende März dem Sanierungskonzept zustimmen. Aber auf keinen Fall darf man jetzt die Dortmunder City als Einzelhandelsstandort schlechtreden.

Dortmund ist traditionell ein starker Einzelhandelsstandort. Auch wenn es inzwischen einige lang anhalte Leerstände gibt, ist das kein standortspezifisches Problem, sondern ein strukturelles Problem, das aus den genannten Veränderungen im Einkaufsverhalten resultiert und durch die Corona-Pandemie und die nun sehr schwache Konsumstimmung weiter verstärkt wird. Sollte es tatsächlich zu einer Schließung kommen, entstünden in Dortmund keine Sortimentslücken. Alles, was Karstadt anbietet, gibt es auch in anderen Geschäften. Auch wenn das Angebot in bestimmten Sortimenten, z.B. bei Wäsche, Strümpfen oder Haushaltswaren in Quantität und Qualität beeindruckend ist. Aber von diesen Randsortimenten kann ein Warenhaus natürlich nicht leben.

Die Debatte um Warenhausschließungen und die Nachnutzung der Gebäude ist in allen betroffenen Städten emotional hoch aufgeladen. Wenn es um die betroffenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geht, die eine jahrelange Hängepartie mitmachen und immer wieder erhebliche Lohneinbußen in Kauf genommen haben, vielfach auch ihre gesamte Berufstätigkeit bei Karstadt verbracht haben, ist das durchaus nachvollziehbar. Wenn es aber um die Versorgungsfunktion des Warenhauses geht oder die wirtschaftliche Funktion, dann haben Warenhäuser seit vielen Jahren bereits massiv gegenüber ihrer früheren Bedeutung verloren. Hier überwiegen dann eher emotionale Gefühle und Erinnerungen an die gute alte Zeit - und das letztlich vor allem auch bei der Zielgruppe 60/70 Jahre plus.

Fragen Sie mal junge Menschen, wann sie zuletzt im Warenhaus waren. Warenhäuser sind vielerorts vor allem städtebaulich markante Konstanten im Stadtbild, die ähnlich wie die Kirchen, der Marktplatz oder der Bahnhof zur Innenstadt gehören. Eine Studie der Bundesstiftung Baukultur zum Beispiel zeigt, dass der Verlust alteingesessener Geschäfte als Verlust von Heimat empfunden wird. Und inzwischen dürfte jeder gebürtige Dortmunder mit dem Karstadt-Warenhaus in dieser zentralen Innenstadtlage aufgewachsen sein. Aber die Sorge um Bewährtes und der Wille des Bewahrens darf jetzt nicht unser Denken und Handeln prägen. Unabhängig davon, ob Karstadt jetzt tatsächlich schließt oder einmal mehr gesichert wird, ist es wichtig, möglichst schnell und gemeinsam mit dem Immobilieneigentümer über alternative Verwendungsmöglichkeiten für das Gebäude nachzudenken.

Na ja, wenn es nur Karstadt wäre. P&C ist gerade in ein Insolvenzverfahren gegangen, dem Traditions-Schuhgeschäft Salamander droht ebenfalls die Insolvenz, Galeria Kaufhof ist weg, die ehemaligen Verkaufsflächen der Mayerschen Buchhandlung stehen nach wie vor leer und von C&A weiß man im Prinzip, dass der Standort am Ostenhellweg aufgegeben wird und man sich verkleinern möchte.

Ja, viele Verkaufsflächen werden durch die Verlagerung von Einkäufen und Umsätzen in das Internet nicht mehr gebraucht. Aber unsere Innenstädte sterben nicht, sie verändern sich vielmehr grundlegend. Das schürt vielerorts Unsicherheit, weil es an Vorstellungskraft fehlt, wohin die Reise gehen kann.

Dabei gilt es, Ruhe zu bewahren und den Übergangsprozess zu gestalten. Wir stehen mit dem Wandel unserer Innenstädte vor einer gesamtgesellschaftlichen Herausforderung - nicht nur in Dortmund. Und jede Stadt muss für sich und mit Einbindung der Stadtgesellschaft und der Immobilieneigentümerinnen und -eigentümer eine eigene Vision für ihre Innenstadt entwickeln.

