Jahrelange Warterei auf „Tiny Village“ nervt Hausbauer „Das ist typisch Dortmund“

Hausbauer warten seit Jahren auf Baustart von „Tiny Village“
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Die mögliche Zukunft eines der prestigeträchtigsten Bauprojekte in Dortmund steht am Rande eines tristen Parkplatzes in einem Lüner Gewerbegebiet. Gegenüber einer Autowerkstatt sind vor Kurzem drei kleine Fertighäuser aufgestellt worden.

An diesem grauen Frühlingsnachmittag besichtigen sie rund 20 Menschen. Die meist grauhaarigen Interessenten lassen sich durch die drei unterschiedlichen Modelle führen, die zwischen 28 und 50 Quadratmeter groß sind. Die potenziellen Hauskäufer fachsimpeln über platzsparende Bett-Schreibtisch-Kombinationen, stellen kritische Fragen zur Belüftung, prüfen Flurbreiten auf ihre Rollator-Tauglichkeit.

Drei "Tiny Houses" stehen in einem Lüner Gewerbegebiet.
Drei „Tiny Houses“ stehen seit kurzem neben dem Parkplatz einer Auto-Werkstatt in einem Lüner Gewerbegebiet. © Thomas Thiel
Besichtigungstermin in einem Tiny-Ausstellungshaus in Lünen
Besichtigungstermin in einem Tiny-Ausstellungshaus in Lünen: Passt der Rollator durch den Flur? © Thomas Thiel

Die Stadt Dortmund hat zu dem Besichtigungstermin an der Lüner Ausfallstraße eingeladen, besser gesagt ihre Kampagne „Kleines Haus. Großes Leben“. Der Kern der Kampagne ist die geplante Tiny-House-Siedlung in Sölde. Dort soll ein Neubaugebiet speziell für Mini-Eigenheime entstehen - maximal 45 Quadratmeter groß, wenn dort nur ein Mensch einzieht. Für jede weitere Person im Haushalt gibt es höchstens 15 Quadratmeter obendrauf.

Als die Pläne für das „Tiny Village“ auf dem Gelände des ehemaligen Sportplatzes der Emschertal-Grundschule 2019 publik wurden, sorgten sie für Furore - auch über die Stadtgrenzen Dortmunds hinaus. Damals war es das erste geplante Neubaugebiet dieser Art in NRW.

Das Problem ist nur: Sechs Jahre später ist die Tiny-House-Siedlung immer noch nicht über den Planungsstatus hinausgekommen. Bei einigen der Möchtegern-Tiny-Hausbauern sorgt das für jede Menge Frust.

Bernd Oesigmann ist einer von ihnen. Der 71-Jährige ist seit 2021 aktiver Teil des Tiny-House-Projekts in Sölde. Der gelernte Baubiologe wohnt aktuell allein zur Miete in einer 86-Quadratmeter-Wohnung in Wellinghofen. „Doch zwei meiner dreieinhalb Zimmer nutze ich eigentlich nicht“, sagt er. Deshalb will er sich verkleinern: „40 Quadratmeter sollten reichen, mehr braucht man nicht im Alter.“

Bernd Oesigmann würde gerne in ein Tiny House in Sölde ziehen.
Bernd Oesigmann würde gerne in ein Tiny House in Sölde ziehen. Doch viel länger will der 71-Jährige nicht mehr warten. © Thomas Thiel

Ursprünglich war der Plan der Stadt gewesen, dass 2022 die ersten Häuser gebaut werden sollten. Doch immer wieder verzögerte sich das Projekt. Der größte Rückschlag kam 2023, als der Europäische Gerichtshof genau jenes beschleunigte Verfahren zur Erstellung von Bebauungsplänen für nicht konform mit EU-Recht erklärte, das die Stadt Dortmund für das „Tiny Village“ in Sölde angewandt hatte.

„Das hat uns zwei Jahre zurückgeworfen“, sagt der städtische Projekt-Koordinator Gerald Kampert vom Stadtplanungs- und Bauordnungsamt. „Wir mussten das Prozedere zur Aufstellung eines Bebauungsplans neu starten.“ Die aktuelle Planung der Stadt geht nun von einem Baubeginn 2027/28 aus.

