
© Felix Guth
Covid-Intensivstation: Wenn der ungeimpfte Familienvater plötzlich tot ist
St.-Johannes-Hospital
Corona belastet die Intensivstationen. Wie ist die Lage in Dortmund im zweiten Virus-Winter? Wie geht es den Menschen, die dort arbeiten? Offene Worte aus einem Dortmunder Krankenhaus.
Die Covid-Intensivstation des St.-Johannes-Hospitals in der Dortmunder Innenstadt liegt am Ende eines Flurs, der aussieht wie etliche andere im verschachtelten Klinik-Gebäude.
IPE, Intensiv-Pflegeeinheit, steht an der Wand. Vor Corona war dieser Trakt jahrelang unbenutzt. Rund 30 Pflegende und 8 Ärztinnen und Ärzte sind hier eingesetzt.
Außenstehende dürfen nur bis zur ersten elektrischen Schwingtür, ab da hat nur noch medizinisches Personal Zutritt. Nicht einmal Angehörige dürfen hier durch.
Hinter dem Weihnachtsbaum öffnet sich die Tür zur Corona-Intensivstation
Vor dem Eingang steht ein geschmückter Weihnachtsbaum. Ein letzter Rest heile Welt. Am Ende des Flurs befindet sich der Ort, an dem real wird, dass Covid-19 eine tödliche Krankheit sein kann.
Hier liegen Menschen, bei denen die Infektion einen so schweren Verlauf genommen hat, dass sie maximale Intensivmedizin benötigen.

Der Eingang zu einer Intensiv-Pflegeeinheit im St. Johannes-Hospital, die für Covid-Patienten eingerichtet worden ist. © Felix Guth
Oberärztin Dr. Christina Grothusen hatte Dienst, als das Team der Corona-Intensivstation zuletzt dabei zusehen musste, wie ein Patient den Kampf nicht gewann.
31-Jähriger starb nach wochenlanger Behandlung
Der zweifache Vater aus einer Nachbarstadt war 31 Jahre alt. Ungeimpft erkrankten er und seine Frau vor einigen Wochen. Mehrere kleinere Krankenhäuser im Umland konnten ihm nicht helfen, schließlich landete er in Dortmund.
„Er hat gedacht, statistisch gesehen kann es ihn nicht treffen. Aber es hat ihn getroffen“, sagt Christina Grothusen. Seine Frau überstand die Zeit an der Beatmungsmaschine.
Der Körper des Mannes zeigte nach rund drei Wochen Signale einer Besserung. Doch sein Zustand verschlechterte sich wieder – das ist kein unüblicher Verlauf bei einer Covid-Erkrankung.
Der Patient im St. Johannes-Hospital starb am 18.12., isoliert von seiner Familie. „Das war furchtbar“, sagt Christina Grothusen über den Moment, in dem sie die Nachricht überbringen musste.
Weil der Mann nicht hier gemeldet war, taucht der Todesfall nicht in der Dortmunder Statistik auf.
Das Durchschnittsalter der beatmeten Patienten sinkt
Die zunehmende Zahl an jungen Patienten macht die Situation für das Personal auf den Intensivstationen besonders belastend. „Wenn du dir als Familienvater vorstellst, dass deine Angehörigen in so einer Situation sein könnten, dann trifft dich das“, sagt Oberarzt Dr. Christoph Mues.
Fünf Menschen werden im katholischen Krankenhaus in der Innenstadt vor Weihnachten künstlich beatmet. Ihr Durchschnittsalter beträgt 56 Jahre, ist also deutlich niedriger als noch in anderen Phasen der Pandemie.
Das St. Johannes-Hospital ist auf die ECMO-Technik spezialisiert. Deshalb werden auch Patienten aus anderen Städten hier behandelt. Die weit überwiegende Mehrheit der Intensivpatienten ist nicht geimpft.
Wie wird sich die Omikron-Variante auf die Intensivstationen auswirken?
Fünf erscheint keine große Zahl im Verhältnis zur Einwohnerzahl Dortmunds. Aber sie beschreibt nur den Ist-Zustand. Eine belastende Phase im Oktober/November ist gerade erst überwunden.
„In diesem Jahr war die Phase zwischen Januar und April die Schlimmste. Alle haben gelitten“, sagt Christina Grotenhusen. Ihre Sorge ist, dass sich das 2022 wiederholt.
Denn das Gefühl, dass mehr Menschen Verständnis für die Situationen haben, denen Mitarbeitende in der Intensivmedizin ausgesetzt sind, haben Grothusen und Mues nicht. „Viele haben das Gefühl, es muss schon irgendwie gehen, wenn man wegen Corona ins Krankenhaus muss“, sagt die Oberärztin.
Die Beatmungsmaschine als „Überbrückung“
Die ECMO halten sie für eine von vielen Therapiemöglichkeiten. Dabei müssen die Mediziner schon jetzt eine Auswahl vornehmen, bei welchen Patienten dieser sehr belastende Einbau einer Ersatz-Lunge überhaupt eine Heilungschance verspricht.