Dafür braucht es ein konsequentes Umdenken und einen radikalen Kurswechsel, Mut, alte Abhängigkeiten zu überwinden, eingeübte und vermeintlich sichere Pfade zu verlassen und neue Wege zu gehen. Und es braucht eine entsprechende Öffentlichkeitsarbeit, die für die Herausforderungen sensibilisiert. Der Wandel im innerstädtischen Nutzungsgefüge scheint unausweichlich. Wir haben deshalb keine andere Möglichkeit, als uns die Zeit zu nehmen, die in den letzten Jahrzehnten vom Handel dominierte City in einen Ort für Wohnen, Bildung, Kultur, Freizeit, Gesundheit, Arbeit - und auch weiterhin Einzelhandel - zu wandeln.

Kündigt das geplante Karstadt-Aus einen tiefgreifenden Wandel am Westenhellweg in Dortmund an? Es gelte, die City in einen Ort für Wohnen, Bildung, Kultur, Freizeit, Gesundheit, Arbeit - und auch weiterhin Einzelhandel - zu wandeln, meint die Wissenschaftlerin Nina Hangebruch.
Kündigt das geplante Karstadt-Aus einen tiefgreifenden Wandel am Westenhellweg an? Es gelte, die City in einen Ort für Wohnen, Bildung, Kultur, Freizeit, Gesundheit, Arbeit - und auch weiterhin Einzelhandel - zu wandeln, meint die Wissenschaftlerin Nina Hangebruch. © Stephan Schütze

Sie haben sich mit 220 Warenhäusern befasst, die zwischen 1994 und 2019 in Deutschland aufgegeben wurden. Fast alle wurden neu genutzt. Welche Nutzungsmöglichkeiten könnte es denn für das Karstadt-Haus in Dortmund geben?

Grundsätzlich sollten wir nicht nur die mit einer möglichen Warenhausschließung verbundenen Risiken und Unwägbarkeiten sehen, sondern auch die Chancen, die die Umnutzung einer solch zentral gelegenen Immobilie in unseren dicht bebauten Innenstadtzentren bieten kann. Wichtig ist vor allem, in den Erdgeschossen eine publikumswirksame Nutzung, also eine Nutzung, die die Innenstadt belebt und Frequenz schafft und bestenfalls auch öffentlich zugänglich ist.

Über die Eingänge und die großen Fensterflächen am Westenhellweg, der Hansastraße und dem Hansaplatz besteht zudem eine große Interaktion mit dem öffentlichen Raum. Dies gilt es bei einem Nachnutzungskonzept zu berücksichtigen.

Was wäre alles denkbar?

Das Spektrum der bisher andernorts realisierten Nachnutzungen ist sehr groß - es reicht von Handelsnutzungen (zumindest auf einem Teil der Fläche) über Büroflächen und Co-Working, Behördenstandorte, Hotels, Wohnungen, Pflegeheime, Kindergärten, Schulen, Theater, Kinos, Volkshochschulen, Bibliotheken, Fitnessstudios bis Museen.

Für Dortmund ist angesichts der herausragenden Handelslage zumindest im Erdgeschoss nach wie vor eine Handelsnutzung gut denkbar. Darüber könnten Bildung und Kultur oder Co-Working eine Option sein. Vielleicht könnten sogar Teile der des Gebäudes von der Universität genutzt werden - wie es in Osnabrück im ehemaligen Kaufhof derzeit geschieht. Im besten Fall gelingt es, mit der Umnutzung wieder Menschen in die Innenstadt zu ziehen, die dort gegenwärtig nicht mehr hinkommen. Und vielleicht gelingt ja auch eine Belebung außerhalb der üblichen Geschäftszeiten.

Interessant wäre auch eine Dachflächen-Nutzung mit Sitzmöglichkeiten und einem Café. Es gibt viele Beispiele vor allem aus dem internationalen Raum, die die Machbarkeit und den großen Zuspruch derartiger Angebote unterstreichen. Aus meiner Sicht kommt es jetzt darauf an, bei ansiedlungsinteressierten oder verlagerungsbereiten Firmen sowie städtischen Institutionen, die eines neuen Standorts bedürfen, konsequent einen Fokus auf die nicht mehr benötigten Geschäftsflächen in der Innenstadt zu legen.

Wie lange würde es nach Ihrer Einschätzung dauern, bis das Karstadt-Haus nach einer Schließung Ende 2024 wieder genutzt wird?

