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„Es wurde mit Ängsten der Mitarbeiter gespielt - und ihr habt das zugelassen!“
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Von Dortmund aus bringt Caterpillar keine Bagger mehr in die Welt: Die letzten 70 von 600 Beschäftigten verließen das Werk. Mit Wut im Bauch - auch auf die eigenen Interessenvertreter.
Am Anfang der Caterpillarstraße empfängt ein großes Firmenschild Besucher und Beschäftigte. Die Straße macht einen kleinen Bogen und verläuft leicht abschüssig hinunter zum Werkstor.
Der Eingang zum Werksgelände des amerikanischen Bagger-Herstellers in Dorstfeld ist streng bewacht. Journalisten, die an diesem Freitagvormittag die Straße herunterkommen, werden sofort wieder hochgeschickt. „Das gehört hier schon zum Firmengelände, bitte gehen Sie wieder zurück“, heißt es bereits weit vor der Pforte.
Oben an der Straße Iggelhorst stehen ein paar Männer zusammen. Es sind Beschäftigte von Caterpillar. Ihnen hatte die Geschäftsführung schon im Werk deutlich zu verstehen gegeben, dass man eine Versammlung vor dem Werkstor nicht dulden werde.
Caterpillar-Aus: „Es soll alles ganz geräuschlos gehen“
„Es soll alles ganz geräuschlos gehen. Es ist Wahnsinn: da gehen mit dem heutigen Tag 600 Arbeitsplätze in Dortmund verloren und keiner bekommt das mit“, sagt einer aus dem Häuflein der Caterpillar-Mitarbeiter.

Verabschiedung auf dem Bürgersteig: Fernab von der videoüberwachten Zufahrt zum Caterpillar-Gelände traf sich nach der letzten Schicht noch ein kleines Grüppchen von Mitarbeitern. So geräuschlos gingen am Freitag (30.7.) 600 Industriearbeitsplätze in Dortmund verloren. © Peter Wulle
Das Ganze hat etwas von einer Beerdigung im engsten Familienkreis. Minütlich kommen noch ein paar Kollegen dazu, aber die Szenerie am letzten Produktionstag bei Caterpillar bleibt ein Bild des Jammers. „Was hier abgelaufen ist, ist eine absolute Frechheit“, sagt einer kopfschüttelnd. Alle halten sie Abstand zur Caterpillarstraße und zum Überwachungsbereich der Firmenkameras. „Bloß weg von da!“
Die, die jetzt ankommen, haben gerade das sogenannte „Offboarding“ hinter sich und Schlüssel und Arbeitsgeräte abgegeben. Die Wut im Bauch, die haben sie nicht abgegeben, die haben sie mit hochgebracht zum Treffpunkt am Iggelhorst. Wut auf die Unternehmensführung in den USA, auf die Politik in Dortmund und Nordrhein-Westfalen und auch auf den eigenen Betriebsrat.
Caterpillar-Beschäftigte: „Wir hätten mehr kämpfen müssen“
„Wir hätten viel mehr und ganz laut kämpfen müssen. Ich hab nie einen vom Betriebsrat gesehen. Man hätte Druck machen und die Politik hätte uns retten müssen“, sagt einer der Industriemechaniker, der 11 Jahre im Werk gearbeitet hat und nicht mit Namen genannt werden möchte.

Keinen leichten Stand hatte Dirk in der Beck, der sich am letzten Produktionstag bei Caterpillar der Kritik der Beschäftigten an der Arbeit des Betriebsrats stellte. „Gegen die Amerikaner hatten wir keine Chance. Alles wurde auf der anderen Seite der Erde entschieden, wo man gar nicht wusste, welch hochmodernes Werk wir hier haben", sagte der Arbeitnehmervertreter. © Peter Wulle
Seine Kritik trifft Dirk in der Beck, der als einziger Arbeitnehmervertreter mit in der Runde steht. Er ist Schwerbehindertenbeauftragter und wurde vom Betriebsrat in die Verhandlungskommission für den Interessenausgleich über einen Sozialplan geschickt.
