Vom BVB-Chefstrategen zum Oberbürgermeister? So tickt Jan-Henrik Gruszecki

Kann Jan-Henrik Gruszecki auch Oberbürgermeister?
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Sie jubeln, wenn ein Tor fällt. Sie grummeln, wenn der BVB nicht liefert. Es sind immer die selben Gesichter, die die Fernsehkameras einfangen: Vereins-Boss Hans-Joachim Watzke, Sport-Chef Lars Ricken, Berater Matthias Sammer. Einen schneiden die Kameras regelmäßig ab.

Es ist der Mann zwei Plätze neben BVB-Chef Watzke. „Watzkes Superhirn“ nannte ihn die Bild-Zeitung. Jan-Henrik Gruszecki ist die rechte Hand der Geschäftsleitung und Borussia Dortmunds Chefstratege. Und vielleicht auch bald Dortmunds Stadtoberhaupt. Gruszecki wird bei den Grünen für eine Kandidatur zum Oberbürgermeister gehandelt.

Gruszecki will Ende November entscheiden

Es wäre ein politischer Coup, den bis vor zwei Wochen, als die Ruhr Nachrichten über die Personalie berichtet haben, niemand kommen sah. Gruszecki äußerte sich gegenüber Sport BILD kürzlich: „Wenn zwei staatstragende Parteien wie die CDU und die Grünen einen für das höchste Amt seiner Stadt anfragen, dann ist es so etwas wie Bürgerpflicht, sich ernsthaft mit diesem Thema zu beschäftigen.“ Bis Ende November will er über eine Kandidatur entscheiden.

Damit könnte eine monatelange Hängepartie zu Ende gehen. Denn bislang führten die Gespräche von CDU und Grüne zu einem gemeinsamen Kandidaten zu keinem Erfolg. Die Grünen brachten dafür Gruszecki ins Spiel. Ob er auf dem Grünen-Ticket fahren würde oder auch die CDU noch überzeugen kann, dazu äußern sich beide Parteien nicht. Im Hintergrund deutet sich aber an, dass die beiden Parteien eher keinen gemeinsamen Kandidaten aufstellen werden.

Doch wer ist Jan-Henrik Gruszecki? Oder was? Vielseitig ist er auf jeden Fall. Das zeigt unsere Recherche. Herausgekommen ist das Porträt eines Netzwerkers, Unternehmers und BVB-Strategen, der die Widersprüche der Dortmunder Gesellschaft spiegelt – und ein ernsthafter Konkurrent, für den amtierenden Oberbürgermeister Thomas Westphal (SPD) werden könnte.

Gruszecki, Energiebündel und Strippenzieher

Der studierte Journalist Gruszecki ist 40 Jahre alt. Im Oktober nannte ihn einer seiner besten Freunde, der bekannte Migrations- und Bildungssoziologe Aladin El-Mafaalani von der Technischen Universität Dortmund, auf einer Veranstaltung im Keuninghaus spaßeshalber einen „linksextremen Kapitalisten“. Die Bezeichnung ist ein Widerspruch in sich, doch sie beschreibt treffend die diverse Lebenswelt von Gruszecki.

Jan-Henrik Gruszecki und Marc Diegmann (links), der für ihn mittlerweile die Geschäfte seiner Borussia Brauerei leitet.
Jan-Henrik Gruszecki und Marc Diegmann (links), der für ihn mittlerweile die Geschäfte seiner Borussia Brauerei leitet. © Dennis Pesch

Er hat einen Gestaltungsanspruch, enge Wegbegleiter nennen ihn auch ein „unermüdliches Energiebündel“. Im Wirtschafts-Podcast OMR nannte ihn der Host Philipp Westermeyer im Juni den „Strippenzieher im Hintergrund bei Borussia Dortmund“. Gruszecki schmunzelte – und ließ es so stehen. Gruszecki sieht sich selbst als Generalist. Als Strategie- und Kulturchef beim BVB hat er freie Hand, den Verein mitzuprägen.

