Autokino auf Phoenix-West - so magisch war der erste Abend unterm Hochofen

© Stephan Schuetze

Autokino auf Phoenix-West - so magisch war der erste Abend unterm Hochofen

rnRuhrpott-Film „Bang Boom Bang“

Ein Ruhrpott-Klassiker - direkt unterm Hochofen: Mit Bang Boom Bang ist auf Phoenix-West das Autokino gestartet. Unsere Autorin berichtet, wie Kino in Zeiten von Corona funktioniert.

Dortmund

, 18.04.2020, 15:17 Uhr / Lesedauer: 3 min

Als um Punkt 22.45 Uhr der Abspann in gelber Schrift über die riesige Leinwand flimmert und laute Rockmusik durch das Auto schallt, setzt das Hupkonzert ein. Erst nur die Autos weiter vorne, dann hupen auch unsere Nachbarautos; die Familie rechts mit dem kleinen Jungen, der eine Kappe trägt, und das Paar auf unserer linken Seite. Auch ich drücke auf die Hupe, erst nur kurz, dann noch einmal lang.

Es ist ein magischer Moment: Ungefähr 200 Autos stehen hier auf dem Phoenix-West-Gelände mit Blick auf den alten Hochofen und hupen. Wieso? Hier wurde gerade in einem Autokino der Ruhrpott-Klassiker „Bang Boom Bang“ gezeigt – die erste Filmvorführung in Dortmund zu Zeiten von Corona.

Ein Film voll von Klischees

In dem Film geht es um den Gelegenheitsgauner Keek, der das Geld aus einem Bankraub verwettet, obwohl es seinem inhaftierten Kumpel Kalle gehört. Als dieser aus dem Knast ausbricht, steckt Keek in großen Schwierigkeiten. Doch jeder Versuch, aus dem Dilemma rauszukommen, macht es nur noch schlimmer. Es ist ein Film vollgepackt mit Klischees, protzigen Autos und ganz viel Ruhrpott.

Die Besucher genossen den Abend - ganz ohne Ansteckungsrisiko.

Die Besucher genossen den Abend - ganz ohne Ansteckungsrisiko. © Stephan Schuetze

Einen noch passenderen Film an diesem Ort, mit den eindrucksvollen Industriedenkmälern im Hintergrund, gibt es wohl kaum. Aber eigentlich geht es an diesem Abend nicht wirklich um den Film an sich; zumindest uns geht es so. Vermutlich kennen die meisten hier ihn sowieso, schließlich ist er schon 21 Jahre alt. An diesem Abend geht es um die Freiheit, sich gemeinsam einen Film anschauen zu können, ohne das Leben der anderen zu gefährden.

Die Autokinos kommen zurück in Mode

Ich bin Generation Netflix. Wenn ich ins Kino gehe, dann nur für Filme, die sich meiner Meinung nach wirklich lohnen. Wieso sich also in ein kleines Auto zwängen, das man sich in meinem Fall vorher leihen musste – noch dazu für einen alten Schinken wie diesen?

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Doch durch das Kontaktverbot erleben Autokinos ein unerwartetes Revival, waren sie zuvor durch Privatfernsehen und Internet doch längst für tot erklärt worden. Sie sind eines der letzten kulturellen Angebote in der Krise. In Essen wurde kürzlich eines eröffnet, in Marl ebenso. In Düsseldorf werden in einem Autokino sogar Gottesdienste gezeigt, in Köln Konzerte. Und seit diesem Freitag gibt es nun auch für rund einen Monat eines in Dortmund.

Zwei Wochen von der Idee zur Umsetzung

„Es ist gemütlich, man sitzt alleine im warmen Auto, Paare können unbemerkt knutschen – wie man es eben aus den ganzen amerikanischen Highschool-Filmen kennt“, erklärt Projektmanager Simon Schlomberg den Charme der Autokinos.

Die Tickets wurden durch die Scheibe gescannt.

Die Tickets wurden durch die Scheibe gescannt. © Stephan Schuetze

Und anscheinend findet die Idee Anklang beim Dortmunder Publikum: Dieses Wochenende waren alle drei Veranstaltungen nach weniger als 24 Stunden ausverkauft. Die Veranstalter haben alles in Rekordzeit aufgebaut: Von der ersten, konkreten Idee bis zur Vorführung sind gerade einmal zwei Wochen vergangen. Natürlich stecken auch wirtschaftliche Gründe dahinter: Das Autokino ist derzeit die einzige Einnahmequelle für die Dortmunder Agentur Neovaude.

Das Auto darf man nicht verlassen

Doch es gibt auch „Corona-Regeln“, die jeder befolgen muss: Auf die Dixiklos, die extra für das Autokino aufgestellt wurden, solle man bitte nur im absoluten Notfall gehen, heißt es. Ansonsten ist es nicht gestattet, das Auto zu verlassen. Die Helfer tragen alle einen Mundschutz und scannen die Eintrittskarten beim Einlass durch die geschlossenen Fenster hindurch. Abendkasse gibt es keine, nur einen Online-Vorverkauf. Außerdem dürfen nicht mehr als zwei Leute in einem Auto sitzen, mit Ausnahme der eigenen Kinder. Keiner scheint gegen die Regeln zu verstoßen; alles läuft entspannt ab. Besonders angesichts der Tatsache, dass die Veranstalter erst seit Anfang der Woche mit der Planung beginnen konnten, wirkt alles gut strukturiert.

Ein Abend lang Normalität in Zeiten von Corona

Tatsächlich fühle ich mich pudelwohl in unserem geliehenen Opel: Zehn Minuten nach Beginn des Films hole ich schon die Tupperdose mit den Resten vom Mittagessen raus. Etwas später krame ich die knisternde Toffifee-Packung vom Rücksitz, ganz ohne giftige Seitenblicke vom Sitznachbarn. Noch dazu ist die Kulisse einfach atemberaubend: Der alte Hochofen wird in verschiedenen Farben angeleuchtet, lila, grün, rot, blau. Die Leinwand davor ist zehn Meter hoch und zwanzig Meter breit, so dass man auch von der letzten Reihe aus alles ganz gut überblicken kann.

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Start des Autokinos auf Phoenix-West in Hoerde

Das erste Autokino in Dortmund auf der Fläche von Phoenix-West in Hoerde ist am Freitag (17. April) gestartet. Zum Auftakt lief der Film der Kultstreifen "Bang Boom Bang – Ein todsicheres Ding".
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Die meisten haben ihre Fenster einen Spalt weit heruntergekurbelt, um noch die warme Frühlingsluft reinzulassen. Ein paar Reihen weiter vorne unterhalten sich befreundete Zuschauer aus zwei Autos durch die offenen Fenster hinweg. An diesem Abend vergesse ich fast, dass zurzeit das Leben durch die Coronakrise stillsteht, es herrscht schon fast ein Stück weit Normalität. Bis auf den alten Hochofen und die Leinwand ist es komplett dunkel, aus dem Autoradio wummert die Rockmusik der Band H-Blockx und wir kurbeln die Sitze nach hinten. Wer braucht da noch Netflix, denke ich.

Keek vor Industriekulisse: Mehr Ruhrpott geht nicht.

Keek vor Industriekulisse: Mehr Ruhrpott geht nicht. © Stephan Schuetze

Bis zum 16. Mai soll es an jedem Tag einen Filme zu sehen geben. Mehr Infos zum Programm unter www.autokino-dortmund.de