„Wenn sich das noch länger hinzieht, bin ich raus“

Tiny-House-Interessent Oesigmann wäre dann 73 oder sogar 74 Jahre alt. „Wenn sich das noch länger hinzieht, bin ich raus“, sagt er. Wenn es so kommen sollte, würde sich Oesigmann in eine lange Reihe von verhinderten Tiny-Hausbauern einreihen, die bereits entnervt aufgegeben haben.

„Ich bin mittlerweile der letzte Mohikaner“, scherzt Jörg Moberg. Der 62-Jährige ist ein Tiny-Village-Interessent der ersten Stunde: Seit 2020 ist der Dortmunder Architekt dabei, er ist der Kopf einer der sechs Baugruppen, die in der Siedlung bauen wollen. Von den Gründungsmitgliedern seiner Gruppe ist nur noch er übrig.

Die Fluktuation sei in den vergangenen Jahren enorm gewesen, berichtet Moberg: „Allein durch unsere Gruppe sind bestimmt schon 30 Personen durchgegangen.“ Das führe dazu, dass man ständig quasi von Null anfange. „Du kriegst das Pack-Ende nicht“, sagt Moberg. Außerdem bringe jedes neue Baugruppen-Mitglied seine eigenen Vorstellungen mit.

Der Herr der Pläne: Jörg Moberg plant seit Jahren für seine Baugruppe "Tiny Houses" für die Siedlung in Sölde.
Der Herr der Pläne: Jörg Moberg plant seit Jahren für seine Baugruppe "Tiny Houses" für die Siedlung in Sölde. © Thomas Thiel

In ihrer aktuellen Planung will Mobergs Baugruppe „Emscherholz“, zu der auch Oesigmann gehört, sechs Häuser bauen: vier Doppelhaushälften und zwei freistehende Häuser für drei 1-Personen-Haushalte, zwei 2-Personen-Haushalte und eine Alleinerziehende mit zwei Kindern.

Es sind anderthalbgeschossige Häuser mit einer Grund-Wohnfläche von 45 Quadratmetern, die man bei Bedarf durch den Ausbau des Dachgeschosses auf bis zu 75 Quadratmeter erweitern kann. Der Architekt Moberg hat die Häuser selbst geplant, er will dafür nachhaltige Baustoffe wie Holz und Lehm benutzen. Sie sollen in Modulbauweise gefertigt werden, um Kosten zu sparen.

Diese sind dennoch nicht zu unterschätzen: Moberg kalkuliert mit Bauherstellungskosten von rund 3000 Euro pro Quadratmeter, was auf 45 Quadratmeter hochgerechnet 135.000 Euro macht - und das Grundstück kommt da noch obendrauf, das voraussichtlich rund 440 Euro pro Quadratmeter kosten wird.

Ein erstes rudimentäres Volumenmodell der Modulhäuser, wie sie Moberg vorschweben
Ein erstes rudimentäres Volumenmodell der Modulhäuser, wie sie Moberg vorschweben. Unter dem Pultdach gibt es Flächen für einen möglichen Dachausbau. © Thomas Thiel (Repro)
So stellt sich Moberg die Anordnung der Häuser seiner Baugruppe vor.
So stellt sich Moberg die Anordnung der Häuser seiner Baugruppe vor. © Thomas Thiel (Repro)

Moberg hofft, dass er diese Pläne umsetzen kann - sicher ist sich dabei aber nicht. Es ist bereits seine vierte Planung. Neben den Wünschen in seiner sich ständig ändernden Baugruppe sei dafür auch die Stadt verantwortlich.

So sei die bebaubare Fläche im Laufe der Jahre wegen zusätzlicher Vorgaben geschrumpft, außerdem sei später entschieden worden, dass entlang der Ränder des Baugebiets nur eingeschossig gebaut werden dürfe. Beides habe vorherige Planungen zunichtegemacht.

In diesem Bereich soll das Tiny-Village entstehen
In diesem Bereich (rote Markierung) soll das Tiny-Village entstehen. Rechts davon ist die Emschertal-Grundschule zu erkennen. © Neubauer (Archiv)

Das führt den Architekten zu einem grundsätzlichen Punkt, der ihn bei der Vorgehensweise der Stadt rund um das „Tiny Village“ stört: „Es krankt an der Planung, vieles wurde nicht zu Ende gedacht.“ Als Beispiel nennt er die immer noch fehlende Erschließungsstraße. „Das hätte man priorisieren müssen.“

Auch die große Verzögerung durch das Gerichtsurteil sei vermeidbar gewesen, glaubt Moberg, wenn man ein anderes Verfahren für den Bebauungsplan gewählt hätte - eine Meinung, die er mit dem Aplerbecker Bezirksbürgermeister Jan Gravert teilt.