Ab diesem Punkt beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Patient stirbt, rund 50 Prozent. „Es ist keine Therapie, sie ist eine Überbrückung“, sagt Grothusen. Das bedeutet: Intensivmediziner können nur warten, ob es der Körper von selbst schafft, sich zu erholen.

Eine Intensivpflegerin auf dem Weg zur Covid-Station im Dortmunder St. Johannes-Hospital. © Felix Guth
Die Maschinen gaukeln gute Werte vor. Doch die Fibrose, die Vermehrung kranken Gewebes in der Lunge, ist möglicherweise bereits so weit fortgeschritten, dass keine Heilung mehr möglich ist. „Das ist frustrierend“, sagt Christoph Mues.
Vielen Covid-Patienten kann schneller und besser geholfen werden
Gleichzeitig schildert der Mediziner eine gewisse Routine, die sich in der Behandlung von Covid-Patienten entwickelt habe. Vielen Menschen könne viel besser und schneller geholfen werden, als noch zu Beginn der Pandemie. Die komplexen Abläufe innerhalb des Krankenhauses seien eingeübt.
„Umso surrealer ist die gesellschaftliche Entwicklung“, meint Mues mit Blick auf Diskussionen über Corona-Maßnahmen.
Wenige Tage vor Weihnachten hielten so genannte Querdenker einen „Spaziergang“ durch Dortmund ab, der auch an der Johannesstraße und damit an dem katholischen Krankenhaus vorbeiführt.
Die Menschen, die mitliefen, lehnen mehrheitlich die Impfung ab, halten Corona für nicht so schlimm. Sie bezeichnen staatliche Eingriffe als „Diktatur“ und bezichtigen jeden, der das Gegenteil behauptet, der Lüge
Während die einen herumliefen, um die Polizei zu ärgern, schoben Menschen wie Christina Grothusen und Christoph Mues nur wenige hundert Meter Luftlinie entfernt gemeinsam mit Pflegerinnen und Pflegern Schicht. Dabei schnauften und piepsten die extrakorporalen und lebenserhaltenden Geräte im St. Johannes-Hospital unbeeindruckt weiter.
Kontroversen mit ungeimpften Patienten und deren Angehörigen
Prof. Dr. Helge Möllmann, Chefarzt der Klinik für Innere Medizin, stellt fest: „Es ist bitter, wenn man Tag und Nacht versucht, das Leben eines Menschen zu retten, der sich durch eine Impfung hätte schützen können, und dann Angehörigen gegenübersteht, die es noch verteidigen, dass er es nicht getan hat.“
Manchmal mache das fassungslos, auch wütend. „Im nächsten Moment hat man wieder Verständnis, weil es darum geht, dass ein nahestehender Mensch um sein Leben ringt“, sagt Möllmann.
Solche Gespräche, solche Emotionen, belasten. Der einzige Weg aus seiner Sicht: „Darüber reden, damit es raus ist“. Um dann weitermachen zu können.
Eine positive Nachricht gibt Kraft
Am Tag des Querdenker-Protests erhielt Oberarzt Christoph Mues eine gute Nachricht. Ein anderer Anfang 30-Jähriger scheint die schwere Erkrankung überstanden zu haben und kann möglicherweise bald die Covid-Intensivstation verlassen.
Solche Momente geben allen Beteiligten Kraft zurück. Aber wie lange wird sie halten? Denn das Problem, das wird in den Gesprächen am „JoHo“ deutlich, liegt tiefer.
Das Personal, das die Corona-Intensivpatienten versorgt, fehlt seit eineinhalb Jahren auf anderen Stationen. „Es herrscht genereller Mangel, in der Pflege und bei Ärzten“, sagt Helge Möllmann.
Hinzu kommt, dass immer mehr Menschen den Pflegeberuf verlassen oder in weniger belastende Arbeitsfelder wechseln. Viele sind ausgelaugt von fast zwei Jahren Pandemie auf der Intensivstation.
Der personelle Druck in den Kliniken wird immer höher
Die Bemühungen der bisherigen Bundesregierung, neues Personal zu werben oder das vorhandene angemessen zu entlohnen, bezeichnet Möllmann als „relativ armselig“.
Die personelle Situation in den Kliniken wird sich verschärfen, sollte wie in anderen Ländern die Zahl der Omikron-Fälle stark steigen. Schon jetzt belasten Corona-Quarantänen von Angestellten wegen Fällen im Umfeld von Schule und Kita die Dienstpläne.
Das trifft auf viele Branchen zu. Aber es ist komplizierter, einen Oberarzt oder eine Pflegekraft auf der Intensivstation zu ersetzen, als einen Bürojob vom Schreibtisch aus zu erledigen.
Seit 2010 Redakteur in Dortmund, davor im Sport- und Nachrichtengeschäft im gesamten Ruhrgebiet aktiv, Studienabschluss an der Ruhr-Universität Bochum. Ohne Ressortgrenzen immer auf der Suche nach den großen und kleinen Dingen, die Dortmund zu der Stadt machen, die sie ist.
