„Nur auf den Inzidenzwert zu schauen, raubt die Perspektive“

© (A) Schaper

„Nur auf den Inzidenzwert zu schauen, raubt die Perspektive“

rnNeue Regeln für den Handel

Für NRW hat ein Oberverwaltungsgericht die Beschränkungen im Einzelhandel aufgehoben. Die Landesregierung reagierte prompt und verschärfte die Beschränkungen. Wie wird das in Dortmund gesehen?

Dortmund

, 22.03.2021, 11:40 Uhr / Lesedauer: 3 min

Erst sah es nach Lockerung aus - doch diese Hoffnung der Händler zerschlug sich schnell: Die NRW-Landesregierung hat am Montagmittag auf ein Urteil des Oberverwaltungsgerichts (OVG) Münster reagiert und umgehend die Coronaschutzverordnung angepasst. Das Gericht hatte die Terminpflicht für die meisten und die Begrenzung von einem Kunden pro 40 Quadratmeter Verkaufsfläche aufgehoben. Grund: Weil bestimmte Geschäfte wie Gartenmärkte oder Buchhandlungen ohne Einhaltung dieser Regeln öffnen dürfen, verstießen die Regelungen gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung. Gleichwohl hatte das OVG die Regeln an sich nicht kritisiert.

Die NRW-Landesregierung reagierte prompt - und dabei gab es eine Überraschung: Statt Terminpflicht und Kundenbegrenzung aufzuheben werden diese nun ausgeweitet - und zwar auf jene Geschäfte, die bisher frei zugänglich waren, also etwa Baumärkte und Buchläden.

In einer ersten Blitzumfrage unserer Redaktion zu dem OVG-Urteil am Montagvormittag hatten Cityring-Vorsitzender Tobias Heitmann wie auch Thomas Schäfer vom Handelsverband Westfalen Münsterland es tendenziell begrüßt, dass die Regeln gekippt worden waren - sie gingen zu jenem Zeitpunkt davon aus, dass dies die Möglichkeit zunächst bedeute, Kunden wieder ohne Termin empfangen zu können - hatten aber bereits im Kopf, dass beim Bund-Länder-Gipfel wieder schärfere Maßnahmen beschlossen werden könnten.


Vor dem Hintergrund, dass er vom laufenden Corona-Gipfel mit der Kanzlerin befürchtet, dass der Einzelhandel ohnehin wieder komplett schließen muss, sieht Cityring-Vorsitzender Tobias Heitmann trotz schnell erstickter Hoffnungen vom Vormittag die Reaktion der Landesregierung auf das OVG-Urteil gelassen.

„Für die allermeisten Händler ändert das nichts. Ein Kundenansturm wäre ohnehin nicht zu erwarten gewesen. Ich hätte es natürlich lieber so gehabt, wie es das Gericht beschlossen hat. Aber, man muss in diesen Zeiten mit wenig zufrieden sein“, so Tobias Heitmann.

IHK: Andere Möglichkeiten als im Frühjahr 2020

Gero Brandenburg, der Sprecher der Industrie- und Handelskammer zu Dortmund, sagt: „Das OVG hatte in seinem Beschluss das Land schon darauf hingewiesen, dass es seine Coronaschutzverordnung anpassen kann. Das ist umgehend geschehen und dem Gleichheitsgrundsatz wurde genüge getan.“

Das reiche allerdings überhaupt nicht aus. Anders als im Frühjahrs-Lockdown 2020 gebe es jetzt Tests und es würden Impfstoff-Dosen erwartet. Das erlaube ein anderes Vorgehen, nämlich differenzierte Öffnungsstrategien für den Einzelhandel und auch für die Gastronomie.

„Weiter nur auf den Inzidenzwert 100 zu schauen, wird den Unternehmern die Perspektive rauben“, so Gero Brandenburg. Leider müsse man aber davon ausgehen, dass die Politik eher Verschärfungen beschließen werde.