In der Regel findet nach einer Standort-Aufgabe ein Verkauf der Immobilie statt. Die jetzigen Eigentümer sind Bestandhalter und veräußern das Gebäude in der Regel an einen Projektentwickler, wenn keine weitere Handelsnutzung möglich ist. Das ist nicht selten ein längerer Such- und Verhandlungsprozess.

Umnutzungskonzepte „von der Stange“ greifen zumeist nicht und es muss immer standortindivduell ein Nachnutzungskonzept entwickelt werden. Technisch ist eine Umstrukturierung der Immobilien und eine Umnutzung der Bestandsgebäude in aller Regel machbar. Aber um die großen, zusammenhängenden Verkaufsflächen natürlich zu belichten und zu belüften, müssen eventuell Fassaden geöffnet oder Atrien geschaffen werden. Für kleinteiligere Nutzungen müssen die großen Verkaufsflächen anders parzelliert und die Gebäudetechnik grundlegend umstrukturiert werden. Es steht also ein teurer Umbau an.

Der Einstiegspreis in die Projektentwicklung, d.h. der Grunderwerbspreis, den der Projektentwickler dem Alteigentümer zahlt, ist deshalb von zentraler Bedeutung dafür, ob eine Umnutzung wirtschaftlich realisierbar ist. Es kann dauern, bis man da zusammen kommt. Wichtig ist deshalb, von vornherein die Erwartungen an schnelle Lösungen zu dämpfen.

Dass es nicht einfach ist, zeigt ja die Kaufhof-Immobilie. Ich gehe davon aus, dass sich die Umnutzungszeiträume in Zukunft eher noch ausdehnen könnten. Wir reden dann von fünf Jahren und mehr. In dieser Zeit ist eine Zwischennutzung der Immobilie - zumindest im Erdgeschoss - sehr wichtig. Das muss nicht immer ein Sonderverkauf sein, auch kulturelle und kreativwirtschaftliche Zwischennutzungen sind denkbar.

Geändertes Einkaufsverhalten führt zum Wandel in der City: „Junge Menschen kommen generell viel weniger in die City, sie kaufen vor allem im Internet“, sagt Nina Hangebruch.
Geändertes Einkaufsverhalten führt zum Wandel in der City: „Junge Menschen kommen generell viel weniger in die City, sie kaufen vor allem im Internet“, sagt Nina Hangebruch. © Stephan Schütze

Ist die Zeit für solche Konsumtempel wie Karstadt vorbei? Oder gibt es nicht gerade bei Karstadt auch viele hausgemachte Defizite und Versäumnisse, die der Hauptgrund für den Niedergang sind?

Es kommt beides zusammen. Es gibt mit Signa einen Warenhausbetreiber, der unzureichend in das Warenhausgeschäft investiert und es gibt und gab auch immer wieder fragliche Managemententscheidungen - sofern ich das sagen kann, denn ich bin keine Betriebswirtin. Aber mit meinem Laienverständnis wundern mich auch die Sanierungsabsichten einmal mehr, wenn ich lese, dass jetzt nicht nur 47 Standorte geschlossen werden, sondern auch verbleibende Häuser verkleinert werden und die Marken- und Artikelanzahl ebenso wie das Personal auf der Verkaufsfläche weiter reduziert werden soll. Verliert das Warenhaus damit nicht noch weiter an Attraktivität?

Zudem verliert das Warenhaus durch die Fokussierung auf ältere Zielgruppen zwangsläufig immer mehr Kundschaft. Und junge Menschen kommen generell viel weniger in die City, sie kaufen vor allem im Internet. Die Umsatzdynamik im Onlinehandel ist enorm. Rund 40 Prozent der Kleidung beispielsweise wird im Internet gekauft, gleichzeitig bildet Kleidung aber das Kernsortiment bei Karstadt. Der Einkauf im Internet führt zu rückläufigen Frequenzen in den Innenstadtzentren und verminderten Flächenbedarfen seitens der Handelsunternehmen. Das betrifft ja nicht nur die Warenhäuser.

Transparenz-Hinweis: Wir haben die ursprüngliche Überschrift „Dortmund ist nicht abhängig von Karstadt“ angepasst, das dieses Zitat nicht autorisiert war.

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