Dortmunder kaufte Schrotthaus am Borsigplatz Diese Rolle spielte ein angeschossener Pastor aus Lyon

Kakerlaken, Kriminalität und ein angeschossener Pastor: Schrotthaus am Borsigplatz
Lesezeit

An die Hausfassade der Dürener Straße 29 haben Sprayer so einiges geschrieben. Türen, Fenster und Wände im Erdgeschoss sind beschmiert. Eine Frage steht da nicht, aber sie drängt sich auf, wenn man mit dem Eigentümer Jan-Henrik Gruszecki vor der Tür steht: Warum zum Teufel bindet man sich so etwas ans Bein?

Um diese Frage zu beantworten, muss man erstmal etwas über Gruszecki wissen, verrückt wird es danach trotzdem noch klingen. Jan-Henrik Gruszecki wohnt im Nebenhaus. Es ist nicht irgendein Haus im Borsigplatzviertel, sondern das, in dem im Jahr 1909 der Ballspielverein Borussia gegründet worden ist.

Gruszecki, ein ehemaliger Ultra, der heute die Stabsstelle Strategie und Kultur bei Borussia Dortmund leitet, hat das Gebäude vor einigen Jahren gekauft und lebt seitdem dort. Über den BVB-Gründer Franz Jacobi hat Gruszecki eine Dokumentation gedreht. Dass das Borsigplatzviertel, in dem seine große Liebe Borussia Dortmund das Licht der Welt erblickt hat, so viele Probleme hat, erträgt er nicht.

„In diesem Haus fand nahezu alles an Kriminalität statt“

Er beschließt deshalb, das Viertel auf eigene Faust zu verschönern. Gemeinsam mit den Immobilienentwicklern Till Meyer aus Lingen und John Schierhorn aus Hamburg gründet er die „Borsigplatz Development GmbH“. Sie wollen das Vierteil zum Besseren verändern. Neben der Gründungsgaststätte des BVB fangen sie an. Aber sie brauchen einen langen Atem: Es soll sieben Jahre dauern, bis sie das Haus tatsächlich kaufen können, noch einmal 13 Monate, bis dort wirklich niemand mehr wohnt und noch länger, bis keine Kakerlaken mehr krabbeln.

Jan Gruszecki (l.) mit John Schierhorn vor der Immobilie in der Dürener Straße 29
Jan Gruszecki (l.) mit John Schierhorn vor der Immobilie in der Dürener Straße 29 © Christian Pozorski

Aber fangen wir bei der Geschichte des Hauses mit seinem Zustand an, bevor wir zu seinem vorherigen Besitzer kommen, einem griechisch-orthodoxen Priester aus Lyon, die eigentlich schon eine Geschichte für sich wäre:

„In diesem Haus fand nahezu alles an Kriminalität statt, was man sich vorstellen kann“, sagt Gruszecki und zählt auf: Prostitution, Sozialbetrug, Quartier für Bettelbanden und Ausgangspunkt für Einbrüche. „Die Leute, die hier gewohnt haben, hatten das Haus eigentlich besetzt. Sie haben die Nachbarschaft terrorisiert“, sagt der 39-Jährige. Wenn er aus seinem Haus in Richtung der Dürener Straße 29 blickte, sah er regelmäßig, wie Müll aus den Fenstern flog.

Frau holt Miete in bar ab

Bewohner pöbelten Vorbeigehende an. In den Wohnungen lebten Menschen gemeinsam mit Tauben und unzähligen Schädlingen. Auch im Treppenhaus wohnten Menschen. Wie auf der Tapete noch heute zu sehen ist, nutzten sie die Wände als Leinwand für Gemälde und als Spielfläche für Tic Tac Toe.

„Die Zustände dort haben zwei komplette Straßenzüge heruntergezogen“, sagt Gruszecki. Die Behörden werden dem ganzen auch nicht wirklich Herr, also überlegte sich Gruszecki, selbst etwas zu unternehmen. Der 39-Jährige findet die Adresse des Hauseigentümers heraus, ein Haus in der Saarlandstraße. Gruszecki fährt vorbei. Auf dem Klingelschild ist der Name nicht zu finden.

Bewohner haben unter anderem ihre Handabdrücke auf der Tapete im Treppenhaus hinterlassen.
Bewohner haben unter anderem ihre Handabdrücke auf der Tapete im Treppenhaus hinterlassen. © Lukas Wittland

Also spricht er die Frau an, die jede Woche die Dürener Straße 29 besucht und die Miete abholt, es ist ein Batzen Bargeld. Er würde gerne mal den Hauseigentümer sprechen. Er habe eine Frage als Nachbar. Die Frau weigert sich lange, irgendwann gibt sie Gruszecki die Nummer.

Ein Pastor aus Lyon

„Dann habe ich ihm über viele Monate hinterhertelefoniert“, sagt Gruszecki. Irgendwann kommt es tatsächlich zu einem Treffen. Der Besitzer ist Grieche, Englisch spricht er nicht wirklich, deutsch noch weniger. „Sag mal, was machst du hier eigentlich?“, fragt Gruszecki ihn mit Blick auf das heruntergekommene Haus.

Seine Bekannte kümmere sich und mache das ganz super, habe der Besitzer geantwortet. Dann erzählt er, dass er eigentlich in Lyon in Frankreich lebe und dort Pastor in einer Kirche sei. Gruszecki glaubt die Geistlichen-Geschichte nicht, dass es in dem Haus nicht super läuft, weiß er ganz sicher.

