
© Peter Bandermann
Dorstfeld wird in Medien-Berichten das Nazi-Image nicht los
Rechtsextremismus und Medien
Ob ein Tatort-Krimi oder Medienberichte: Dorstfeld muss bundesweit mit dem Image des Nazi-Bezirks leben. Eine Journalistin aus Cottbus und ein Dortmunder Professor erklären, warum.
Dorstfeld, immer wieder Dorstfeld: Rechtsextremisten brandmarken den Stadtteil im Dortmunder Westen als „Nazi-Kiez“. Journalisten übernehmen den Propagandabegriff völlig unkritisch in ihren Berichten. Aktuell berichtet auch das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ über Dorstfeld. In der „Hausmitteilung“ des Magazins auf Seite 3 fragt sich der Autor auch, wie ein Journalist seine Gesprächspartner, zwei Neonazis aus Dorstfeld, „angemessen“ begrüßen müsse: Die „Hand reichen“ oder nur „Hallo“ sagen und am Ende „Alles Gute“ wünschen?
Vier Tage vor dem Spiegel-Bericht hat der WDR-Sender „1Live“ auf seinem Youtube-Kanal einen insgesamt über 14 Minuten langen Beitrag über den Stuttgarter Comedian Özcan Cosar veröffentlicht: Das Filmporträt zeigt ihn am Billardtisch, er plaudert über das Leben. Der Dreh macht den Protagonisten viel Spaß. Ab 3:45 wird‘s dann ernst. Ein Journalist und Özcan Cosar fahren im schwarzen Van mit getönten Scheiben nach Unterdorstfeld, die elektrische Schiebetür surrt auf, und das Team steigt in der Emscherstraße aus. Schon stehen Nazis vor ihnen, sie bedrängen und bedrohen Team. Eine Straftat. Die Polizei erscheint. Nein, die „Bullerei“, wie es in dem schnell geschnittenen Film mehrfach heißt.
Der Nazi-Kiez ist jetzt auch eine No-Go-Area
Den „Kiez“-Begriff hinterfragt das Team nicht. Stattdessen bezeichnet Özcan Cosar den Stadtteil mehrmals und ernsthaft als „No-Go-Area“. Ein ursprünglich militärisch geprägter Begriff, der besonders gefährliche Zonen beschreibt, und in Deutschland inzwischen auch in Wahlkämpfen benutzt wird, um es in entsicherten Zeiten mit dem Kriminalitäts-Thema in die Schlagzeilen zu rutschen. Warum gibt Cosar so ein einseitiges Bild von Dorstfeld ab? Sein Management lässt wissen, das er für Fragen nicht zur Verfügung steht.
Der Spiegel-Bericht verrät schon im Vorspann des vier Seiten langen Textes, worauf die Recherche abzielt: „Seit Jahren lebt hier eine Zelle von Neonazis, ohne dass Bürger, Politiker oder Polizei etwas dagegen ausrichten.“ Dorstfeld, das sei „die Heimat der Nazis“ - und niemand fähig, dagegen etwas zu unternehmen? Auf ihrer Internetseite feiern sich die Rechtsextremisten für diese vier Seiten im Spiegel, für die sie mit dem Autoren beim Griechen auf ein Geschäftsessen waren. Es gab Fleisch und Pommes.
Michael Sascha Brück, Vorstandsmitglied der Partei „Die Rechte“, stuft der Autor zu einem „mürrisch blickenden Schwiegersohn“ herab. Ein Bürgerschreck sehe anders aus. Brück bekennt sich zum Nationalsozialismus, er ist Antisemit. Sein in Italien betriebener und dort inzwischen abgeschalteter Internet-Versandhandel für Hass-Propaganda trug den Namen www.antisem.it.
Keine Einordnung
Sowohl der Spiegel als auch der 1Live-Youtube-Kanal im Internet räumen der vom Verfassungsschutz beobachteten Nazi-Szene viel Platz ein. Das Treiben der Nazis zieht sich wie ein roter Faden durch die Recherche. Das Kiez-Wort gibt es auch als Foto. Aber kein Bild von einer Zivilgesellschaft, die ihre Demokratie demonstrierend auf der Straße oder in Schulprojekten schützt. Kein Wort von den mehr als 250 „Botschaftern der Erinnerung“.
Kein Wort von den vielen Festnahmen, Haftbefehlen und Urteilen der jüngsten Zeit gegen Neonazis. Kein Wort über die in den vergangenen Jahren von 5 auf 33 Seiten ausgedehnten Auflagenbescheide der Polizei gegen Nazi-Demonstrationen.
