Oi-Punks, die zu Country schunkeln, und Schlager-Fans, die Pogo tanzen: Der Auftritt von Gunter Gabriel in der Kaktusfarm 2012 war einer der schrägsten Konzertabende der Dortmunder Geschichte.

Dortmund

, 15.03.2021, 17:30 Uhr / Lesedauer: 3 min

Drei Jahre nach seinem Tod ist Schlager- und Countrysänger Gunter Gabriel wieder in aller Munde. Die Netflix-Doku „Das Hausboot“ erzählt die Geschichte seines ehemaligen Hausbootes, das Youtube-Star und Musiker Fynn Kliemann und Musiker Olli Schulz für viel mehr Geld als geplant in ein schwimmendes Studio verwandeln.

Weil die beiden Käufer eine große Fanbasis haben, gehört die Doku-Serie zu den meistgesehenen im März 2021 - und macht auch Gunter Gabriel (bürgerlich Günther Caspelherr) wieder populär.

Die „Kaktusfarm“ im Klinikviertel: Legendäre Nische

Es ist neun Jahre her, dass Gabriel für einen einzigartigen Musik-Moment in Dortmund gesorgt hat. Die „Kaktusfarm“ hatte zwischen 2004 und 2013 ihren festen Platz in der Dortmunder Konzertlandschaft.

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Nur knapp 300 Menschen passten in die Szenekneipe. Doch in diesem Laden gab es immer Nischiges und Spezielles zu entdecken, besonders aus den Genres Ska und Punk.

Am 4. August 2012 brachte Pedro Nogueira, Booker in der Kaktusfarm, eine eigentlich absurde Idee zur Umsetzung. Gunter Gabriel, alternde Schlager- und Country-Legende mit Überhit („Hey Boss, ich brauch mehr Geld“) und später Straßen-Kredibilität sollte für das Punk-Publikum in Dortmund spielen. Zusammen an einem Abend mit der Oi-Punk-Band „Oimels“.

Gunter Gabriel sagt sofort zu - und kommt dann fast nicht

Nach mühseliger Kontaktaufnahme hatte Pedro Nogueira irgendwann Gunter Gabriel am Telefon. „Laber nicht, sag mir, wann ich wo sein soll“, waren nach Nogueiras Erinnerung die Worte des damals schon fast 70-Jährigen.

Das war der Auftakt zu einer ziemlichen wilden Reise, zu der sich der „Schlager meets Punk“-Abend entwickeln sollte.

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„Im Nachhinein kann ich mich darüber kaputtlachen. Aber das hat damals viele Nerven gekostet“, sagt Pedro Nogueira.

Gabriel habe erst eineinhalb Stunden lang ausgehandelt, welche Bedingungen backstage alle erfüllt sein müssten. Um dann an dem Abend selbst ein halbes Bier und ein paar Weintrauben zu verdrücken.

Die „Oimelz“ eröffnen den Abend - dann taucht Gabriel endlich auf

„Er hat nichts davon eingehalten, was er gefordert hat“, sagt der Dortmunder Konzertveranstalter. Was noch viel schlimmer war: Es schien eine quälend lange Zeit nicht sicher, ob Gunter Gabriel wirklich auftauchen würde.

Der Laden füllt sich am Ende dieses heißen Sommertags schnell. „Klassische“ Gabriel-Fans im Kurzarm-Karo-Hemd und Punks mit Nieten und Leder teilen sich den Raum, anfangs noch auf Distanz.

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Die „Oimelz“ eröffnen den Abend und vergraulen gleich mal ein paar Besucher, die mit so viel Krach nicht gerechnet hatten. Gabriels Band ist schon da – aber die Hauptperson nicht.

„Die ersten zahlenden Gäste wurden schon sauer, einer wollte sein Geld zurück und hat von Beschiss gesprochen“, sagt Pedro Nogueira. Einige sind schon gegangen, als Gabriel gegen halb zehn endlich auftaucht.

Veranstalter: „Als ob jemand einen Knopf gedrückt hätte“

Ohne große Vorrede geht er mit seiner schwarz-rot-goldenen Akustikgitarre auf die Bühne und beginnt sein zweieinhalbstündiges Set mit zwei Cover-Songs von Johnny Cash. „Ab da war es, als ob jemand einen Knopf gedrückt hätte. Die Leute haben es gefeiert. Wenn der Oi-Punk-Skin mit der Durchschnitts-Mutti Arm in Arm grölt, ist das ist ein guter Anblick“, sagt Nogueira.

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Manches, was Gabriel damals auf der Bühne von sich lässt, ist laut den Berichten von damals hart an der Grenze der Fragwürdigkeit. Wenn auf unterhaltsame Stories von früher sexistische Sprüche folgen, bleibt vielen im Publikum das Lachen im Halse stecken. „Es war öfter an der Grenze zur Eskalation. Aber er hat sich immer wieder zusammengerissen.“

Zu spät ist er übrigens, weil er am Nachmittag schon einen Auftritt in Hannover hatte – auf einem Betriebsfest. Nachmittags Firmenfeier, abends Punkrock-Schuppen: Vielleicht war diese Geradlinigkeit der Grund, warum der eigentlich aus einem konservativen Umfeld stammende Norddeutsche auch in der Punk- und Alternative-Szene in den späten Jahren Respekt genießt.

Gabriel fährt zurück aufs Hausboot

Nach dem schweißtreibenden Abend fährt Gabriel zurück nach Hamburg auf sein Hausboot. Er verlässt Dortmund, eine Stadt, über die er schon früh in seiner Karriere ein Lied geschrieben hat. 1979 schreibt er für Didi Hallervorden den Song „Ich bin der Asphalt-Cowboy aus Dortmund-Aplerbeck“.

Blick ins Publikum beim Konzert von Gunter Gabriel in der "Kaktusfarm" 2011.

Blick ins Publikum beim Konzert von Gunter Gabriel in der "Kaktusfarm" 2011. © Punkrock Sercretary's Pictures

Im Text heißt es: „Ich bin der Asphalt-Cowboy von Dortmund-Aplerbeck! Hier fühl‘ ich mich zu Haus! Hier will ich nicht mehr weg! Zwischen Zechen und Hütten und Taubenverein erstreckt sich die Prärie! Genau so, wie ich das so kenn‘, aus Memphis-Tennessee!“.

Warum Roberto Blanco nicht in die „Kaktusfarm“ kam

Dass Aplerbeck wegen der psychiatrischen Kliniken im Ort bei manchen eine spezielle Assoziation hervorruft, erfährt Gabriel erst Jahre später. Als ihn am Rande des Kaktusfarm-Auftritts jemand darauf anspricht, sagt er nur: „Wenn mir das mal irgendwer vorher gesagt hätte. Aber geschrieben ist geschrieben.“

Weil der Abend so gut lief, hat Pedro Nogueira lange ein Nachfolge-Konzert im Kopf: Er möchte Roberto Blanco gemeinsam mit der Ska-Band „Los Placebos“ in die „Kaktusfarm“ holen.

Irgendwann hat er die Schlager-Größe am Telefon, Blanco gefällt das Konzept. Dann nennt er Nogueira seinen (fünfstelligen) Preis und beendet damit alle Gedankenspiele.

So bleibt der Punk-trifft-Schlager-Abend mit Gunter Gabriel bis heute ein einmaliges Ereignis.