Er sagt: „Wir konnten nichts machen. Gegen die Macht der Amerikaner hatten wir keine Chance. Weder das Land NRW, noch die Stadt Dortmund - keiner konnte helfen. Unsere Interessen werden in den USA nicht gesehen. Streiks und schlechte Presse hätten nur dazu geführt, dass die Amerikaner das Werk sofort geschlossen hätten.“
Caterpillar versprach Prämie für Bau von 38 Baggern
Die Kollegen hören Dirk in der Beck zu, aber ihre Wut ist - zumindest so kurz nach ihrer letzten Schicht - größer als seine Überzeugungskraft. „Es wurde mit den Ängsten der Mitarbeiter gespielt, und ihr habt das zugelassen“, schallt es ihm entgegen.
Nachdem am 5. März 2020 von den Caterpillar-Bossen das Aus für den 31. Juli 2021 verkündet worden war, sei allen eine Prämie versprochen worden, wenn noch 38 Bagger fertig produziert würden. Laumalochertum sollte es im letzten Jahr nicht geben. „Damit hat man uns lange bei Laune gehalten und dann ist die Prämie gekürzt worden“, sagen mehrere Beschäftigte.
„Ja, die letzte Zeit war nicht die schönste“, drückt sich Hakan Degirmenci diplomatisch aus. Der 42-jährige Section-Manager hat fast 25 Jahre in dem Werk gearbeitet, seine Ausbildung als Konstruktionsmechaniker am 1. September 1996 noch bei Orenstein & Koppel (O&K) begonnen.
Abschied von den Kollegen fällt allen schwer
Den Einstieg von Caterpillar in Dorstfeld im Jahr 2011 sieht er im Nachhinein kritisch. „Man hat sich hier Wissen eingekauft und nimmt das jetzt mit nach Indonesien. So fühle ich das“, sagt er. Ärgern will er sich darüber möglichst nicht mehr. In nun neun Monaten möchte er seine Meisterschule beenden und dann als Abteilungsleiter irgendwo neu anfangen.
Fehlen werden ihm, wie Oliver Dworrak, die Kollegen, mit denen man täglich zusammengearbeitet hat. „Der Abschied fällt sehr schwer. Jetzt geht es in die Transfergesellschaft und parallel werden Bewerbungen geschrieben. Man muss gucken, dass man mit 50 noch einen Job kriegt“, sagt Oliver Dworrak.
Eine ausgedruckte Mail mit den Abschiedsworten eines Kollegen an das Team macht die Runde. „Auch meine Köfferchen sind gepackt und den Bürocontainer schließe ich sogleich das letzte Mal ab“, heißt es darin. Und: „Es fühlt sich nach wie vor recht surreal an, wenn man bedenkt, dass die Reise hier heute ein Ende nimmt.“
Caterpillar-Werk wird wohl ein Logistik-Standort
Als ein riesiger Lkw aus dem Werk kommt, der Baggerteile geladen hat, die nun in Belgien gelagert werden, erzählt der Caterpillar-Mitarbeiter, der seinen Namen nicht nennen will: „Es ist so traurig, das zu sehen. Das Unternehmen hat immer Plus gemacht. Man schlachtet doch keine goldene Kuh! Im Grund war es aber von Anfang an so: Caterpillar kam und deutsche Wertarbeit ging. Jetzt wird die Produktion nach Batam in Indonesien verlagert, um möglichst billig zu sein. Wir hatten hier aber zuletzt schon zig Teile aus Batam, die wir nochmal nachgearbeitet haben.“
Das Grüppchen mit den rund 30 Mitarbeitern, der insgesamt 70 verbliebenen Beschäftigten, die an diesem Freitag Caterpillar als Letzte verlassen, löst sich schließlich auf. Keiner blickt mehr zurück die Caterpillarstraße hinunter, die ja demnächst vielleicht Prologis-Straße heißt. Jedenfalls deutet Vieles darauf, dass der US-Konzern für Logistik-Immobilien sich hier ansiedeln wird.
Nach mehreren Stationen in Redaktionen rund um Dortmund bin ich seit dem 1. Juni 2015 in der Stadtredaktion Dortmund tätig. Als gebürtigem Dortmunder liegt mir die Stadt am Herzen. Hier interessieren mich nicht nur der Fußball, sondern auch die Kultur und die Wirtschaft. Seit dem 1. April 2020 arbeite ich in der Stadtredaktion als Wirtschaftsredakteur. In meiner Freizeit treibe ich gern Sport: Laufen, Mountainbike-Fahren, Tischtennis, Badminton. Außerdem bin ich Jazz-Fan, höre aber gerne auch Rockmusik (Springsteen, Clapton, Santana etc.).
