Mohammed Boujettou (55) hat es als Zugbegleiter immer wieder mit alkoholisierten und uneinsichtigen Kunden zu tun. Weil er dabei trotzdem alles gibt, wurde er jetzt zum „Eisenbahner mit Herz“ gewählt. © Joscha F. Westerkamp

55-Jähriger bekommt Preis

Dieser Dortmunder ist einer von Deutschlands nettesten Zugbegleitern

Der Dortmunder Mohammed Boujettou (55) arbeitet als Zugbegleiter. Für seine kundenfreundliche Arbeit hat er jetzt einen Preis bei einem deutschlandweiten Wettbewerb erhalten - für einen ganz bestimmten Einsatz.

Dortmund

, 05.05.2022 / Lesedauer: 4 min

Einmal die Fahrkarten, bitte!“, ist sicherlich der Satz, den die meisten mit einem Zugbegleiter verbinden. Doch zu dem Job gehört weit mehr. „Manchmal ist man auch Seelsorger“, sagt der Dortmunder Mohammed Boujettou (55), Kundenbetreuer in den Zügen der Eurobahn.

Für seinen Einsatz auf einer Fahrt wurde er nun von der „Allianz pro Schiene“ zum „Eisenbahner mit Herz“ gekürt. Er erhielt dort deutschlandweit den dritten Platz - und bekam am 4. Mai in Berlin einen Preis. Eine Auszeichnung, mit der er überhaupt nicht gerechnet hatte.

„Das war mein täglich Brot, meine ganz normale Arbeit“, sagt Mohammed Boujettou. Bei dem nun preisgekrönten Einsatz sei er auf seiner letzten Fahrt vor Feierabend gewesen, mit der RB 82 von Altenbeken über Detmold nach Bielefeld. „Da saß ein junger Mann im Zug, der hatte eine Flasche Wodka, hat mit sich selbst gesprochen und wollte seine Maske nicht aufsetzen.“

Fahrgast schlug um sich

Als Boujettou ihn kontrolliert und gebeten habe, die Maske aufzuziehen, sei die nur so lange über der Nase geblieben, bis Boujettou ihm den Rücken zugewandt hatte. „Als ich zurückgekommen bin, hat er um sich herumgeschlagen, einem anderen Fahrgast den Gehstock weggehauen und die Maske nicht getragen. Dann hab ich mich neben ihn gesetzt, versucht ihn zu beruhigen und gefragt: ‚Was ist los?‘“

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Daraufhin habe der Fahrgast gesagt: „Du bist okay, du bist mein Bruder.“ Woraufhin Boujettou gesagt habe: „Okay, Bruder, dann bleib auch sitzen.‘“ Geholfen habe das aber nur wenig. Immer wieder soll der Fahrgast laut herumgeschrien haben, auf andere Fahrgäste zugegangen sein, sich im Zug übergeben haben.

„Ich hätte die Polizei rufen können“, sagt Boujettou, „aber das dauert in der Gegend Altenbeken immer ziemlich. Dann hätten ganz viele andere Fahrgäste warten müssen und ihren Anschluss nicht bekommen können.“ Das habe Boujettou unbedingt vermeiden wollen.

Fahrgast küsste Boujettou mehrfach

Also setzte er sich immer wieder neben den störenden Fahrgast, versuchte die ganze Fahrt über, mit ihm zu reden, ihn zu beruhigen. „Hätte ich ihn mit bestimmten Griffen zurückgehalten, hätte ihn das nur noch aggressiver gemacht. Also habe ich versucht, ihn mit Umarmungen zurückzuhalten. Dann hat er mir mehrfach Küsschen gegeben.“

Eine Stunde lang sei das so gegangen, bis zur Endstation am Bielefelder Hauptbahnhof, wo Boujettou den Fahrgast an die Bundespolizei übergeben habe. Dieser habe sich bis dahin auf Boujettous Schuhe übergeben und sei ihm – immer wieder ohne Maske – so nahe gekommen, dass Boujetto sich problemlos mit dem Coronavirus hätte infizieren können.

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„Es war ein Kampf“, erinnert sich Boujettou. „Diese eine Stunde hat sich für mich angefühlt wie fünf. Danach hab ich tagelang Corona-Tests gemacht.“ Aber: „Alle anderen Fahrgäste haben ihren Anschluss bekommen. Das war es mir wert.“

Es gab schon schlimmere Tage

Einer dieser Fahrgäste – eben jener kurz erwähnte Herr mit Gehstock – meldete sich später bei der Eurobahn und bedankte sich für den Einsatz. So ist Boujettou für den Wettbewerb „Eisenbahner mit Herz“ nominiert worden. Eine Jury aus mehreren Bahnexperten wählte seine Aktion dann aus allen Einsendungen.

„Es tut gut, wenn Fahrgäste unsere Arbeit positiv wahrnehmen“, sagt Boujettou. „Nach diesem Tag haben sich viele Fahrgäste bei mir bedankt. Dabei gab es schon schlimmere Tage.“

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So habe er beispielsweise mal „einen auf die Maske bekommen“, als er zwei streitende Fahrgäste trennen wollte. „Es gibt nie ruhige Tage. Mindestens ein Fahrgast ist immer dazwischen, der uns auf den Arm nehmen will.“

Und seit Beginn der Corona-Pandemie sei der Job noch schwieriger geworden. Viele würden ihre Maske nicht tragen, zeigten Boujettou gegenüber Unverständnis. Dann müsse er ihnen die Regeln erklären – obwohl er sie weder gemacht habe, noch selbst gerne zehn Stunden am Tag Maske trage.

Nicht so schnell provozieren lassen

„Ich bin vom Charakter ein freundlicher Mensch“, sagt Boujettou. „Ich gehe gern auf andere zu und lasse mich nicht so schnell provozieren. Ich versuche, zu verstehen, was Fahrgäste bedrückt, und mit ihnen zu reden. Da reichen manchmal fünf, zehn, mal zwanzig Minuten. Wenn es geht, mache ich das gern.“

Aber das gehe natürlich nicht immer. Bei Fußballspielen am Wochenende habe man keine Chance, wenn ein-, zweitausend Fahrgäste im Zug seien. Dann übernehme das von vornherein die Polizei. Doch sonst versuche Boujettou die Fahrgäste zufriedenzustellen, wo es geht.

„Wenn Jugendliche im Zug Alkohol trinken und keine Maske tragen, gehe ich zu ihnen und sage: ‚Es ist okay, wenn ihr trinkt. Aber macht dafür nur kurz eure Maske runter und tragt sie dann.‘ Eigentlich darf man im Zug gar kein Alkohol trinken. Aber so erreicht man viel mehr.“

Seit fast 25 Jahren arbeite Boujettou in der Sicherheitsbranche, seit drei Jahren jetzt bei der Eurobahn als Zugbegleiter. „Der Job als Kundenbetreuer erfordert viel Geduld und kostet viel Kraft“, sagt er. „Aber ich mag den Job. Es ist nie langweilig. Wenn ich aus dem Haus gehe, weiß ich nie, was mich draußen erwartet.“

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