Generell wünscht sich Moberg von der Stadt etwas mehr Mut, wenn es um das Vorantreiben des „Tiny Village“ geht: „Das ist typisch Dortmund. Andere Kommunen sind da pragmatischer und positionieren sich stärker gegen Widerstände.“

Gerald Kampert koordiniert für die Stadt Dortmund die Kampagne "Kleines Haus. Großes Leben".
Gerald Kampert koordiniert für die Stadt Dortmund die Kampagne "Kleines Haus. Großes Leben" und kümmert sich auch um das geplante "Tiny Village". © Thomas Thiel

Spricht man Tiny-Village-Koordinator Gerald Kampert auf den Frust der bisher verhinderten Tiny-Hausbauer an, zeigt er Verständnis: „Das Grundübel war, dass wir schon 2020 auf Interessenten zugegangen sind und die jetzt so lange hinhalten müssen.“

Bei „normalen“ Neubaugebieten mache die Stadt alles fertig und gehe erst dann auf die Bau-Interessenten zu. Danach dauere es höchstens ein paar Monate, bis diese loslegen können. „Das ging aber bei uns nicht, da das ‚Tiny Village‘ völliges Neuland ist.“

Zur Kritik an den Verzögerungen sagt er: „Wir waren da etwas zu optimistisch, dass alles nur etwa zwei, drei Jahre dauert.“ Man habe zig Gutachten erstellen lassen müssen, es habe viele Abstimmungen mit anderen Ämtern gegeben. „Es dauert alles“, sagt Kampert lakonisch, „wir sind eine große Verwaltung, wir leben in einer komplexen Welt.“

„Man kann da etwas ganz Tolles und Einzigartiges realisieren“

Inzwischen geht es aber wieder voran beim „Tiny Village“: Ende März beschloss der Dortmunder Rat den nun rechtssicheren Bebauungsplan für die Siedlung. Noch dieses Jahr sollen vier der sechs geplanten Baugruppen ausgewählt werden und eine Grundstückreservierung erhalten.

Die Bodensanierung und Erschließung des Neubaugebiets soll bis spätestens nächstes Jahr abgeschlossen sein, so dass die ersten der rund 30 geplanten Mini-Eigenheime schon 2027 oder 2028 gebaut werden könnten. Jörg Moberg will so lange durchhalten: „Ich sehe das Potenzial des Projekts, man kann da etwas ganz Tolles und Einzigartiges realisieren.“

Ingrid Schulte in einem "Tiny House" in Lünen: "klein, aber mein".
Ingrid Schulte in einem "Tiny House" in Lünen: "klein, aber mein". © Thomas Thiel

Vielleicht werden im „Tiny Village“ neben Mobergs selbst konzipierten Häusern auch welche aus der Modellreihe aus dem Lüner Gewerbegebiet (Kostenrahmen: 65.000 bis 150.000 Euro) gebaut. Die Iserlohnerin Ingrid Schulte - seit 2024 Teil einer anderen Baugruppe - ist nach der Besichtigung jedenfalls überzeugt von ihnen.

„Ich werde mir vielleicht etwas aus den Modellen zusammenwürfeln - die Küche aus dem einen Haus, die großen Fenster aus dem anderen“, sagt die 63-Jährige. Vielleicht kaufe sogar ihre gesamte Baugruppe bei der Lüner Firma. So habe man ein einheitliches Erscheinungsbild und bekomme auch einen besseren Preis.

Ihrer persönlichen Lebensplanung kommen die vielen Verzögerungen der Tiny-House-Siedlung entgegen: „Ich arbeite noch bis Ende 2026, für mich passt der Baustart perfekt.“ Sie ist begeistert von dem Konzept: „Ich könnte mir kein normales Haus leisten.“ 45 Quadratmeter würden ihr vollkommen reichen. „Ich sag‘ immer: klein, aber mein.“