Selbst nachts um drei antwortet er auf Nachrichten. Gruszecki ist Unternehmensinhaber der Borussia Brauerei und der Borsigplatz Development GmbH, besitzt eine eigene Gesellschaft für seine Vermögenswerte und ist Vater von zwei Kindern.

Gruszecki und der Rheinmetall-Deal

Beim BVB ist Gruszecki verantwortlich für einen der kontroversesten Deals in der Vereinsgeschichte – das Sponsoring durch den Rüstungskonzern Rheinmetall. Dass Gruszecki im OMR-Podcast gemeinsam mit Marketing-Geschäftsführer Carsten Cramer den Deal erläutert, ist kein Zufall. Er ist es, der den Deal in all seinen Widersprüchen erklären kann. Widersprüche zu verbinden – das ist Gruszeckis Markenzeichen.

Er gilt unter Befürwortern als Kommunikator mit Weitsicht, der strategische Gedanken entwickelt. Zum Rheinmetall-Deal erklärte er im Podcast: „Man geht eine Partnerschaft mit einem Unternehmen ein, wo ich früher als ‚linksgrünversiffter‘ gesagt hätte: ‚das können wir nicht machen‘. Auch meine persönliche Haltung dazu hat sich geändert, obwohl man ja sehr gerne in seiner Ideologie bleibt. Die realen Lebensverhältnisse haben sich aber leider geändert.“

Der BVB und Gruszecki verbinden das Sponsoring von Rheinmetall mit einem Engagement für die Demokratie, ein kommunikatives Kernziel des BVB. Der wirtschaftliche Deal, so die Erzählung, sollte eine Diskussion in der Gesellschaft über die Demokratie anstoßen. Die Subbotschaft ist klar: Freiheit und Demokratie sind auch von außen gefährdet. Ausgesprochen wird das so nicht, aber gemeint ist die Aggression Russlands gegen den Westen mit dem Beginn des Ukraine-Kriegs im Februar 2022.

Gruszecki, der Unternehmer

Es ist diese Haltung und seine marktwirtschaftliche Überzeugung, die erklärt, warum er auch für die CDU als durchaus vertretbarer Kandidat galt. Bis hinein in oberste Kreise der NRW-CDU soll Gruszecki unterstützt worden sein. Zudem könnte er kaum näher an einem wichtigen CDU-Mann arbeiten. Hans-Joachim Watzke ist seit 1975 CDU-Mitglied. Mit dem Kanzlerkandidaten der Union, Friedrich Merz, ist er per du. Watzke hat Gruszecki über Jahre gefördert, obwohl der als Ultra lange ein linker Kommerz-Kritiker war. Die beiden pflegen seit Jahren ein enges Verhältnis.

Planungsdezernent Stefan Szuggat, Oberbürgermeister Westphal, NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach und Problemhaus-Käufer Jan-Henrik Gruszecki präsentierten 2023 zusammen Erfahrungen zur Bekämpfung von Problem-Immobilien in der Nordstadt.
Planungsdezernent Stefan Szuggat, Oberbürgermeister Westphal, NRW-Bauministerin Ina Scharrenbach und Problemhaus-Käufer Jan-Henrik Gruszecki präsentierten 2023 zusammen Erfahrungen zur Bekämpfung von Problem-Immobilien in der Nordstadt. © Lukas Wittland

Gleichzeitig ist der potenzielle Oberbürgermeister-Kandidat der Grünen auch noch Unternehmer und Vater. „Janni“, wie er überall genannt wird und sich selbst so auch in die Kontaktliste eines Smartphones einträgt, ist Gründer und Eigner der Borussia Brauerei, die seit Ende 2022 ein Export-Bier in Berlin brauen lässt, es hier verkauft und bald plant in Dortmund selbst das Bier zu brauen.

