Jenni Theresa Siebers hätte einiges erspart werden können, wenn in ihrer Wohnstätte mehr getestet würde, sagt ihre Mutter. © Siebers
Mutter kritisiert Testkonzept
Corona im Heim: Tochter „quasi in Einzelhaft und versteht die Welt nicht mehr“
Wer shoppen gehen will, muss einen tagesaktuellen Schnelltest vorweisen, wer Menschen in Heimen für Behinderte pflegt, dagegen nicht – mit der Folge, dass Bewohner in Einzel-Quarantäne mussten.
Jenni Theresa Siebers (43) ist geistig beeinträchtigt und lebt in einer Wohnstätte der Lebenshilfe. Sie musste jetzt in Einzel-Quarantäne, weil sie von einer Nachtwache gepflegt wurde, die mit einer Mutante des Coronavirus infiziert war.
Dass sich die Betreuungskraft angesteckt hatte, stellte sich allerdings erst im Nachhinein heraus. Die Nachtwache hatte am darauffolgenden Morgen (28.3.) vorsorglich – ohne Symptome – einen Schnelltest gemacht, der positiv ausfiel. Und das gleich zweimal hintereinander. Weil sie beim wöchentlichen Schnelltest in der Wohnstätte nicht anwesend sein konnte, hatte die Nachtwache - verantwortungsbewusst - ihren Schnelltest vorab gemacht.
Als Folge des positiven Ergebnisses mussten aber mit Jenni Siebers sieben weitere Bewohner der Wohnstätte Hostedde in Einzel-Quarantäne. „Jeder einzelne dieser Bewohner und Bewohnerinnen muss im Zimmer betreut werden, darf es nicht verlassen und alle Mitarbeiter, die zur Versorgung ins Zimmer kommen, müssen es mit Schutzkleidung, Gesichtsmaske und Visier betreten“, berichtet Jennis Mutter Christiane Siebers.
Testkonzept vom Amt genehmigt
Sie kann es nicht fassen, dass zum Einkaufen tagesaktuelle negative Schnelltests erforderlich sind, aber für die Betreuung vulnerabler Menschen ein Schnelltest pro Woche reicht. Sie habe sich darauf verlassen, dass nach einer Verordnung des NRW-Gesundheitsministeriums von Anfang Februar die Möglichkeit genutzt werde, „in einer Einrichtung mit sogenannten vulnerablen Menschen dreimal in der Woche das Personal mit Schnelltest zu testen“, sagt Christiane Siebers.
Doch das Dortmunder Gesundheitsamt habe ein Testkonzept genehmigt, das nur einmal in der Woche einen Schnelltest bei Personal und Bewohnern vorsieht. Das bestätigt das Gesundheitsamt über die Pressestelle der Stadt und stützt sich dabei auf eine aktuelle Verordnung vom 11. März, nach der Beschäftigte der Eingliederungshilfe (dazu zählt die Wohnstätte der Lebenshilfe) mindestens einmal pro Woche durchzuführen sind. „Dem Gesundheitsamt Dortmund wurde eine entsprechende einrichtungsbezogene Teststrategie von der Wohnstätte Hostedde eingereicht“, teilt die Stadt mit.
Der Wunsch Christiane Siebers nach täglicher Testung der Beschäftigten in der Wohnstätte könne nicht umgesetzt werden, weil Testkapazitäten nur begrenzt vorhanden seien. Außerdem sei dies personell und organisatorisch nicht zu bewältigen, so das Gesundheitsamt.
Falsch positive Schnelltests
Oliver Onken, Fachbereichsleiter Wohnen bei der Lebenshilfe, hält eine wöchentliche Testung grundsätzlich für ausreichend. Im Fall der Wohnstätte Hostedde sei der positive Fall früh aufgedeckt worden, sodass keine weiteren positiven Fälle aufgetreten seien.
Zudem führt Onken an, dass es in einer anderen Lebenshilfe-Wohnstätte falsch positive Schnelltests gegeben habe. Deshalb hätten 24 Bewohner für zwei Wochen in Quarantäne gemusst. Onken: „Das hat uns nicht bestärkt, die Testfrequenz zu erhöhen.“
Doch für Jenni Siebers und ihre Eltern war die Quarantäne-Situation sehr belastend: Ihre Tochter „quasi in Einzelhaft, isoliert im Zimmer, versteht die Welt nicht mehr. Alle, die reinkommen, sind ,astronautisch‘ verkleidet, halten größtmögliche Distanz zu ihr. Besuche von uns – auch in Schutzkleidung – sind untersagt.“
An Rollstuhl und Bett fixiert
Selbstbestimmte Bewegung in Begleitung sei aber Jennis Lebenselixier, körperliche Nähe und Zuspruch von Menschen ihre tägliche emotionale Nahrung, erzählt Jennis Mutter. Doch in der Quarantäne müsste sie nahezu 24 Stunden fixiert werden, tagsüber im Rollstuhl mit Bauchgurt und Sitzhose, im Bett mit Segufix-Gurt. Einer teilweisen Fixierung habe sie zustimmen müssen, so Christiane Sieber, aber für 24 Stunden sei für sie nicht infrage gekommen. „Unvorstellbar für uns Eltern.“
Deshalb hätten sie Jenni während der Quarantäne nach Hause holen wollen. Das Gesundheitsamt habe ihnen aber am Telefon „unmissverständlich“ zu verstehen geben, dass sie Jenni „ohne Kompromiss“ erst nach dem Ende der Quarantäne zurückbringen könnten. Selbst wenn Jenni krank oder die über 70-jährigen Eltern die Kraft verlassen würde, könne Jenni nicht in die Einrichtung zurück, sagt Christiane Siebers. Der Quarantäne-Ort dürfe nicht gewechselt werden.
Vor so einem möglichen Notfall hatten Siebers Angst. Erst nach Rücksprache der Mutter mit der Heimaufsicht erhielt sie das Signal, dass ihnen im Notfall geholfen würde. Daraufhin holten sie Jenni am Dienstag (6.4.) aus der Wohnstätte in die Quarantäne nach Hause.
PCR-Test zum Quarantäne-Ende
Das Gesundheitsamt teilte am Donnerstag auf Nachfrage dieser Redaktion mit, dass Jenni erst nach Ende der Quarantänezeit wieder in die Wohnstätte zurück könne. Eine PCR-Testung sei bereits mit dem mobilen Testteam des Gesundheitsamtes geplant. Falls die PCR-Testung negativ ausfalle, werde die Quarantäne beendet. Gleichzeitig betont das Amt, dass es keinesfalls beim Eintritt eines Notfalls der Weiterversorgung durch die Einrichtung im Wege stehen würde.
Die Betreuer in der Lebenshilfe-Wohnstätte seien mit Herzblut dabei, unterstreicht Christiane Siebers, „ein Schnelltest vor Antritt zum Nachtdienst hätte vielleicht nicht 100-prozentig, aber mit großer Wahrscheinlichkeit die asymptomatische Infektion angezeigt. Das menschenunwürdige Prozedere, die gewaltsame Fixierung und sozial-emotionale Isolation wäre ihr erspart worden.“
Für ihre Tochter sei das Problem erstmal gelöst, sagt die Mutter, „doch die Situation muss man kritisch betrachten.“
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