Die gemeinsame Fahrt in die Stadt. Die traditionellen ein, zwei, drei oder mehr Pils auf dem Weg zum Stadion. Nach Abpfiff noch in die Lieblingskneipe zur ausführlichen Nachbesprechung der Partie. Für viele BVB-Fans ist ein Heimspiel-Tag so viel mehr als nur 90 Minuten Fußball. Sie verbringen den halben Tag in der Nähe des Stadions.
Die Lindemannstraße im Kreuzviertel ist ein Hauptschauplatz dieses BVB-Biotops. Sie verwandelt sich an Spieltagen in eine wahre Fanmeile. Abertausende pilgern über sie zum Stadion und zurück. Hier feierte einst BVB-Verteidiger Neven Subotic umringt von Fans die Meisterschaft 2011 oben ohne auf dem Dach seines Autos – jahrelang prangte am Schauplatz der Ereignisse ein gelbes Parkplatz-Zeichen mit dem Zusatz „Nur für Neven Subotic“ auf der Fahrbahn.
Dieses BVB-Biotop hat in den vergangenen Jahrzehnten eine eigene Gastro-Infrastruktur ausgebildet, mit Fankneipen und temporären Imbissständen. Doch diese Infrastruktur schwächelt seit Corona. Mehrere der Bratwurst- und Bierstände entlang der Strecke sind verschwunden, etwa vor der Nicolaikirche oder vor der Fußgänger-Brücke über die B1.
Vor allem aber vermissen viele Fans zwei langjährige Institutionen unter den Fankneipen: den legendären „Hubertus-Grill“ und das Lokal auf der anderen Straßenseite, das lange „Barrock“ und zuletzt „Kumpel Erich“ hieß. Und vergangene Woche kündigte mit dem „Bürgermeister Lindemann“ eine dritte beliebte Fan-Pinte an, Ende Juni zu schließen. Dann gibt es gar keine klassische Fußballkneipe mehr an der Lindemannstraße.
Mehr Glasbruch befürchtet
„Es ist schade für die Fans, wenn solche Anlaufpunkte wegfallen“, sagt Torsten Schwickrath. Der 44-jährige Dortmunder ist BVB-Fan, seitdem er denken kann. Seit 15 Jahren geht er regelmäßig ins Stadion und danach in die Kneipen der Umgebung. „Treffpunkte vor und nach dem Spiel in Stadionnähe sind wichtig für uns Fans. Da will man nicht erst eine Dreiviertelstunde latschen.“
Auch der scheidende Bezirksbürgermeister Friedrich Fuß sieht die Entwicklung mit Sorge: „Das ist höchst bedauerlich. Die Fans werden sich nun mehr selbst versorgen“, etwa mit Bierflaschen. Dadurch werde es wohl noch mehr Glasbruch an der Lindemannstraße geben als sonst an Spieltagen.

Eine der letzten echten Kneipen in Schlagdistanz der Fanmeile ist der „B-Trieb“. Die Traditionskneipe liegt ein paar Schritte entfernt an der Ecke Kreuzstraße/ Große-Heim-Straße. Geführt wird sie von Karl Gannon. Der 50 Jahre alte Ire kennt die Gastro-Szene rund um die Lindemannstraße sehr gut. Er arbeitete bereits im „Barrock“ und später im „Kumpel Erich“, bevor er 2017 ins „B-trieb“ wechselte.
Klassische Kneipen wie der „Bürgermeister“ oder auch der „B-Trieb“ seien auf dem Rückzug, meint Gannon: „Die Trinkkultur hat sich verändert. Die jungen Leute trinken lieber ein ‚Fuß-Pils‘ draußen auf der Straße. Wenn sie irgendwo hereingehen, dann eher in ein Restaurant.“
Der „B-Trieb“ lebt vor allem von seinen Fußball-Stammgästen. An Spieltagen brauche er eigentlich keine Laufkundschaft, erzählt Gannon, da sei sein Laden dank seines „Hardcore-Publikums“, wie er es liebevoll nennt, immer voll. Ihren Umsatz braucht er auch, da allein das Kneipen-Abo der Fußball-Bezahlsender Sky und DAZN zusammen rund 750 Euro pro Monat koste.

Die Zeit ohne Fußballkneipen an der Lindemannstraße wird nach dem Aus des „Bürgermeisters“ nur kurz währen: Bereits seit geraumer Zeit wird das alte „Kumpel Erich“ umgebaut. Die neue „Westfalenschenke“, betrieben von Ex-BVB-Profi Kevin Großkreutz und Gastronom Christopher Reinecke, steht bereits in den Startlöchern. „Zur neuen Saison werden wir eröffnen, wenn nicht noch was Schlimmes passiert“, sagt Reinecke.
BVB-Fan Torsten Schwickrath hofft derweil auch noch auf einen würdigen Nachfolger für das „Bürgermeister Lindemann“: „Ich würde mir wünschen, dass da was Neues für die Fans reinkommt und kein Bäcker oder Frisör.“
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