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„Es geht nur noch darum, die letzte Welle hinter sich zu bringen“
Covid-Intensivstation
Die vergangenen Wochen waren für Pflegende auf Dortmunds Covid-Intensivstationen wohl die härtesten. Susanne Lorf (54) berichtet im Interview von extremer Belastung - und vom Zusammenhalt im Team.
Etwa jedes achte Bett auf Dortmunds Intensivstationen wird am Freitag (14. Mai) von einem Corona-Patient oder einer -Patientin gebraucht. Die Belegung der Covid-Intensivstationen ist auch im Vergleich zur zweiten Welle hoch. Der wirkliche Engpass sind allerdings nicht die Betten, sondern Pflegerinnen und Pfleger, die seit Monaten unter extremem Druck stehen.
„Wir haben Geräte genug, wir haben Betten genug, wir haben Räume genug“, sagt Intensivpflegerin Susanne Lorf. „Wir haben aber, wie jedes andere Krankenhaus in Deutschland auch, nicht genug Personal, um all diese technisch eingerichteten Intensivbetten zu betreiben.“
Höhepunkt der Belastung Anfang Mai
Susanne Lorf (54) leitet die Covid-Intensivstation im Klinikum Nord. Die Station ND1 dort war die erste Intensivstation in Dortmund, die zur Covid-Station umfunktioniert wurde. Anfang Mai hat Susanne Lorf dort eine Belastung erlebt, die sie so aus rund 30 Jahren in der Pflege nicht kennt.
„Das erste Mai-Wochenende war für mich der Höhepunkt. Wir hatten da eine hohe Aufnahmefrequenz, eine hohe Notfallfrequenz und es sind auch für unsere Begriffe extrem viele Patienten verstorben.“ Man sei im Klinikum an mehreren Tagen kurz davor gewesen, die Reserve-Intensivstation für Covid-Patienten öffnen zu müssen.
Normalerweise gebe es auch auf einer Intensivstation nach einem Notfall einen Moment, um sich zurückzuziehen, das Erlebte zu verarbeiten. Selbst das sei zeitweise nicht möglich gewesen. „Manche sind aus dem Zimmer gekommen, der Patient war verstorben, und es musste direkt weitergehen, weil sich schon der nächste in einer schlechten Situation befunden hat.“
Vater und Tochter gleichzeitig auf der Covid-Intensivstation
In der dritten Welle kommen mittlerweile deutlich jüngere Patienten und Patientinnen mit schweren Covid-Verläufen auf die Intensivstation. Das sei eine erheblich psychische Belastung, wegen der Nähe zum eigenen Alter. „Wir versorgen hier jetzt die 50er- und 60er-Geburtsjahrgänge und noch jüngere. Und es gibt durchaus auch 80er- und 90er-Jahrgänge, die extrem schwere Verläufe zeigen.“
Susanne Lorf erzählt von einer jungen Mutter, die sich relativ kurz nach der Geburt mit dem Coronavirus angesteckt habe und auf die Intensivstation gekommen sei. Und von einer jungen Frau, die gleichzeitig mit ihrem Vater auf der ND1 behandelt worden sei. „Die lagen sozusagen eine Zimmertür getrennt voneinander. Das sind schon schwere Situationen.“
Ein starkes Team kommt an seine Grenzen
Wegen dieser Belastung aufgehört habe in der Pandemie auf ihrer Station niemand, sagt Susanne Lorf. Auch Krankheitsfälle gebe es kaum. Nur ein paar Mitarbeitende seien gegangen, weil sie ein Medizinstudium anfangen konnten. Und es seien auch neue Pflegerinnen und Pfleger gekommen.
Dennoch sei die Belastung aktuell besonders. „Die Haut wird dünner und ich höre jetzt auch häufiger ‚Ich kann das so nicht‘.“ Das Team komme an die Belastungsgrenzen. „Es geht nur noch darum, die letzte Welle hinter sich zu bringen und zu hoffen, dass wir danach wieder unser altes Leben zurückbekommen.“
Keine substanzielle Verbesserung
Solidaritätsbekundungen mit Pflegenden hat es in den vergangenen Monaten häufig gegeben. Substanziell verbessert habe sich an den Arbeitsbedingungen aber nichts, sagt Susanne Lorf. Das Klinikum sei bemüht, die Station mit ausreichend Personal zu bestücken, könne aber an der grundsätzlichen Situation wenig ändern.
Das brauche Zeit, allein schon weil die Ausbildung von Intensivpflegern fünf Jahre dauere. Dass sie bei einem der letzten kommunalen Krankenhäuser Deutschlands arbeite, sei ein großer Vorteil. Denn bei vielen privaten Trägern werde zugunsten der Gewinnziele auch beim Personal gespart.
Geboren in Dortmund. Als Journalist gearbeitet in Köln, Hamburg und Brüssel - und jetzt wieder in Dortmund. Immer mit dem Ziel, Zusammenhänge verständlich zu machen, aus der Überzeugung heraus, dass die Welt nicht einfacher wird, wenn man sie einfacher darstellt.