In seiner „Gruszecki Vermögensverwaltung GmbH“ versammelt er die Brauerei und seine „Borsigplatz Development GmbH“. Mit der strebt er an, die Nordstadt aufzuwerten. Es ist ein millionenschweres Projekt, das Gruszecki bereits seit über sieben Jahren verfolgt. Angefangen hat alles damit, dass er das BVB-Gründerhaus kaufte, ein jahrelanger Prozess, der von Gruszecki viel Durchhaltevermögen abverlangt hat. Die Entwicklung dieser Herzensprojekte würde durch die Kandidatur zum OB erheblich verzögert.

Gruszecki und sein Netzwerk

Neben seiner Tätigkeit als Familienvater, Unternehmer, BVB-Chefstratege und Ex-Ultra ist Gruszecki aber vor allem eins: ein Netzwerker. Er kennt selbst die größten und verschwiegenen Dortmunder, die sich noch nie öffentlich geäußert haben. Sein Netzwerk reicht tief in die Wirtschaftselite der Stadt, wenn gleich sein Freundeskreis weiter auch in der Fanszene des BVB beheimatet ist. Am Spieltag sitzt er in der ersten Hälfte neben Watzke, in der zweiten Hälfte wechselt er auf die Südtribüne.

Gruszecki gelingt der Spagat, der ihn aus Sicht seiner Befürworter, zu einem ernsthaften Konkurrenten für Thomas Westphal macht. Gleichzeitig soll er ein gutes, sogar wertschätzendes Verhältnis zum Oberbürgermeister haben. In der SPD wird Gruszeckis Kandidatur gefürchtet, so heißt es aus mehreren Quellen. Er ist ein bekanntes Gesicht in der Stadtgesellschaft. Soziologe El-Mafaalani sagte kürzlich über ihn: „Wenn man Janni in einem Wort zusammenfassen müsste, würde man sagen: Er ist besessen.“

Dabei steht seine Vergangenheit als Mitgründer der wichtigsten Dortmunder Ultra-Gruppe „The Unity“ einer Kandidatur zum Oberbürgermeister nicht im Weg. Im Gegenteil: Sie ist Teil einer Erzählung. Gruszecki stand wie kaum ein anderer Vertreter der deutschen Fussball-Fanszenen in den frühen 2000er und 2010er als Gesicht für verschiedene Kampagnen im medialen Fokus. Es waren diese Auftritte, die ihn auch stärker in den Fokus der BVB-Chefetage rückten.

Gruszeckis Ultra-Vergangenheit

Zu den Kampagnen, die er initiiert hat, gehörten unter anderem „Kein Zwanni für 'nen Steher“, die bundesweit für Aufmerksamkeit sorgte. Auch an den Protesten der deutschen Fanszenen im Jahr 2012 war er maßgeblich beteiligt. Nahezu alle Fanszenen protestierten damals gegen ein Sicherheitskonzept der DFL, den Stadionaufenthalt durch Kollektivstrafen und Stehplatz-Verbote „sicherer“ zu machen. Mehrere Spieltage schwiegen die Fanszenen die ersten zwölf Minuten.

Jan-Henrik Gruszecki im Jahr 2013 als Sprecher der Fan-Initiative 12:12, die sich gegen ein Sicherheitspapier der DFL richtete.
Jan-Henrik Gruszecki im Jahr 2013 als Sprecher der Fan-Initiative 12:12, die sich gegen ein Sicherheitspapier der DFL richtete. © picture alliance / dpa

Gruszecki kann Menschen mobilisieren. Ein Beleg dafür war sein Film über die Gründungsgeschichte des BVB um Franz Jacobi. Er sammelte 259.000 Euro aus Fanszene, Verein und dem BVB-Umfeld ein, um 2015 mit nachgestellten Szenen und historischen Aufnahmen den Film „Am Borsigplatz geboren“ zu produzieren. Eine solch hohe Summe über Crowdfunding in einer Stadt zu finanzieren, war damals eine Sensation.