Die Leute am Grusel teilhaben lassen
Warum diese Schlagseite? „So funktioniert die Branche“, sagt die Journalistin Sylvia Belka-Lorenz aus Cottbus, die über die Nazi- und Hooligan-Szene in Cottbus berichtet und sich von der Stadtspitze in Cottbus schon den Vorwurf gefallen lassen musste, eine „Nestbeschmutzerin“ zu sein. „Ausgewogenheit macht eben keine Schlagzeile. Diese Art von Journalismus bedient auch einen Voyeurismus, der die Leute am Grusel teilhaben lassen will. Bürgerlichkeit ist schöner, wenn man weiß, wie schlimm es da draußen ist“, sagt sie.
Das funktioniere in Cottbus, in Zwickau und eben auch in Dortmund. Gerne werde erzählt, „was die Leute hören wollen“. Die 49-jährige Radioreporterin und Zeitungsschreiberin ist überzeugt: „Berichte über das Böse und Gefährliche setzen sich besser in den Köpfen fest als das Bild von der starken Zivilgesellschaft, wie ich sie in Dortmund kennengelernt habe. Also kümmert man sich beim Recherchieren nicht so intensiv um funktionierende Strukturen.“ Die Branche halte sich an ein altes Sprichwort: „Nicht ‚Hund beißt Mann‘ funktioniert als Schlagzeile, sondern ‚Mann beißt Hund‘.“
„Die schlechte Nachricht ist die gute Nachricht“
Eine harte Analyse. Die Professor Günther Rager teilt. 1974 gründete er in Stuttgart einen Studiengang für Journalistik. 1984 wechselte der heute 75-Jährige an die Universität Dortmund. Seit 2012 beobachtet er eine „verstärkte Berichterstattung über rechtsextreme Aktivitäten in den Medien“. Diese „kritische Berichterstattung ist berechtigt, aber auch einseitig“, lautet sein Fazit. Am Beispiel „Rechtsextremismus in Dortmund“ zeige sich, „wie Medien funktionieren: Die schlechte Nachricht ist die eigentlich gute Nachricht, weil sie mehr Aufmerksamkeit erzeugt. Im Gedächtnis der Konsumenten werden nur die Nazi-Demonstration oder die vom Nazi-Kiez transportierten Bilder wahrgenommen. Anschließend wird vielleicht noch darüber diskutiert, ob die Polizei versagt hat.“
Gute Nachrichten haben es schwer
Über Dorstfeld sagt Professor Rager: „Wenn ich höre, dass Dorstfeld eine No-Go-Area sein soll, frage ich mich: Ist das wirklich so? Manchmal radel ich da durch und finde es überhaupt nicht schlimm, in Dorstfeld zu sein.“ Dortmund und Dorstfeld schlägt er vor, dass undifferenzierte Bild zurechtzurücken, wissend, dass „es schwieriger ist, gute Nachrichten unterzubringen als schlechte.“ Der WDR-Tatort habe die von Medien erzeugten Bilder bundesweit in den Köpfen weiter verstärkt.
Ähnlich sieht das Andrea Müller (männlicher italienischer Vorname ohne „s“). Seit 13 Jahren beobachtet er die Entwicklung in Dortmund und berät die Stadt. Er ist Pädagoge, Supervisor und Organisationsberater. „Medien sind eher an Vorfällen in der Nazi-Szene interessiert als an Berichten über Friedensfeste oder runde Tische“, sagt er und stellt fest: „Keine andere Stadt engagiert sich so stark wie Dortmund. Was ihr Engagement gegen den Rechtsex-tremismus angeht, ist Dortmund viel eher ein positives als ein negatives Beispiel.“ Zivilgesellschaft, Politik und Behörden würden gut zusammenarbeiten. Er rät dazu, neben dem Extremismus noch viel stärker die rechten Tendenzen in der Mitte der Gesellschaft in den Blick zu nehmen.
Die Fotomotive entfernen
Eine Frage baut sich bei dem Journalistik-Professor Günther Rager noch auf: „Wenn es in Dorstfeld in nur wenigen Straßen diese Kiez-Schmierereien gibt, warum sorgen die Behörden dann nicht mit der gleichen Penetranz für die Entfernung, wie sie das an anderen Orten mit viel harmloseren Farbschmierereien tun?“ Dann fehle den Nazis ein Wort und den Medien ein Fotomotiv.
Jahrgang 1967, geboren in Barop. Aufgewachsen auf einem Sportplatz beim DJK TuS Körne als Torwart. Lebt jetzt im Loh. Fährt gerne Motorrad. Seit 1988 bei den Ruhr Nachrichten. Themen: Polizei, Feuerwehr und alles, was die Großstadt sonst noch so hergibt. Mag multimediales Arbeiten. 2015 ausgezeichnet mit der "Goldenen Viktoria" für Pressefreiheit.
