Es ist voll in der Westfalenhalle 2. Zwanzig Minuten standen die Zuhörer und Zuhörerinnen in der Kälte an. Jetzt noch schnell eine Tüte Popcorn und ein Bier und rein in den Saal, in dem vier Tage zuvor noch der Rat der Stadt Dortmund getagt hatte.
Die Stadt hatte vor Gericht versucht, Ganser die Nutzung der Halle zu untersagen, weil sie der Ansicht ist, der Autor habe sich in der Vergangenheit antisemitisch geäußert. Die Stadt unterlag vor dem Oberverwaltungsgericht - um 20 Uhr wird Daniele Ganser von fast 2000 Zuhörern und Zuhörerinnen mit Standing Ovations frenetisch bejubelt.
Es ist ein bunt gemischtes Publikum, das sich hier zusammengefunden hat: Viele Paare, die meisten zwischen 40 und 70, einige haben auch ihre pubertierenden Kinder mitgebracht. Die Autos vor der Halle kommen aus Recklinghausen, Unna, Delmenhorst, München, aber natürlich auch viele aus Dortmund.
Die meisten sind mit dem Wagen gekommen, wohl auch wegen des Verdi-Streiks am Montag. „Das hat sicher der Westphal eingefädelt“, versuchte Ganser später beim Publikum zu punkten. „Die Bürgermeister versuchen immer wieder, gegen meine Veranstaltungen vorzugehen. Die meinen, die Hallen gehören ihnen. Dabei gehören sie dem Volk.“ So hört es sich also an, wenn ein Schweizer „Wir sind das Volk“ interpretiert.
Eine Zuhörerin erzählt von einer anstehenden „Dienstbesprechung“, bei der sie natürlich nicht verraten wird, dass sie weiß, dass die Corona-Schutzimpfung nicht funktioniert. Andere haben in der Veranstaltungsbranche gearbeitet und sich während der Pandemie beruflich umorientieren müssen. Ein Infotisch wirbt für eine Online-Akademie, sie ist von einem Pädagogen, der in der Querdenker-Szene aktiv ist, gegründet worden. „Wir dürfen in Absprache mit Daniele hier ein bisschen Werbung für uns machen“, sagt eine dunkelhaarige Dame.
Krude Behauptungen
Gut zweieinhalb Stunden dauert der Vortrag von Ganser zuzüglich einer Pause. Der 50-Jährige redet frei, sein Vortrag wird mir Fotos und Zitaten auf der Wand hinter ihm bebildert. An diesem Abend macht er einen Bogen um judenfeindlich anmutende Argumentationsmuster zum Thema Corona. Aber beim Thema „Anschlag auf das World Trade Center“ setzt er voll auf die verschwörungstheoretische Karte. Und seine Thesen zu „Warum ist der Ukraine-Krieg ausgebrochen?“ (der Titel dieser Vortragsreihe) sind pure Putin-Propaganda. Krude Behauptungen, die weder einer wissenschaftlichen Überprüfung noch einer politischen Einordnung standhalten.
Beispiel Verschwörungstheorien: Zweimal nimmt Ganser explizit Bezug auf „WTC7“, einmal ergänzt er: „Was uns die Amerikaner erzählt haben, stimmt nicht!“ Er spricht von den Anschlägen auf das World Trade Center 2001 und von der These, dass das Gebäude Nummer 7, das nicht von einem Flugzeug getroffen wurde, aber trotzdem zusammenstürzte, gesprengt worden sei.
Diese Verschwörungstheorie ist allerdings bereits seit 15 Jahren widerlegt - Ganser war schon in der Schweiz 2017 wegen seiner Thesen zu 9/11 kritisiert worden, im Jahr darauf verlor er seinen Lehrauftrag in St. Gallen.

Beispiel Ukraine-Krieg: Hier vertritt Ganser die - zeitlich fast richtige - These, dass der Ukraine-Krieg nicht 2022 begonnen habe, sondern schon vor neun Jahren. Er meint aber nicht die Annexion der Krim durch Russland 2014, sondern die kurz davor erfolgte „Revolution der Würde“ in der Ukraine, auch Euromaidan genannt.
Für ihn ist klar: „Die USA haben einen Putsch in der Ukraine gemacht.“ Er bebildert das mit Zeitschriften-Artikeln und ausgewählten Fotos - die wissenschaftliche Arbeit eines Akademikers sollte anders ausschauen.
Das zeigt sich auch an seinen Behauptungen zum Thema „Scharfschützen-Einsatz am Maidan“. Hier reproduziert Ganser eine unbelegte Behauptung, die Scharfschützen könnten Provokateure der Opposition gewesen sein - ein Gerücht, das Putin selbst 2014 in Umlauf gebracht hat. Leise, aber bestimmt, begibt Ganser sich auf Kreml-Kurs.
Die leisen Töne sind die Stärke von Daniele Ganser: Er poltert nicht. Sondern er bewegt sich auf Allgemeinplätzen der Medienkritik und der Psychologie - um darauf möglichst unwidersprochen ein Lügengebäude aufzubauen. Stets mit der Attitüde: Das ist ja jetzt nur eine Meinung von vielen - das wird man ja nochmal sagen dürfen, was sollte daran so schlimm sein?
Wer unterschiedliche Meinungen zulässt, ist ja tolerant und friedfertig. Dass eine Meinung auch auf Fakten und nicht nur auf „alternativen Fakten“ - diesen Begriff erfand eine Trump-Sprecherin zu dessen Amtseinführung – beruhen sollte, thematisiert er nicht.
Den größten Applaus bekommt Ganser, wenn er die Ausgrenzungserfahrungen seines Publikums in der Corana-Zeit aufspürt. Wenn er die Diskussionen, die er als Ungeimpfter mit seinen Freunden hatte, erwähnt. Wenn er behauptet, man müsse bei jeder „Angst dabei sein, sonst werde man ausgegrenzt“ und „gewisse Themen die Stimmung verändern“.
Dann raunt er, dass man doch dann sein Spezial-Wissen - zum Beispiel zu den Scharfschützen am Maidan - anbringen sollte. Da johlt, jubelt, klatscht das Publikum, weil es sich offenbar verstanden fühlt. Fraglich, ob diese Klientel künftig für einen faktenbasierte Diskurs zur Verfügung steht.
Und was ist jetzt mit dem Ukraine Krieg? Ganser zieht sich auf eine wohlfeile Maximal-Position zurück: „Jeder Krieg ist falsch“, sagt er. Angesichts von Putins Angriffskrieg ist das Kinderzimmer-Pazifismus - getreu dem Motto: Ist mir egal, wer angefangen hat – jetzt vertragt euch endlich!
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