Überraschend bleibt nur: Gruszecki ist kein gebürtiger Dortmunder und wohnt erst seit 2012 in der Stadt. Seine Kindheit verbrachte er in Enger im Kreis Herford, ging dort auf Realschule und Berufskolleg. In der Saison 1991/92 – da war er sieben Jahre alt – nahm ihn sein Onkel bereits regelmäßig mit ins Stadion. In der Grundschule sei er im BVB-Trikot erschienen.

Gruszecki, der Maradona-Fan

Ein wichtiger Wegbegleiter von Gruszecki ist der Hamburger Filmemacher Marc Quambusch. Er begleitete ihn beim Groundhopping der Fanszenen Italiens, Englands, Polen und der Ukraine. Unserer Redaktion sagte Quambusch: „Janni ist ein Energiebündel und einer, der unfassbar gut ist im langfristigen Denken. Visionen haben viele, aber es gibt nicht viele, die sie so wie Janni umsetzen können.“

Neben dem BVB begeisterte sich Gruszecki auch immer für sein Jugendidol Diego Maradona. So sehr, dass er sein neunmonatiges Pflichtpraktikum im Zuge des Journalismus-Studiums in Bielefeld nutzte, um nach Buenos Aires zu reisen. Schlussendlich blieb er sechs Jahre in Argentinien, studierte Geschichte und fand dort Zugang zu den „Barras“, den Ultra-Fanclubs der lateinamerikanischen Fußballclubs. „Da geht einem das Herz auf, wenn man sieht, mit welcher Leidenschaft die Leute dabei sind“, schrieb er damals im Unity-Fanzine „Vorspiel“.

Gruszecki prägt die BVB-Marke

„Ultra ist die Kultur, in der in ich sozialisiert wurde“, sagte er im Oktober bei der Veranstaltung im Keuninghaus. So gelang ihm auch der Aufstieg in die Ebene der Geschäftsführung von Borussia Dortmund. „Ich hatte immer einen guten Draht zu den Geschäftsführern. Irgendwann haben die festgestellt, dass ich einen Mehrwert für dieses kapitalistische Unternehmen schaffen kann.“

Ganz vorne links im Bild: Gruszecki und die BVB-Chefetage.
Ganz vorne links im Bild: Gruszecki und die BVB-Chefetage. © IMAGO/Ulrich Wagner

Und auch als Strategiechef beim BVB hat er die offensichtlichsten Widersprüche miteinander verbunden. Wenn der Verein heute erklärt, warum er sich als börsennotiertes Unternehmen von anderen Vereinen unterscheidet, sagt Gruszecki gerne, der BVB sei „nicht gewinnorientiert“, sondern „Umsatz-maximiert.“ Bei jeder Gelegenheit erklärt er, dass der Verein sich eher für eine deutsche Meisterschaft entscheiden würde als für einen Rekordgewinn.

Gruszecki, „der Menschenfänger“

Es sind diese Erzählungen, die er als Strategiechef gesetzt hat, um der Marke Borussia Dortmund einen USP, „unique selling point“, zu geben: „Warum gehen die Leute ins Stadion? Weil es eine Kulturveranstaltung ist. Die Qualität des Fußballs ist gar nicht das Wichtigste, es ist das emotionale Gemeinschaftserlebnis.“ Sein Weggefährte, der Soziologe El-Mafaalani antwortete bei der Veranstaltung: „Janni erklärt, warum es zwar BVB-Aktien gibt, aber warum eigentlich nur Fans vom BVB eine haben.“

Gruszecki hat eine Fähigkeit, die ihn aus Sicht seiner Befürworter auch dafür qualifiziert, Oberbürgermeister der Stadt Dortmund zu sein: „Jannis Stärke ist, dass er mit allen Leuten auf Augenhöhe spricht, vom Professor bis zum Arbeiter. Er ist ein Menschenfänger und kann die Begeisterung für seine Projekte gut auf andere Menschen übertragen.“ Ob er antreten wird? Darüber will Gruszecki bald entscheiden.

Dieser Artikel erschien ursprünglich am 26. November 2024.