Totenglocken, Trommelschläge und schweigende Menschen erinnern an 35.597 Ertrunkene

© Stephan Schütze

Totenglocken, Trommelschläge und schweigende Menschen erinnern an 35.597 Ertrunkene

rnEvangelischer Kirchentag

Mit einem Trauermarsch erinnerte die Aktion Seebrücke Samstagabend an 35.597 ertrunkene Menschen im Mittelmeer. Derweil gibt es für 42 aktuell in Seenot befindlichen Menschen Hoffnung.

Dortmund

, 23.06.2019, 09:29 Uhr / Lesedauer: 2 min

Die Totenglocken von St. Reinoldi und anderer Kirchen in der Dortmunder Innenstadt läuten. Dumpf erklingen die Schläge einer Trommel. 200 Menschen folgen ihr schweigend. Ein Trauermarsch erinnerte am Samstagabend (22. Juni) an 35.597 ertrunkene Flüchtlinge im Mittelmeer. Die stille Seite des fröhlichen Evangelischen Kirchentages.

Für eine Woche hängen nun zwei jeweils 100 Quadratmeter große Banner am Turm der Dortmunder Stadtkirche. Sie erinnern an das Schicksal der tausenden Toten. Ihre Namen haben Kirchentags-Teilnehmer in den letzten Tagen von Hand auf die Banner geschrieben. Die Banner rufen aber auch die Menschen in Erinnerung, die Hilfsorganisationen wie die Initiative Seawatch im Mittelmeer retteten.

Kirchentags-Teilnehmer haben Tausende Namen toter Flüchtlinge von Hand auf Banner geschrieben.

Kirchentags-Teilnehmer haben Tausende Namen toter Flüchtlinge von Hand auf Banner geschrieben. © Stephan Schuetze

Aktuell geht es nicht nur um generell gesicherte Seewege und Häfen. 42 Menschen befinden sich an Bord des Schiffes Seawatch 3. Gemeinsam mit der Crew der Hilfsorganisation Seawatch warten sie, einen Hafen anlaufen zu dürfen. Die italienische Regierung verhindert das derzeit.

Thema hat in der Kirche eine hohe Bedeutung

Vor Beginn des Trauermarsches forderte daher eine Seawatch-Aktivistin, dass Menschenrechte nicht länger Verhandlungsmasse der uneinigen europäischen Staaten sein dürften. Gleiches forderten auch Vertreter der „Aktion Seebrücke“, die die Kirchentags-Veranstaltung wie schon ein Podium am Donnerstag kurzfristig initiiert hatte. 60 europäische Städte - darunter auch Dortmund - haben sich der „Aktion Seebrücke“ angeschlossen und wollen Bootsflüchtlinge aufnehmen.

Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm (M.) führte den Trauermarsch an.

Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm (M.) führte den Trauermarsch an. © Stephan Schütze

An Beispiel der notleidenden Menschen im Mittelmeer zeigt sich, wie flexibel ein Kirchentag auf derlei aktuelle „Zeitzeichen“ reagiert. Welche Bedeutung das Thema innerhalb der Evangelischen Kirche in Deutschland ((EKD) hat, zeigt ferner nicht nur ein Besuch des EKD-Ratsvorsitzenden auf der Seawatch 3 im Vorfeld des Kirchentags. Der EKD-Ratsvorsitzende Heinrich Bedford-Strohm führte gemeinsam mit der westfälischen Präses Annette Kurschus, Dortmunds Superintendentin Heike Proske sowie dem Dortmunder Pfarrer und Seebrücken-Mitglied Paul-Gerhard Stamm den Trauermarsch an.

Politisches Ringen um das Schicksal der Flüchtlinge

Bedford-Strohm berichtete an der Reinoldi-Kirche von politischen Gesprächen während der letzten Tage, um eine Rettung der 42 in Seenot befindlichen Menschen herbeizuführen. Am Samstag habe ein Staatssekretär des Innenministeriums in einem Telefongespräch erklärt, in der EU-Kommission sei es am Donnerstag noch zu keiner Lösung gekommen. Deutschland sei aber bereit, gemeinsam mit wenigen anderen Staaten die Flüchtlinge aufzunehmen.

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Bevor das jedoch soweit ist und die Seawatch 3 einen italienischen Hafen anlaufen darf, bedürfe es allerdings der Zustimmung der Niederlande. Unter deren Flagge fährt das Schiff. Das habe das italienische dem deutschen Innenministerium erklärt. Der EKD-Ratsvorsitzende versicherte derweil: „Ich werde jeden Tag nachfragen, bis die Menschen an Land sind.“

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