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Trotz Termin: Senioren am Impfzentrum Dortmund weggeschickt
Corona-Impfungen
Mehrere Dortmunder sind am Corona-Impfzentrum auf Phoenix West weggeschickt worden, obwohl sie bestätigte Termine hatten. Eine Frau sagt: „Ich war schon in der Kabine!“ Und sie musste wieder raus.
Sigurd Milde ist zu alt und zu jung. Alle anderen aus seiner Praxis durften am Donnerstag ins Dortmunder Impfzentrum, wo sie ihre erste Dosis Astrazeneca erhielten. Sigurd Milde aber ist 71. Die bisherige Vorgabe für Astrazeneca: nur für Menschen bis 69 Jahre, nicht für Ältere.
Er hatte einen Termin im Impfzentrum
Sigurd Milde arbeitet immer noch als Kinderarzt in Scharnhorst, sogar als Spezialist für Lungenkrankheiten – in einer Praxis, die er längst in die Hände einer jüngeren Kollegin gegeben hat. Aber er ist auch vorerkrankt: Diabetes, Herzerkrankungen, Bluthochdruck. Deshalb erschien ihm die Tatsache, dass er nicht zur Astrazeneca-Impfung für medizinisches Personal konnte, als kein sonderlich großes Problem.
Denn: Nicht nur Über-80-Jährige können sich online um frei verfügbare Termine im Dortmunder Impfzentrum bewerben, sondern auch Vorerkrankte. Sigurd Milde tippte alles ein: Alter, Adresse, Krankengeschichte. Und er bekam auch einen Termin: Dienstag, 9. Februar.
Menschen „mit erkennbaren Erkrankungen“ weggeschickt
Am Impfzentrum auf Phoenix-West passierte ihm allerdings dasselbe wie anderen, die noch keine 80 sind. „Ich wurde weggeschickt und war schockiert.“
Vor allem, weil er nicht der einzige gewesen sei: „So ist es auch anderen ergangen, auch manchen mit erkennbaren Erkrankungen.“
78-Jährige war schon bis zur Impfkabine
Ortrud Kühn saß sogar schon in der Kabine am Freitag, 5. März, 14 Uhr. Mithilfe ihres Sohnes hatte sie den Impf-Termin gebucht, online, am 1. März, Folgetermin für 31. März, 12.15 Uhr – die 78-Jährige hatte alles minutiös festgehalten.
Vor Ort legte sie Personalausweis und Versichertenkarte vor, unterschrieb alle Formulare, wurde zur Impfkabine gebeten. Dann aber sei ein junger Mann gekommen: Sie sei nicht 80.
„Ich könne mich ja bei der Stadt beschweren“
Ortrud Kühn und ihr Mann wehrten sich: „Ich wollte mich nicht vordrängeln, aber ich habe den Termin unter der korrekten Angabe meines Alters bekommen“, sagt sie. In der Kabine habe man deshalb nach dem „Chef“ gefragt, um sich zu beschweren.
Doch der sei „ziemlich abweisend“ gewesen, erzählt Kühn: „Die Stadt habe angeordnet, Unter-80-Jährige nicht zu impfen. Ich könne mich ja bei der Stadt beschweren.“
Ein Arzt sei sogar zum Impfen bereit gewesen
Dann sei sogar der Arzt aus der Nebenkabine gekommen, der alles mit angehört habe: „Da ja genügend Impfstoff eingeplant und vorrätig sei“, erinnert sich Kühn, habe sich dieser Arzt zur Impfung bereit erklärt. Doch wieder sei der Vorgesetze „in die Kabine gestürmt“ und habe „dem Arzt in schroffer Weise die Impfung untersagt. Die Sache sei ausdiskutiert, basta!“
Dann sei man gleich von drei Security-Mitarbeitern hinausbegleitet worden.
So gibt es die 78-Jährige wieder.
Extra telefonisch erkundigt
Ob Zufall oder nicht, es geht noch weiter: Mehrere Über-70-Jährige, die Anfang vergangener Woche Termine hatten, kamen gar nicht mehr ins Gebäude. Sie berichten übereinstimmend im Gespräch mit unserer Redaktion: Schon beim Warten in der Schlange draußen sei akkurat in Listen nachgeschaut worden, ob diejenigen mit Termin auch tatsächlich unter den Impfberechtigten standen.
Hans-Peter Diedrich war einer von ihnen. Der 78-Jährige ist schwerbehindert und chronisch krank, hatte vorher extra bei der Kassenärztlichen Vereinigung NRW und der aus Westfalen-Lippe angerufen. Denn auch er hatte gehört, dass nur Über-80-Jährige drankämen.
Die Aussage am Telefon aber: „Wenn Sie doch einen Termin bestätigt bekommen haben, ist doch alles in Ordnung.“ Auf Phoenix-West habe es dann geheißen: „Sie sind nicht in der Liste der heute zu impfenden Personen.“

Hans-Peter Diedrich (78) wurde schon draußen weggeschickt. © Schaper
„Wenn das alles so richtig ist: Warum hatte ich einen bestätigten Termin?“, fragt Diedrich.
Und auch Sigurd Milde hat noch Fragen: „Habe ich einem anderen einen Termin weggenommen? Was passiert jetzt mit dem Impfstoff?“, will der Kinderarzt wissen. Aus Frust und Enttäuschung schrieb er diese Fragen auch direkt an den KVWL-Vorstand. Auf Antwort wartete er bei Redaktionsschluss dieses Textes (Sonntag, 14.3., 15 Uhr) noch.
Stadt: Klare Vorgaben vom Land, kein Spielraum
Die Stadt Dortmund indes sagt, sie könne nicht anders. Der Erlass vom Land NRW sei nun einmal eindeutig, unterstreicht Dr. Frank Renken, der Leiter des Gesundheitsamtes: „Das Ministerium hat ganz klar gesagt: nur diese Gruppe, nur die Über-80-Jährigen, alle anderen sind abzuweisen.“
Das Problem sei die Anmeldemaske auf der Internet-Seite der Kassenärztlichen Vereinigung. Zunächst einmal habe sich jeder dort anmelden können. „Dann kamen Sie auf eine Seite mit einer Liste von Risikogruppen, die alle zur höchsten Prioritätsgruppe gehören sollten. Und dann konnte man sich anmelden.“
Das sei „nachgewiesenermaßen ein Fehler in dieser Anmeldemaske“ gewesen – und das habe man „mit der KVWL auch sehr deutlich kommuniziert“.
In der Folge habe es „einen kurzen Eklat“ gegeben, so Renken, „weil im Ministerium nicht so klar war, dass wir Kommunen nicht gegen den Erlass des Landes handeln wollten, nach dem Motto ‚Wir nehmen die Bürger trotzdem dran.‘“
Freund geimpft, „der wohnt halt in Hessen“
Denn man habe gar keinen Spielraum, so Renken. Man dürfe einfach keine Unter-80-Jährigen impfen. Außer bei ganz seltenen Einzelfall-Entscheidungen, wenn Menschen wirklich extreme Vorerkrankungen hätten und langes Warten auf den Impftermin ein riesiges Risiko wäre.
Kinderarzt Milde kann dennoch nicht verstehen, warum alles so kompliziert sein muss: Einer seiner Freunde, sogar jünger als er, aber mit ziemlich denselben Vorerkrankungen, sei schon geimpft. „Aber der wohnt halt in Hessen, nicht in Nordrhein-Westfalen.“
Jahrgang 1977 - wie Punkrock. Gebürtiger Sauerländer. Geborener Dortmunder. Unterm Strich also Westfale.
