Freies Heroin für Schwerstabhängige Diamorphin-Ambulanz in der Innenstadt ist bereits fertig - doch der Streit geht weiter

Weiter Streit über Diamorphin-Ambulanz in Dortmunds Innenstadt
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Die Drogenszene beschäftigt die Menschen in Dortmund wie seit langem nicht. Eine weitere Facette dieses Themas ist vor dem Hintergrund der allgegenwärtigen Crack-Problematik zuletzt etwas in den Hintergrund geraten.

Soll es in Dortmund reines, pharmazeutisch hergestelltes Heroin für eine bestimmte Gruppe von Abhängigen geben? Über diese Frage gibt es seit Jahren Kontroversen.

Widerstand im Suchthilfesystem

Die Kurzform: Es gibt Pläne der privaten Unternehmensgruppe MVZ Medikus, in Dortmund eine Ambulanz für die Versorgung Schwerstabhängiger zu eröffnen. Im etablierten, öffentlichen Suchthilfesystem stößt das auf Widerstand.

Es ist ziemlich genau ein Jahr her, dass die Debatte zuletzt hochkochte. Manche Dinge sind weiter als 2022. Andere stehen weiter auf „Stopp“.

Damals wie heute herrscht Uneinigkeit über den richtigen Weg, ein Angebot einzurichten, von dem sich alle einig sind, dass es notwendig ist.

Da sind zum einen die Planungen der Medikus-Gruppe, die bereits mehrere solcher Diamorphin-Ambulanzen in NRW betreibt. Zwei davon – Holzwickede und Iserlohn – befinden sich in unmittelbarer Nachbarschaft von Dortmund.

Aus Gerüchten werden Fakten

Über eine Eröffnung in Dortmunds Zentrum gibt es schon lange Gerüchte. Jetzt sind nach Angaben von Dr. Christian Plattner, einem der beteiligten Ärzte, an der Adresse Brüderweg 2 unweit der Reinoldikirche Räume auf mehreren Stockwerken bereits für einen etwaigen Start vorbereitet.

„Die Ambulanz ist de facto fertig. Das ärztliche Team ist vor Ort. Es könnte aus unserer Sicht beginnen“, sagt Plattner im Gespräch mit dieser Redaktion im September 2023.

Doch Medikus fehlt nach wie vor die Erlaubnis für die Eröffnung. Bei der Bezirksregierung Arnsberg hat das Unternehmen eine Betriebsgenehmigung beantragt.

Christoph Söbbeler, Sprecher der Bezirksregierung bestätigt das auf Anfrage. „Der Antrag liegt auf dem Tisch, aber es fehlen noch Unterlagen, die erforderlich sind. Wir warten nun auf die Rückmeldung des Antragstellers.“

Keine Kooperationsvereinbarung

Nach Informationen unserer Redaktion handelt es sich bei den fehlenden Unterlagen um eine sogenannte Kooperationsvereinbarung. Diese ist in einem Erlass des NRW-Gesundheitsministeriums von Mitte dieses Jahres als zusätzliche Voraussetzung für die Diamorphin-Abgabe festgeschrieben worden.

Patienten, die mit Diamorphin behandelt werden, müssen dafür mindestens fünf Jahre von (Straßen-)Heroin abhängig sein, die Droge vorwiegend per Spritze konsumieren, zwei gescheiterte Entzugsbehandlungen vorweisen und mindestens 23 Jahre alt sein.
Patienten, die mit Diamorphin behandelt werden, müssen dafür mindestens fünf Jahre von (Straßen-)Heroin abhängig sein, die Droge vorwiegend per Spritze konsumieren, zwei gescheiterte Entzugsbehandlungen vorweisen und mindestens 23 Jahre alt sein. © dpa

Es ist demnach erforderlich sicherzustellen, dass für die Patienten keine andere Substitutionsbehandlung mehr möglich ist.

Zur Abklärung dieser Frage sei eine „enge Vernetzung und verbindliche und auf Dauer angelegte Kooperation mit Anbieterinnen und Anbietern von Leistungen der Suchthilfe sowie von Einrichtungen, die Entzugs- und Entwöhnungsbehandlungen bzw. Substitutionsbehandlungen (…) anbieten“ nötig, heißt es weiter.

Die Schwierigkeit in Dortmund: Eine solche Kooperation zwischen zwei unterschiedlichen Polen des Gesundheitssystems ist nach Jahren der Differenzen weiterhin nicht in Sicht.

„Verhinderungstaktik“

Plattner spricht von einer „Verweigerungshaltung“, die darauf abziele „uns zu verhindern“.

Akteure in der etablierten Suchthilfe in Dortmund sehen das anders. Deutlich wird das etwa in einem Positionspapier der Aidshilfe Dortmund aus dem Frühjahr 2023, das dieser Redaktion vorliegt.

„Die Medikus-Gruppe hat ihre Planungen für eine große Substitutionsambulanz in Dortmund weder mit uns und auch nicht mit anderen wesentlichen Akteuren des Dortmunder Drogenhilfesystems differenziert, offen und kontinuierlich kommuniziert.“ Dies wäre „im Interesse eines möglichst funktionsfähigen Gesamtsystems und damit der Drogengebrauchenden jedoch absolut notwendig gewesen“.

Fachliche Zweifel

Zudem werden auf Grundlage der Erfahrungen von Abhängigen auch fachliche Zweifel am Medikus-Konzept angeführt. Insgesamt sei deshalb eine „institutionalisierte Kooperation mit der Medikus-Gruppe in Dortmund nicht möglich“, so die Aidshilfe.

Christian Plattner verweist auf funktionierende Kooperationen in anderen Städten wie Wuppertal, Iserlohn und Holzwickede. „Wir können belegen, dass wir uns ins Suchthilfesystem integrieren und kooperieren“, sagt er. Es gehe aus seiner Sicht darum, den Patienten in den Mittelpunkt zu stellen - „allerdings nicht mehr paternalistisch, sondern auf Augenhöhe“, wie er es formuliert. Den Bedarf für ein Angebot in Dortmunds City schätzt er jedenfalls als hoch ein.

Eigenes System der Stadt

Darin besteht sogar Einigkeit zwischen den Beteiligten. Gegenüber dem privaten Akteur Medikus favorisiert wird von Einrichtungen wie der Aidshilfe oder dem Hilfeverein „Pur“ aber der Aufbau einer Diamorphin-Ambulanz in Trägerschaft des Vereins „Soziales Zentrum“.

Für das grundsätzliche Ziel des Aufbaus einer solchen Ambulanz mit Geld von der Stadt gibt es seit 2018 einen Ratsbeschluss.

Michael Gierse von Pur rechnet mit einer Umsetzung „in absehbarer Zeit“. Den von Medikus geplanten Standort an der Reinoldikirche bezeichnet er als „unverträglich“, weil dadurch ein Dreieck mit Stadtgarten und Drogenkonsumraum am Westenhellweg entstehe.

Gierse berichtet zudem von „vielen Rückkehrern“ aus der Behandlung in Holzwickede. Ein häufig genanntes Thema sei dabei die Begleit-Medikation der Abhängigen mit starken Opioiden. Dies war zuletzt auch in einer großen Recherche des Recherchenetzwerks „Correctiv“ einer von mehreren kritischen Aspekten.

Was es übrigens bei aller gegenseitigen Kritik gibt, ist eine „patientenbezogene Zusammenarbeit“. Das bedeutet: Wenn ein Süchtiger im etablierten System den Wunsch äußert, in die Medikus-Praxis zu wechseln, wird ihm das nicht verwehrt.

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