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Billig-Anbieter statt Esprit: Verramscht der Westenhellweg?
Einkaufsmeile in Dortmund
In eines der größten Ladenlokale am Westenhellweg ist ein Billig-Anbieter gezogen. Branchenkenner sehen darin einen gewissen Trend – und nicht einmal einen schlechten.
Da, wo früher Esprit Mode zu gehobeneren Preisen verkaufte, geht es seit dem Wochenende eher zu wie am Grabbeltisch im Discounter um die Ecke – nur eben zehn Nummern größer.
Das Ladenlokal liegt jedoch nicht in der verlassenen Fußgängerzone einer Kleinstadt, sondern im Zentrum des Westenhellwegs, in absoluter 1A-Lage, wie es Immobilienhändler gerne nennen.
Kunden beschrieben die Atmosphäre im neuen „Brands Up“-Store am Eröffnungstag mit dem unschönen Wort „Ramsch“. Jemand, der sich sehr gut in der Ladenszene am Westenhellweg auskennt, wird sogar noch deutlicher: „Das ist schrecklich“, sagt er. Die neuen Betreiber hätten wirklich keinen Cent in den Laden gesteckt.
Verramscht Dortmunds Einkaufsmeile? Soweit will Markus Haas, Center-Manager der Thier-Galerie am Westenhellweg, nicht gehen. Er sagt aber: „Das ist eine Entwicklung, mit der wir in Zukunft leben müssen.“
Thier-Galerie-Chef: „Das ist die Zeit für alle 1-Euro-Shops der Welt“
Die großen, klassischen „Einkaufsstraßen-Marken“ seien in der Corona-Krise sehr zurückhaltend, was Neueröffnungen angehe, ganz im Gegensatz zu expansiveren Billig-Anbietern: „Das ist die Zeit für alle 1-Euro-Shops der Welt.“
Das wirke sich auch auf das Erscheinungsbild von Shopping-Schwerpunkten aus: „Wir werden ein gewisses Downgrade [eine Abwertung, die Redaktion] der Innenstadt-Lagen und der Einkaufszentren erleben“, meint Haas.
Handelsexperten sorgen sich nicht um Westenhellweg
Doch wirklich Sorgen um den Westenhellweg macht man sich in der Einzelhandelsbranche nicht. „Wir haben wenig Einkaufsstraßen in Deutschland, die ein so großes Basis-Potenzial haben wie der Westenhellweg“, sagt etwa Rainer Schmidt-Illguth, NRW-Büroleiter der Handelsberatung BBE. Bei der Passantenfrequenz liege Dortmund immer in der Spitzengruppe, bei der letzten Studie auf Platz 6 deutschlandweit.
Natürlich habe auch der Westenhellweg mit den Folgen der Corona-Krise zu kämpfen, meint Andreas Grüß von Lührmann Immobilien, der seit Jahren auf die Vermietung von Flächen am Westenhellweg spezialisiert ist. „Man kann aber nach wie vor Flächen hier vermieten, wenn auch zu einem angepassten Mietniveau.“
Wie hoch diese Reduzierung am Westenhellweg sei, sagt Grüß nicht - in Makler-Kreisen sind jedoch aktuell 20 bis 30 Prozent Mietnachlass nicht selten.
Dennoch ist es unwahrscheinlich, dass mit „Brands Up“ ein Billig-Anbieter dauerhaft im Herzen des Dortmunder Einzelhandels Fuß fasst. Denn obwohl der Besitzer der Immobilie - die R-und-V-Versicherung - auf Nachfrage mitteilt, dass man sich nicht zu laufenden Mietverhältnissen äußere, geht man in der Branche davon aus, dass es sich nur um eine Zwischennutzung handelt. Zumal „Brands Up“ sich selbst als „Pop Up Store“ bezeichnet, was eher für eine zeitlich begrenzte Präsenz spricht.
Zwischenmieter in Ex-Esprit-Ladenlokal könnte ein gutes Zeichen sein
So etwas sei „ganz normal“, sagt etwa der Handelsexperte der IHK Dortmund, Ulf Wollrath. „Das kann nur eine Zwischenlösung sein“, sagt Handelsberater Schmidt-Illguth.
Immobilienmakler Grüß sieht darin sogar ein gutes Zeichen für die Zukunft des Ladenlokals. Eine Zwischennutzung könne andeuten, dass die Suche nach einem echten Mieter Fortschritte gemacht habe, meint Grüß. Denn dann gebe es einen Zeithorizont, auf den man die Laufzeit der Zwischenmiete ausrichten könne. Zuletzt sei dieses Modell im Ladenlokal des jetzigen Levi‘s-Store am Westenhellweg zu beobachten gewesen.
Krise als Chance für Nischen-Geschäfte in Dortmunds City
Thier-Galerie-Chef Haas sieht in der Krise und den günstigeren Mieten auch eine Chance „für tolle Nischen- oder Spezialsortimente“, die die Einkaufsmeile attraktiver machen können. „EMP auf der Potgasse und die kurzfristige Ansiedlung von Dr. Martens auf dem Westenhellweg sind sehr gute Beispiele dafür.“
Dabei könnten für Haas auch temporäre Pop-Up-Stores eine gute Rolle spielen: So erhielten Start-Up-Unternehmen die Möglichkeit, „sich langfristig mit neuen, innovativen Konzepten zu etablieren“.
Ein Spielplatz für solche Konzepte könnte demnächst das Kaufhof-Gebäude am Westenhellweg sein. Noch feilen Stadt und Eigentümer Signa an einem tragfähigen Konzept für die Zukunft der riesigen Immobilie am Westenhellweg. Doch zumindest zwischenzeitlich könnten dort junge Gründer und Kreative einziehen.
Das könnte auch ein Vorgriff auf die Zukunft der Dortmunder City sein, meint IHK-Experte Wollrath: Die absolute Dominanz des Handels werde verschwinden, prognostiziert er: „Es wird eher ein gemischtes Nutzungsmuster für Innenstädte geben“ - mit mehr Gastronomie- und Kultur-Angeboten, aber auch Wohnungen und den dazugehörigen sozialen Einrichtungen wie Kindergärten.
Dennoch wird der Handel am Westenhellweg ein wichtiger Faktor bleiben, denkt Handelsberater Schmidt-Illguth: „Bevor der Westenhellweg untergeht, gehen in Deutschland noch was ganz andere unter.“
1984 geboren, schreibe ich mich seit 2009 durch die verschiedenen Redaktionen von Lensing Media. Seit 2013 bin ich in der Lokalredaktion Dortmund, was meiner Vorliebe zu Schwarzgelb entgegenkommt. Daneben pflege ich meine Schwächen für Stadtgeschichte (einmal Historiker, immer Historiker), schöne Texte und Tresengespräche.