„Wenn man Tests und Impfstoffe genauso schnell beschaffen würde ...“

Das fürchtet auch Thomas Schäfer, der Geschäftsführer des Handelsverbandes Westfalen Münsterland in Dortmund. „Wenn es bis zum 18. April wieder in den kompletten Lockdown gehen sollte, werden wir viele Geschäfte danach nicht mehr erleben“, sagt er.

Und zur schnellen Reaktion der Landesregierung auf das OVG-Urteil meint er: „Wenn man Tests und Impfstoffe genauso schnell beschaffen würde, wie man Coronaschutzverordnungen ändert, wäre alles gut.“


+++++So hatten wir ursprünglich berichtet+++

Es ist ein Paukenschlag: Während Bund und Länder die Lockdown-Lockerungen aufgrund steigender Infektionszahlen wohl komplett wieder zurücknehmen, erlaubt das Oberverwaltungsgericht Münster zunächst einmal das freie und spontane Einkaufen ohne Termin.

Es wurde dem Eilantrag eines Media-Marktes stattgegeben. Das Gericht entschied, die Vorschriften der Coronaschutzverordnung zur Beschränkung des Einzelhandels vorläufig außer Vollzug zu setzen, „weil sie mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz nicht vereinbar sind.“

Zur Begründung verwies das Gericht auf Buchhandlungen, Schreibwarenläden und Gartenmärkte, die mit ihrem gesamten Sortiment unter vereinfachten Bedingungen (größere Kundenzahl, ohne Terminbuchung) öffnen dürften. Im Sinne einer Gleichbehandlung wurde festgelegt, dass ab sofort im gesamten Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen keine Kundenbegrenzung pro Quadratmeter mehr gilt und das Erfordernis der Terminbuchung entfällt.

„Es wird keinen Black-Friday-Ansturm geben“

„Das kommt überraschend, ist aber zu begrüßen. Die Gleichbehandlung ist richtig“, sagt Tobias Heitmann, der Vorsitzende des Cityrings. Der Vertreter der Innenstadt-Kaufleute geht allerdings nicht davon aus, dass es in der City nun zu einem riesigen Kundenansturm kommt.

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„Die allermeisten Bürger sind mündig. Dass die jetzt in dieser Phase der Pandemie alle in die City rennen, sehe ich nicht. Es wird keinen Black-Friday-Ansturm geben“, sagt Tobias Heitmann und ergänzt: „Die Verantwortung liegt nun bei jedem Einzelhändler selbst. Es gilt zu beweisen, dass der Einzelhandel kein Treiber der Pandemie ist.“

Für sein eigenes Geschäft, das Kunsthaus Zimmermann & Heitmann am Hansaplatz, sagt der Cityring-Chef, dass er natürlich weiter auf die Kundenbegrenzung achten werde, um eine Ansteckungsgefahr für Beschäftigte und Kunden möglichst zu vermeiden.

„Es kann jetzt nicht alles nachgeholt werden“

Beim Handelsverband Westfalen Münsterland sieht Geschäftsführer Thomas Schäfer das „nachvollziehbare Reingrätschen des OVG“ mit einem lachenden und einem weinenden Auge: „Es ist einerseits gut, dass festgestellt wird, dass die Entscheidungen der Politik nicht immer den verfassungsrechtlichen Regeln entsprechen. Andererseits werden aber in relativ kurzer Zeit von der Politik wohl wieder andere Corona-Entscheidungen getroffen.“

Und an ein Festhalten am Einkaufen mit Termin oder gar an weitere Lockerungen glaubt Thomas Schäfer beim Corona-Gipfel mit der Kanzlerin nicht. „Ich fürchte“, sagt er, „dass auch für Buchhandlungen, Schreibwarenläden und Gartenmärkte wieder Beschränkungen oder gar komplette Schließungen beschlossen werden. Und das ist das weinende Auge: denn das ist nicht das, was wir wollen.“

Indem das Shoppen ohne Termin und die Kundenbegrenzung nun für wohl nur kurze Zeit aufgehoben seien, dürften nicht alle Regeln über Bord geworfen werden. „Es kann jetzt nicht alles nachgeholt werden. Das verantwortliche Verhalten des Handels war aber immer gegeben und das wird es auch weiter sein“, so Thomas Schäfer.