Auf dem Gehweg vor der Dürener Straße 29 sammelte sich der Müll.
Auf dem Gehweg vor der Dürener Straße 29 sammelte sich der Müll. © Gruszecki

Er will dem Eigentümer das Haus trotzdem abkaufen. Zunächst will er deutlich über eine Million Euro für das Haus haben. „Das ist eine komplette Bruchbude. Eigentlich musst du das abreißen. Das ist nur noch den Grundstückspreis minus die Abrisskosten wert“, entgegnet Gruszecki. Sie schreiben hin und her, telefonieren, jeden Monat will der Eigentümer weniger Geld haben, aber immer noch zu viel. Bis er plötzlich gar nicht mehr antwortet.

„Ich will mein Leben verändern“

Bei WhatsApp sieht Gruszecki, dass seine Nachrichten nicht mehr ankommen. Irgendwann macht er sich Sorgen. Er googelt den Namen des Eigentümers und findet einen Artikel der Bildzeitung mit dem Titel: „Lyon betet für Pater Nikolaos“. Jan-Henrik Gruzsecki kann es zunächst nicht glauben. Aber der kleine griechische Mann hatte ihn offenbar nicht angelogen.

Die Geschichte, dass er griechisch-orthodoxer Pastor in Lyon ist, stimmt. Der Grund für die ausbleibenden Nachrichten ist ein Angriff Ende 2020, bei dem der Pastor vor seiner Kirche angeschossen wird. In Frankreich ging man damals zunächst von einem Terroranschlag aus. Später gehen Ermittler laut Bildzeitung von einer persönlichen Abrechnung aus. Der Pastor überlebt den Angriff, Gruszecki bekommt eine Nachricht: „Ich will mein Leben verändern. Lass uns treffen. Ich will das Haus verkaufen.

Bis in den elf Wohneinheiten wieder Menschen einziehen können, wird es noch etwas dauern.
Bis in den elf Wohneinheiten wieder Menschen einziehen können, wird es noch etwas dauern. © Lukas Wittland

Gruszecki und er einigten sich auf einen Preis, den der 39-Jährige nicht nennen will, der ihm aber damals noch immer Bauchschmerzen bereitet habe. Und ohne zu wissen, wie desaströs der Zustand des Hauses wirklich war und welche Aufgaben noch auf ihn zukommen werden. Denn „desolat“ ist zwar schon an der untersten Grenze von schlimm, aber selbst das Wort „desolat“ lässt sich steigern. 15 Container mit einem Fassungsvermögen von acht Tonnen hätten sie mit dem gefüllt, was die Bewohner des Hauses im Inneren und im Garten verstreut hatten.

Alles krabbelt und kriecht

„Die Schädlingsbekämpfer haben mir gesagt, dass sie so etwas noch nie gesehen haben“, sagt Gruszecki. „Über zehn Jahre war das Haus ein Brutkasten von diversen Insekten und Schädlingen.“ Manche Bewohner hätten mit Propangasflaschen und einem Topf Wasser in ihren Wohnungen geheizt. Durch den Wasserdampf schimmelt es extrem.

Schädlinge kommen zum Vorschein, als sie bei der Sanierung die Türrahmen aufbrechen. Alles kriecht und krabbelt. „Dazu hat es noch unfassbar gestunken.“ Der 39-Jährige schafft es gerade noch vor die Tür, ehe er sich übergeben muss. Einmal kommt ihm eine Ratte aus dem Klo entgegen. „Es war so ekelhaft, unfassbar. Das muss man sich mal vorstellen, da haben Menschen drin gewohnt“, sagt Gruszecki. Und sie tun es auch noch, als der Dortmunder schon längst Besitzer ist.

Die Abstellkammern auf den Zwischenetagen waren voll mit Gerümpel und Müll.
Die Abstellkammern auf den Zwischenetagen waren voll mit Gerümpel und Müll. © Gruszecki

„Das Haus wurde faktisch immer wieder neu besetzt.“ Irgendwann geht der 39-Jährige dazu über, Wohnungen zumauern zu lassen, damit die Leute nicht mehr in die Wohnungen kommen. „Manchmal hatte der Maurer aber nicht schon am nächsten Tag Zeit und dann lebte schon wieder jemand anders da“, sagt Gruszecki. Irgendwie hätten es die Menschen außerdem geschafft, sich trotzdem an der Adresse anzumelden und Sozialleistungen zu beziehen.

Nach 13 Monaten ist das Haus leer

Gruzecki findet diverse Briefe vom Amt. 13 Monate dauert es schließlich, bis das Haus leer ist. Da das Gebäude baufällig ist, nehmen sie Sicherungsmaßnahmen vor. Die Fenster werden mit Sperrholzplatten vernagelt, damit keine Tauben mehr hereinkommen. In den Schädlingsfallen finden sich nur noch selten Kakerlaken.

Gruszecki und seine Geschäftspartner der „Borsigplatz Development GmbH“ hoffen, bald mit der eigentlichen Sanierung beginnen zu können. Wenn die Wohnungen im Altbau fertig gemacht sind, sollen in der Dürener Straße 29 mal Studierende einziehen. Bis dahin ist noch einiges zu tun.

Aber Gruszecki ist guter Dinge. Als Fehler habe er den Hauskauf noch nie angesehen, auch wenn er das ein oder andere Mal schlucken musste. Er sagt: „Wenn man hier am Borsigplatz was verbessern will, dann darf man sich nicht von einem Schrotthaus aufhalten lassen.“

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel erschien ursprünglich am 14. April 2024.

Deutlicher Wertverlust bei älteren Häusern in Dortmund: „Käufer muss noch kräftig investieren“

Abrissdatum für altes Sexkino steht fest: Investor nennt neue Details zum Dortmunder Grusel-Haus